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Premiere im Theater Rigiblick 
Brennende Bücher und tote Gefühle

«Fahrenheit 451», Ray Bradburys Dystopie über eine Welt ohne Bücher, ist weniger gut gealtert als seine Botschaft. Aber die Kombination mit der Musik von Radiohead funktioniert grossartig, wobei die Schauspielerin Sarah Kappeler als Sängerin am meisten überzeugt.   
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Was für ein erster Satz: «It was a pleasure to burn». Verbrennen als Vergnügen. Damit beginnt Ray Bradbury (1920–2012), der populäre amerikanische Autor und Drehbuchschreiber, seine berühmte Dystopie, die in seiner Heimat seit Jahrzehnten als Lehrstoff verabreicht wird.

«Fahrenheit 451» – die Temperatur, bei der Papier zu brennen anfängt – beschreibt eine undatierte Zukunft, in der Feuermänner nicht mehr löschen, sondern anzünden. Und zwar alle Bücher, die sie finden und gleich noch das Haus, in denen diese stehen. Denn das Denken gilt als Gefahr für das System.

Guy Montag ist einer dieser amtlichen Brandstifter, der mit Kerosin und Flammenwerfer unterwegs ist, während seine Frau vor dem Fernseher verdummt. Aber dann kommen Montag immer mehr Zweifel, ob er das Richtige tut, denn er beginnt Bücher zu lesen, statt sie zu verbrennen. Und je mehr er liest, desto stärker wachsen seine Zweifel und desto mehr bringt er sich damit in Lebensgefahr.

Er mochte auch das Internet nicht

Bradburys Roman erschien 1953, während des Kalten Kriegs und in der amerikanischen McCarthy-Ära. Die Kommunistenhetze jener Jahre liess sich auch als Hass auf Intellektuelle deuten. Bradbury hat die Inspiration für sein berühmtestes Buch immer wieder anders beschrieben. Bei Erscheinen bezog er es auf die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten in den Dreissigerjahren und die sowjetischen Schauprozesse gegen Intellektuelle.

Später wollte der Autor, der sich selber als einen Konservativen bezeichnete, seine Parabel als allgemeine Warnung verstanden haben, unter anderem gegenüber dem nivellierenden Einfluss des Fernsehens. Und auch dem, was wir heute Fake News nennen. In den Neunzigerjahren schliesslich nannte er die politische Korrektheit als weiteren Beleg für seine These, dass Intellektualität und damit auch Individualität immer mehr in Gefahr geraten würden. Auch das Internet mochte er nicht und zog eine Schreibmaschine dem Computer vor.

«Fahrenheit 451» ist ein Lieblingsbuch von Daniel Rohr, dem Intendanten des Theaters Rigiblick. Er war entsprechend glücklich, bei Bradburys Erben eine Aufführungsbewilligung erstanden zu haben. Schon der Autor hatte eine Theaterversion seines Buches verfasst, zudem wurde es zweimal verfilmt, einmal als Serie und schon 1966 als Film von François Truffaut. Beide Interpretationen wurden von der Kritik zurückhaltend aufgenommen. Und auch die neue Zürcher Aufführung von Bradburys Buch, die am Dienstag ihre umjubelte Premiere feierte, hat ein Problem.

Aktuelles Thema, veralteter Text

Dass Regisseurin Hanna Scheuring das Stück wie eine szenische Lesung auf die Bühne bringt, schmucklos und direkt, ist nicht das Problem, weil sie der Aktualität des Stoffes vertraut. Sie tut das zu Recht, wenn man bedenkt, dass in amerikanischen Schulen in den letzten Jahren über 1500 Bücher aus den Bibliotheken entfernt oder verboten wurden, weil sie von Afroamerikanern geschrieben sind oder von Themen wie Homo- oder Transsexualität handeln. Auch Bücher über die Sklaverei werden zum Verschwinden gebracht. Und Lehrern wird verboten, über bestimmte Themen mit ihren Klassen auch nur zu reden.

So gesehen, ist der Moment für diese Aufführung gut gewählt und verleiht ihr zusätzliche Dramatik. Das Problem liegt auch nicht an der Aufführung, sondern an Bradburys Buch: Es ist schlechter gealtert als seine Botschaft. Dass «Fahrenheit 451» an den amerikanischen Schulen gelesen wird, ist eher kein Kompliment, sondern ein Symptom: Denn was damals kühn wirkte, kommt einem heute belehrend vor. 

Warum der Abend trotzdem gelingt, liegt an Daniel Rohrs grossartigem Einfall, Bradburys Dystopie von der Musik der britischen Gruppe Radiohead kommentieren zu lassen. Obwohl ihre Songs mit Science-Fiction nichts zu tun haben, hören sie sich an wie Deutungen dessen, was Ray Bradbury in seinem Buch analysiert. Die Musikerinnen und Musiker unter der wie immer souveränen Leitung von Tobias Schwab spielen Stücke wie «Karma Police», «No Surprises» oder «Paranoid Android» mit einem Engagement, das einen abrupt daran erinnert, was für eine grossartige Band diese Songs komponiert, aufgenommen und aufgeführt hat.

Nicht denken, nicht mehr leiden

Gesanglich am meisten überzeugt die Schauspielerin Sarah Kappeler; ihre Interpretation von «Creep», einem frühen Song der Band über einen Ausgestossenen, der eine Schöne heimlich und vergeblich liebt, gerät zum Höhepunkt des Abends. Mit ihren innigen, aber unpathetischen Interpretationen vertont sie den zentralen Widerspruch in den Songs von Radiohead zwischen der Sehnsucht nach Intensität und dem Scheitern ihres Sängers Thom Yorke, diese Intensität ausdrücken zu können.

Yorke hat diesen Widerspruch selber in zwei lakonischen Zeilen formuliert: «Just because you feel it / Doesn’t mean it’s there». Die Zeilen sind aus dem Stück «There There», mit dem Radiohead ihr sensationelles Konzert von 2003 in Montreux eröffnet hatten.

Nur weil du es fühlst, ist es noch lange nicht da, das Zitat klingt wie eine Antwort auf Bradburys Prognose: Nur wer nicht mehr denkt, leidet nicht mehr an seinen Gefühlen. Weil es nur noch ein Gefühl gibt in seiner schrecklichen, bücherlosen Welt: ununterbrochen Spass zu haben auf dem Weg in die Verblödung.

Das Stück «Fahrenheit 451» wird noch bis Ende Dezember im Theater Rigiblick aufgeführt.