«Bis ich gegen eine Wand lief»
Lakers-Goalie Melvin Nyffeler spricht über die Angst vor Fehlern und schlaflose Nächte. Und er möchte herausfinden, wie sich Eishockey als 8-bis-17-Uhr-Job leben lässt.
Wenn das alles bloss so einfach wäre: «Versuche, äussere Störfaktoren auszublenden, isoliere dich vom Rest der Welt, von all den Ablenkungen.» Er sei einer, der sich zu allem Gedanken mache, stets auf der Suche, sich weiter zu verbessern, sagt Melvin Nyffeler.
Diese Zitate, sie stammen aus zwei Büchern des ehemaligen NHL-Goalietrainers Mike Valley sowie des früheren Hockey-Scouts Justin Goldman – sie gehören zur Lieblingslektüre Nyffelers. Sie beinhaltet Tipps, um im mentalen Bereich sich vom sehr guten zum Elite-Goalie entwickeln zu können. Diverse Top-Goalies kommen in Interviews ebenfalls zu Wort, zeigen ihren persönlichen Weg auf.
Es handelt sich um diese beiden Bücher hier:
Im Rahmen des Tamedia-Hockey-Podcasts «Eisbrecher» erklärte sich Nyffeler bereit, über Passagen aus den beiden Büchern zu sprechen, da er so vieles daraus bereits anwenden konnte auf seinem mit Umwegen gespickten Werdegang. Jenem vom gehypten Riesentalent mit Selbstüberschätzung, das als 18-Jähriger mit zwei Zu-Null-Siegen bei den ZSC Lions seine Profikarriere startete, drei Jahre später dennoch kurz arbeitslos wurde, ans Aufhören dachte, sich hinterfragen musste und erst via Neuanlauf in der NLB wieder zum mental starken Top-Goalie in der höchsten Liga wurde.
Ein Auszug aus dem Gespräch im Podcast:
Psychische Belastungen, Ängste sind ein oft wiederkehrendes Thema in den Büchern. Goalies seien besonders anfällig.
Ich bin an einem Punkt, an dem ich mich auch frage: Wie möchte ich es weiter handhaben im mentalen Bereich? Ich habe oft schlaflose Nächte nach Spielen, wenn mich etwas wirklich wurmt. Ich befasse mich stark mit Meditation, mit Entspannungsmöglichkeiten, um zu lernen, wie man auch Eishockey als «8-bis-17-Uhr-Job» leben kann: Reingehen, rausgehen, ausstempeln, mit dem Kopf wieder bei der Familie und der Freundin sein. Wie zwei Leben haben: Ein Hockey-Leben und ein Privatleben.
Mit den Ängsten sind meist jene vor Fehlern gemeint. Zum Beispiel in Extremsituationen, wie vor der Verlängerung in Spiel 7 mit Rapperswil-Jona in Kloten beim Aufstiegsmatch. Was ging in Ihnen vor in der Kabine, als Sie wussten: «Fehler ab jetzt verboten»?
Normalerweise kann ich über jede Torchance in jedem Match im Detail Auskunft geben. Aber nicht von diesem Spiel in Kloten: Ich habe kaum noch Erinnerungen daran, weder an den Spielverlauf, noch was in dieser Pause passierte. In solchen Situationen funktionierst du einfach nur noch. Es war mein 77. Saisonspiel. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mental müde war. Es ist beeindruckend, welche Leistung der Kopf aus einem noch herausholt, selbst wenn der Körper schon müde ist. Was ich noch weiss: Ich ging in dieses Spiel mit dem Gedanken: Egal, was passiert, danach ist fertig. Und wir können nur noch gewinnen, da wir eine Riesensaison hinter uns hatten mit Cup-Sieg und B-Meistertitel. Wie wir dann so in der Overtime gewannen und aufstiegen, ist Blockbuster-reif. So eine Saison wird es in meinem Leben wohl nie mehr geben.
