Hilfswerke unter Druck Cassis’ Vorgehen gegen die NGOs hat unabsehbare Folgen
Der Schweizer Aussenminister verbietet Hilfsorganisationen, Bildungs- und Informationsarbeit in der Schweiz mit Bundesgeld zu finanzieren. Sein Entscheid könnte auch die Landwirtschaftslobby treffen.
Die Abstimmung findet erst in fünf Monaten statt, doch die Gegenkampagne läuft bereits. Proviande gehört der Allianz an, welche die Trinkwasserinitiative bekämpft. Das Volksbegehren will unter anderem die Zahl der Nutztiere in der Schweiz senken. Ein «ökologischer Unsinn» sei das, kritisiert der Branchenverband der Schweizer Fleischwirtschaft. Die Produktion von Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch würde extrem eingeschränkt. «Diese Lebensmittel kämen in der Folge vermehrt aus Ländern, in denen das Tierwohlniveau tiefer ist», so die Botschaft von Proviande.
Wenn sich private Organisationen wie Proviande in die Politik einmischten, warf das bis vor kurzem kaum Wellen. Das könnte sich jetzt ändern. Auslöser ist die am Ständemehr gescheiterte Konzernverantwortungsinitiative (Kovi). Menschenrechtsorganisationen und Hilfswerke machten sich für die Annahme der Kovi stark – Akteure, die vom Bund Geld erhalten.
Bürgerliche Politiker, darunter Nationalrat Hans-Peter Portmann (FDP), haben damit ein Problem. Der Zürcher fordert in einer Motion: keine öffentlichen Gelder mehr an Projekte von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich an politischen Kampagnen beteiligen. Aussenminister Ignazio Cassis, Portmanns Parteikollege, hat bereits durchgegriffen und setzt NGOs unter Druck. Ihnen ist es seit Anfang Jahr verboten, das für die Entwicklungszusammenarbeit im Ausland vorgesehene Geld für Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit im Inland einzusetzen. Der Bund hat in die Verträge mit den NGOs eine entsprechende Klausel eingebaut.
«Die Aufklärungsarbeit ist keine politische Arbeit, sondern stärkt gemäss der Präambel unserer Bundesverfassung Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt.»
Der Entscheid trifft auch das Schweizerische Rote Kreuz, wie Direktor Markus Mader bestätigt. Die Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit der NGOs zu entwicklungsrelevanten Themen sei wichtig, kritisiert er. «Wir vom Schweizerischen Roten Kreuz haben an unseren Einsatzorten im Ausland Einblicke, die die meisten Menschen in der Schweiz nicht haben», so Mader. «Die Aufklärungsarbeit, wie wir sie verstehen, ist keine politische Arbeit, sondern stärkt gemäss der Präambel unserer Bundesverfassung Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt.» Das Geld vom Bund half dem SRK etwa, im Verkehrshaus in Luzern die Wanderausstellung «Weltreise» zu organisieren. Diese führte einem breiten Publikum vor Augen, wie das Rote Kreuz Menschen in Äthiopien, Ghana, Nepal und auf den Philippinen hilft, sich vor Naturkatastrophen zu schützen. Gerade für Ausstellungen sind private Gelder nur beschränkt verfügbar.
Das Hilfswerk Solidar Schweiz, das sich vor allem in Afrika und Asien für faire Arbeit und soziale Gerechtigkeit einsetzt, musste wegen seines Kovi-Engagements bereits 24’000 Franken in die Bundeskasse zurückzahlen. Der Fall Solidar verunsichert die NGOs reihum. «Wir sind besorgt über die Tendenz einiger politischer Kreise in der Schweiz, den Handlungsspielraum von NGOs bei der Entwicklungszusammenarbeit und - politik weiter einzuschränken», sagt Bettina Filacanavo, Sprecherin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks). EDA-Sprecher Pierre-Alain Eltschinger hingegen betont: «Mit dem Ausschluss der Finanzierung von Informations- und Bildungsarbeit im Inland stellt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit sicher, dass Schweizer NGOs Programmbeiträge zur Armutsbekämpfung und Förderung der nachhaltigen Entwicklung in den Entwicklungsländern investieren.»
Umstrittene Werbung
Doch Cassis’ Intervention könnte weit über die NGOs hinaus Folgen haben. In den Fokus rücken nun auch nicht staatliche Organisationen wie Proviande, die ebenfalls von Staatsgeldern profitieren. Im Auftrag des Bundes erledigt Proviande diverse Aufgaben; so stuft der Verband auf Schlachtviehmärkten etwa die Qualität von Tieren ein. 6,2 Millionen Franken hat Proviande dafür letztes Jahr vom Bund erhalten. Von politischer Werbung steht hingegen nichts im Leistungsauftrag, den diese Zeitung gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.
