Schweizweite PremiereBaselbieter Gemeinde setzt Überwachungskameras gegen Schleichverkehr ein
Künftig werden Autofahrer, die sich weniger als 15 Minuten auf den Quartierstrassen in Birsfelden aufhalten, mit 100 Franken gebüsst.
Birgit Kron ist irritiert. Sie ist die stellvertretende Geschäftsführerin der Basler Sektion des Schweizer Touring-Clubs und setzt sich in dieser Funktion für die freie und leistungsfähige Mobilität der Menschen in dieser Region ein. Umso kritischer sieht sie den neuesten Versuch der Baselbieter Gemeinde Birsfelden, den Ausweichverkehr der Osttangente Basel auf ihren Quartierstrassen zu mindern. «Birsfelden selbst hat den Rheintunnel, der die Gemeinde stark vom Ausweichverkehr entlastet hätte, versenkt. Man hatte den Mut für das grosse Projekt nicht, macht jetzt aber Kasse mit jenen, die eine Umfahrung suchen? Das geht nicht auf.»
Birsfelden kämpft seit Jahren mit Schleichverkehr. Täglich kommt es zu Stau auf den Birsfelder Strassen. Bisher getroffene Massnahmen – temporäre Fahrverbote und Einbahnregelungen – helfen nur bedingt und sind teuer. Pro Jahr zahlt die finanziell arg gebeutelte Gemeinde 105’000 Franken an einen Sicherheitsdienst, der die fehlbaren Autofahrer wegweisen soll.
Nun versucht es die Gemeinde mit einer Schweizer Premiere: mit sogenannten automatischen Durchfahrtskontrollen. Neu sollen Kameras die Kontrollschilder von Fahrzeugen erfassen, wenn sie durch eine Quartierstrasse fahren. Halten sie sich länger als 15 Minuten im Gemeindegebiet auf, gibt es kein Problem. Unterschreiten sie die Mindestaufenthaltsdauer, wird die Nummer automatisch mit einer Liste von berechtigten Kontrollschildern abgeglichen. Wenn das Fahrzeug nicht auf dieser Liste ist, wird dies als unberechtigte Durchfahrt gewertet und mit einer Busse von 100 Franken belegt. Die Kontrolle erfolgt ausschliesslich in Fahrtrichtung Basel.
Zur Durchfahrt berechtigt sind nur Personen, die in Birsfelden oder im benachbarten Freuler-Quartier in Muttenz wohnen, sowie Fahrzeuge von dort ansässigen Firmen. Dazu kommen Linienbusse, Taxis und Blaulichtorganisationen.
Am Montag bewilligte die Birsfelder Gemeindeversammlung einen Investitionskredit von knapp 500’000 Franken für das neue System.
Kritik von Verkehrsvereinen an Birsfeldens Durchfahrtskontrollen
In der Gemeinde wird dieses System grossmehrheitlich begrüsst. Sowohl Einwohnerinnen wie auch Firmenbesitzer haben genug vom Schleichverkehr. Die Verkehrsvereine in der Region sehen das kritischer.
Birgit Kron zweifelt daran, dass solch ein System überhaupt rechtlich zulässig ist. Die Gemeinde liess das System vom Datenschutz des Kantons Basel-Landschaft prüfen, dieses äusserte keine Bedenken. Dennoch: «Ich sehe eine Busse für eine Mindestaufenthaltsdauer sehr kritisch», sagt Kron. «Ich bin gespannt, was passieren würde, wenn jemand damit vors Bundesgericht geht.»
«Der Ausweichverkehr ist nicht angenehm für Birsfelden», sagt Daniel Seiler, Geschäftsführer ACS beider Basel. Es sei verständlich, dass die Gemeinde Lösungen suche, vor allem jetzt, da der Rheintunnel wohl zumindest vorläufig nicht komme. Der Rheintunnel sollte gemäss Bundesamt für Strassen den Verkehr im Zentrum der Gemeinde um 30 Prozent senken. Doch Birsfelden schickte die Vorlage mit 64 Prozent Nein-Stimmen bachab. «Für Autofahrer ist das System aber weniger erfreulich: Dieses System macht es einfacher, Bussen zu stellen», so Seiler weiter.
Automatische Kontrollen kommen ab Juli 2025
Désirée Jaun (SP) ist im Birsfelder Gemeinderat für das Projekt zuständig. Ihr ist bewusst, dass solch ein einzigartiges und in der Schweiz bisher unbekanntes System viele Fragen aufwirft. Deshalb will man dieses, wenn es denn ab Juli 2025 eingesetzt wird, auch genau analysieren. «Wir starten zum Beispiel mit einer Mindestaufenthaltsdauer von 15 Minuten, wenn wir aber sehen, dass es in der Praxis nicht aufgeht, prüfen wir das nochmals.» Spezialfälle, wenn etwa jemand jeden Mittwoch sein Kind zum Training bringe oder Opa und Oma vom Jassturnier abhole, könnten als Ausnahmen geprüft werden. «Für Zubringer erledigt sich allerdings eine Busse, wenn sie in die gleiche Richtung zurückfahren, von der sie ins Quartier gefahren sind.»
Es sei auch nicht so, dass das System ohne menschliche Kontrolle direkt eine Busse an die fehlbaren Autofahrer auslöse. Der Verstoss werde von den Kameras registriert und gemeldet. «Ein Gemeindepolizist schaut sich die Situation aber zusätzlich an, bevor eine Busse verschickt wird», so Jaun weiter.
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