Im Buch sprechen die Goalies oft über den «Flow», diesen Zustand, den man als Torhüter erreichen möchte, der aber so schwierig zu beschreiben ist. Waren Sie in diesem Spiel 7 in Kloten demnach im Flow?
Dieses «einfach sein» ist ein sehr wichtiger Punkt. Ein Goalie ist ein «Kopf-Mensch», 90 Prozent der Arbeit spielt sich im Kopf ab. Wenn du es schaffst, deinen Kopf von allen Gedanken zu befreien, dann funktionierst du automatisch besser. Dann bist du vielleicht genau in diesem «Flow». Dann kannst du deine besten Leistungen erbringen. Wenn du dir zu viele Gedanken über andere machst, zum Beispiel deine Mitspieler, dann bist du nicht mehr bei dir selbst, bist nicht mehr im «Flow».
«Erst wenn du akzeptierst, dass du nicht so talentiert bist wie du glaubst, erst dann lassen diese Ängste nach». Gerade junge Goalies seien anfällig, ihre eigene Position zu überhöhen.
Ich kenne das, ich erlebte ja eine ähnliche Situation. Als ich bei den ZSC Lions als 17-Jähriger die Nummer 1 im U20-Team wurde. Da standen mir alle Türen offen. Als junger Spieler ist es dann schwierig, deine Leistung richtig einzuordnen. Du denkst in jenem Moment nicht daran, dass du nicht bei einem schlechten Team, sondern beim ZSC spielst, was dir sicher auch hilft. Und wenn du in der U20-Nationalmannschaft spielst, hast du es immer nur mit einem Jahrgang zu tun. Kommst du dann in ein Profiteam, musst du dich gegen Goalies aus 15 Jahrgängen durchsetzen. Bis dort bist du dank deines Talents gekommen, das war bei mir auch so. Bis plötzlich dieser Moment kam, bei dem ich gegen eine Wand lief. Erst dann überlegte ich mir, was ich ändern muss. Auch im persönlichen Bereich, da du in jenem Alter glaubst, du seist sowieso der Beste.
Was änderten Sie?
Unterdessen kann ich von mir behaupten, dass ich immer mein Bestes gebe, egal ob im Match, im Training oder wo auch immer. Ich will immer der Beste sein, ich kann nicht verlieren, ich arbeite jeden Tag an mir. Darum habe ich den Weg zurück ins NLA-Hockey gefunden. Ansonsten würde ich heute in einem Büro arbeiten.
«Als Goalie profitierst du in deiner Entwicklung mehr, wenn du für ein schlechteres Team spielst.»
Das würde ich so unterschreiben. Aber ganz so einfach ist das dennoch nicht. In der Qualifikation ist es sicher der härtere Job, für ein Team zu spielen, das nicht so sehr mit sehr guten Spielern bestückt ist. Im Playoff ändert sich das dann aber. Der Druck, den du als Goalie in einem besseren Team spürst, ist ein ganz anderer. Was stimmt: In einem schlechteren Team profitierst du mehr im mentalen Bereich, weil du häufiger «Dreck fressen» musst.
«Löse dich vom Resultat!», schreibt Valley auch, weist aber darauf hin, dass das in der Regel nur routinierteren Goalies gelingt. Pekka Rinne, Goalie-Routinier in Nashville kennt das und sagt: «Als junger Goalie lässt du dich zu sehr von den Resultaten definieren. Du glaubst entweder, auf dem Dach der Welt zu sein oder du fühlst dich furchtbar.» Wie weit sind Sie auf diesem «Weg»?
Ich habe eine grosse Entwicklung hinter mir, gerade nach der letzten Saison. Da hörte ich oft, wie gut ich gespielt habe, obwohl wir meistens verloren. Am Ende definierst du dich über die Mannschaft. Das ist ein schwieriges Thema, auch, was einzelne Spiele angeht. Wenn du in Rückstand liegst und das Resultat in deinen Kopf dringt, sorgt das für eine mentale Blockade, und dann hast du ein Problem. Du machst dir Sorgen über etwas, das du nicht beeinflussen kannst. Das zu lernen, braucht viel Zeit. Darum sind die wirklichen Top-Goalies mindestens 27, wenn nicht 30 Jahre alt.
