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Coronavirus in Brasilien
Bolsonaro will zurück zur Normalität und erntet Wut

Wirtschaft geht vor Gesundheit: Jair Bolsonaro, Staatschef Brasiliens.
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Die Brasilianer sind einiges von ihrem Präsidenten gewohnt. Dennoch brach Dienstagabend ein Sturm der Entrüstung los: Zur besten Sendezeit, um 20.30 Uhr Ortszeit, wandte sich Jair Bolsonaro an sein Volk. In einer landesweit im Fernsehen und Radio übertragenen Ansprache sagte er, das Coronavirus sei nun endgültig in Brasilien angekommen – allerdings werde er auch bald wieder verschwunden sein. Schulen und Geschäfte sollten darum bitte wieder öffnen: «Wir müssen zurück zur Normalität.»

Zeitgleich mit der Ansprache schlugen im ganzen Land wütende Brasilianer vor offenen Fenstern oder auf Balkonen auf Töpfe und Pfannen. Seit mehr als einer Woche gibt es jeden Abend solche Proteste. Und je höher die Fallzahlen in Brasilien steigen, desto verzweifelter werden sie. Mehr als 2200 mit dem Coronavirus infizierte Patienten gibt es derzeit offiziell in Brasilien. Allerdings dürfte die Dunkelziffer viel höher sein.

Und schon in zwei Wochen könnten die Zahlen auf über 200’000 steigen, mit 5000 Todesopfern, wie aus einem internen Papier der Regierung hervorgeht. Spätestens Ende April würde das Gesundheitssystem kollabieren. Und das, obwohl der Höhepunkt des Ausbruchs erst für August zu erwarten ist.

Die Armen wissen, dass es vor allem sie treffen wird

Mit mehr als 200 Millionen Einwohnern ist Brasilien das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas. Drei Viertel der Brasilianer leben in Städten, mehr als 20 Millionen allein in São Paulo. Ende Februar wurde hier der erste Corona-Fall des Subkontinents registriert. Der 61 Jahre alte Mann hatte sich auf einer Reise in Italien mit dem Virus angesteckt. Ähnliche Fälle folgten.

Lange galt Corona in Brasilien darum als Krankheit der Reichen und der weissen Oberschicht. Doch dann steckte eine schwarze Haushälterin in Rio sich bei ihren Arbeitgebern an, einer Oberschichtsfamilie, die nach einer Italien-Reise eine Infektion verschwiegen hatte. Die Familie ist längst wieder gesund, die 63-jährige Haushälterin aber starb. Seitdem ist vielen Brasilianern aus der Unterschicht klar, dass es vor allem sie sein werden, die das Virus trifft.

In der Corona-Krise nimmt der Unmut in Brasilien zu: Kochtopf-Proteste gegen Staatschef Jair Bolsonaro in Rio.

Längst ist Covid-19 auch in den Favelas angekommen. Mancherorts lassen Anwohner keine Fremden mehr in ihre Viertel. Dazu gibt es Berichte von Drogengangs, die Bewohner angeblich per Lautsprecherdurchsagen und Handynachrichten zu Ausgangssperren aufrufen. Es sind verzweifelte Massnahmen, die das Virus aber vermutlich nicht stoppen werden können. Millionen Menschen leben in Brasiliens Armenvierteln.

Oft gibt es kein fliessendes Wasser, die Bevölkerungsdichte ist extrem hoch und die Sozialkontakte traditionell eng, sagt Theresa Williamson, die mit ihrer Organisation Catalytic Communities in den Armenvierteln von Rio arbeitet. «Die Leute helfen sich gegenseitig. Alle kennen sich, das ist einer der grossen Vorteile der Favelas.» Doch genau das wird nun zum Problem. «Wenn Corona in diesen Vierteln ausbricht, kommt es unausweichlich zu einer Katastrophe», sagt Williamson.

Bundesstaaten verhängen Ausgangssperren und schliessen Schulen

Zwar gibt es in Brasilien ein staatliches Gesundheitssystem, dieses ist aber heillos überlastet. Vielen Politikern ist längst klar, wie prekär die Lage ist. Die Gouverneure mehrerer Bundesstaaten haben bereits auf eigene Faust Schulen geschlossen und Ausgangssperren verhängt. Seit Dienstag sind auch in São Paulo und Rio Geschäfte, Restaurants und öffentliche Einrichtungen geschlossen. Doch all das, sagt Brasiliens Präsident, sei ein grosser Fehler. ()

Die grösste Angst von Bolsonaro ist eine Wirtschaftskrise. Nun, wo sie immer unausweichlicher wird, versucht er, die Schuld den Gouverneuren in die Schuhe zu schieben und bezeichnet sie als «Arbeitsplatzvernichter». Corona betreffe ohnehin nur Menschen über 60. Er selbst sei zwar schon 65, aber früher aktiver Sportler gewesen, so Bolsonaro, darum erwarte ihn kaum mehr als eine «gripezinha», ein kleine Grippe.