Allerdings erhält Proviande weitere Bundesgelder – für die Absatzförderung von Schweizer Fleisch mit Werbung und anderen Marketingmassnahmen. Im letzten und diesem Jahr je 5,5 Millionen Franken. Anders als beim Leistungsauftrag handelt es sich hier nicht um eine Rechtsbeziehung, wie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) erläutert. Vielmehr erlasse der Bund, nachdem er ein entsprechendes Finanzhilfegesuch geprüft habe, einseitig eine Verfügung, welche die Details der Absatzförderung regle.
Der wichtigste Punkt: Mit der Werbung für Schweizer Fleisch soll der Verband dessen Vorteile gegenüber Importfleisch ins Zentrum stellen – und nicht «konsumtreibend» wirken, wie er dies vor einigen Jahren mit seinem Spot «Schweizer Fleisch – alles andere ist Beilage» getan hat. Umweltschützer kritisieren solche Werbungen unter anderem, weil sie ihrer Ansicht nach der Schweizer Klimapolitik zuwiderlaufen: Die Landwirtschaft produziere viel Treibhausgase, und die Höhe des Ausstosses sei wesentlich von der Tierhaltung und den Tierbeständen abhängig.
Eine Grauzone
Wo kippt die Werbung in eine politische Stellungnahme? Diese Frage ist umstritten. Darf Proviande gegen die Trinkwasserinitiative Position beziehen, weil es mehr Fleischimporte auf Kosten der Schweizer Nutztierhalter befürchtet? Von einer «Grauzone» spricht BLW-Vizedirektor Adrian Aebi hierbei. Es gebe keine Garantie dafür, dass Bundesgelder für private Organisationen mit politischen Abstimmungskämpfen «nicht in Berührung kämen». Massnahmen im Bereich der politischen Kommunikation sind gemäss der entsprechenden Verordnung aber ausdrücklich von der Finanzhilfe ausgeschlossen, und dies werde auch – soweit möglich – überprüft, so Aebi. Unklar ist, was der BLW-Vizedirektor von Cassis’ Intervention bei den Hilfswerken hält. Aebi möchte sich nicht dazu äussern, da er die Details nicht kenne.
Cassis und seine bürgerlichen Freunde, so sagt es ein Kenner der Schweizer Agrarpolitik, hätten mit ihrem Schlag gegen die NGOs «eine Kiste geöffnet, die noch ungeahnt tief ausfallen könnte». Eine Ausweitung der Regel auf Organisationen im Landwirtschaftsbereich bezeichnet Aebi denn auch offen als problematisch. Proviande – wie zahlreiche andere landwirtschaftliche Organisationen – könnte einen Teil ihrer privatrechtlichen Aktivitäten nicht mehr oder nur noch eingeschränkt wahrnehmen, wie Aebi klarmacht.
Grosse Bedenken
Betroffen wären laut BLW auch Organisationen wie IP Suisse und Bio Suisse, aber auch der Schweizer Bauernverband (SBV). Der Bund zahlt 2,2 Millionen Franken pro Jahr, damit der SBV die von der hiesigen Landwirtschaft erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen und somit auch jene der Schweizer Landwirtschaftsprodukte in der Bevölkerung bekannt macht. Der SBV wiederum kämpft an vorderster Front gegen die Trinkwasserinitiative. Gerade erst letzte Woche hat er detailliert seine Kampagne gegen die seiner Ansicht nach «extreme» Agrarinitiative vorgestellt.
Die betroffenen Kreise versichern unisono, dass sie die Bundesgelder konsequent nicht für politische Aktivitäten einsetzen würden. «Es gibt bei uns eine separat abgetrennte Rechnung und Finanzierung», sagt etwa Bauernchef Markus Ritter. Proviande-Direktor Heinrich Bucher warnt zudem, eine Ausweitung der Regel würde die politischen Rechte von Verbänden und NGOs drastisch einschränken. «Staatspolitisch wäre dies äusserst bedenklich und für die in der Schweiz gelebte Demokratie schädlich.» Zudem, so Bucher, müsste Proviande sein Budget ohne Bundesgelder für die Absatzförderung um rund die Hälfte reduzieren. Eine Folge davon wäre laut Bucher, dass die Information über die in der Schweizer Landwirtschaft hergestellten Produkte stark reduziert würde, die Konsumenten würden ihren Kaufentscheid nur noch auf die Eigenwerbung der Detailhändler abstützen könnten. «Die Förderung der Wertschätzung für einheimische Produkte ginge damit weitgehend verloren.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.