Es gibt Teamverantwortliche, die nicht gerne sehen, wenn ihre jungen Goalies zum Interview müssen. Brian Elliott, Goalie der Philadelphia Flyers sagt dies: «Als junger Torhüter ist es hart, genau die Fragen zu hören, die du nicht hören willst, mit all den Gedanken konfrontiert zu werden, die du eigentlich verdrängen möchtest.» Hatten Sie je Interview-Verbot?
Nur in der kurzen Zeit, als ich in Davos spielte. Ich finde aber, dass Interviews dazu gehören, du kannst Sportler nicht ein Leben lang abschirmen. Wir sind ja dankbar, dass das dazugehört, weil Medien unserem Sport am Ende ja auch helfen. Was sicher stimmt: Wenn es dir gut läuft, wirst du von den Medien hochgehoben, was dir zunächst zwar sicher gut tut, aber nicht unbedingt nur hilft. Auch damit richtig umzugehen musst du lernen.
Evgeni Nabokov, ehemaliger Top-Goalie sagt: «Es zählt nur, was Mitspieler, Trainer und Sportchef sagen. Alles andere ist völlig egal.» Und Buchautor und Goaliecoach Valley fordert: «Vergiss die Meinungen von Journalisten und anderen nutzlosen Experten.»
Das ist ein wichtiger Aspekt. Das Wichtigste ist die Meinung der Mitspieler, wenn du diese hinter dir weisst, bist du glücklich als Goalie. Journalisten und Kritik können dich in beide Richtungen ziehen: Rauf und runter. Meiner Meinung nach wird vor allem in der Schweiz zu sehr nach Negativem und Fehlern gesucht, du liest und hörst immer nur die Formulierungen ‘Goalie macht Fehler, greift daneben etc'. In Nordamerika sind sie weiter, es wird auch der Stürmer gelobt und sein sehr guter Schuss, mit dem er die Lücke beim Goalie fand. Ein Goalie ist kein Roboter, ein Goalie ist ein Mensch, wie auch Journalisten Menschen und keine Roboter sind.
Es gibt Spieler und Trainer, die betonen, nie Artikel zu lesen. Sie ticken aber nicht so …
Ich habe kein Problem damit, sie zu lesen. Man sollte aber nicht zu viel in sie hineininterpretieren.
Allerdings gab es da letzte Saison diese Episode, als Sie unmittelbar nach einem Spiel eine lange Diskussion führten mit jemandem, der über Sie geschrieben hatte. Es liess Sie also nicht kalt …
Ich erinnere mich. Es ging um jemanden, der immer sehr negativ schrieb, nicht nur über mich. Ich sagte ihm meine Meinung. Ein ausschlaggebender Punkt war, dass er nicht fragte, sondern einfach als Fakt sagte: «Du warst zu Saisonbeginn schlecht, jetzt bist du besser.» Ich finde, man darf dann seine Meinung sagen, wenn man nicht einverstanden ist, wenn man etwas falsch oder unfair findet.
----------
Der Tamedia-Hockey-Podcast «Eisbrecher»
Dieses Interview entstand im Rahmen des 8. Teils des Tamedia-Podcast «Eisbrecher». Der ganze Podcast mit Melvin Nyffeler kann hier gehört werden:
----------
Das Tamedia-Eishockeyteam blickt im «Eisbrecher» regelmässig in längeren Gesprächen mit Persönlichkeiten aus diesem Sport hinter die Kulissen. Dabei lösen wir uns von der Aktualität, besprechen mit den Gesprächspartnern die Themen, die sie wirklich beschäftigen. Der Podcast ist auch auf Spotify sowie auf Apple Podcast zu hören.
Und hier können alle bereits publizierten Folgen gehört werden:
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch