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Verrücktes Autorennen
Während 84 Menschen sterben, fahren sie einfach weiter

Ein seltenes Bild in Le Mans: Ferrari startete in diesem Jahr erstmals seit 50 Jahren zu den 24 Stunden – und gewann prompt. 
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Dieses Rennen hat nichts anderes verdient. Natürlich muss es auch beim Jubiläum Spektakel geben, fast im Stundentakt während dieser 24 Stunden, in denen die Boliden am vergangenen Wochenende über die Piste La Sarthe gehetzt sind.

Es knallt gleich zu Beginn an diesem Samstag, Autos bleiben nach ersten Kollisionen stehen, andere schleppen sich in die Boxengasse. Es folgen kleinere und grössere Dramen mit Ausflügen in Kiesgruben, technischen Problemen, Strafen. Emotionen pur, Tag und Nacht, auch bei der Jubiläumsausgabe, bei 100 Jahre 24 Stunden von Le Mans.

Selbstredend müssen da auch die Sieger eine spezielle Geschichte schreiben. Pier Guidi, James Calado und Antonio Giovinazzi heissen sie. Ihr Rennwagen? Ein Ferrari. 50 Jahre machte die Edelmarke nicht mehr mit im Nordwesten Frankreichs. Dann siegen die Italiener auf Anhieb. Hier zu triumphieren, vor den 300’000 motorsportverrückten Fans, ist eine Krönung für jeden Rennfahrer.

Le Mans hat schon viele Helden gemacht, Tragödien geschrieben und für schrille Momente gesorgt. Neun Episoden zum Hundertjährigen.

1923: Mit dem Velo in die Gegenrichtung

Eine 17,26 Kilometer lange Strecke auf unbefestigten, öffentlichen Strassen, 33 Autos mit wagemutigen Piloten: Die Premiere des 24-Stunden-Rennens verspricht einiges an Unterhaltung. Und dann das: Gleich nach dem Start reihen sich die ersten drei Autos ein und kommen auch so ins Ziel. Sieger sind die Franzosen André Lagache und René Léonard in einem Chenard & Walcker.

Die speziellste Geschichte schreibt ein anderer. Am Sonntagvormittag wird der Treibstofftank von John Duffs Bentley von einem Stein durchschlagen, es läuft Benzin aus, Duff bleibt drei Kilometer vor der Boxengasse stehen, das Rennen scheint zu Ende. Doch der Kanadier rennt zu einem Fernsprecher an der Strecke, bittet in der Box um Hilfe. Teamkollege Frank Clement klaut ein Velo von einem Polizisten, fixiert darauf zwei Kanister mit Benzin und radelt in die Gegenrichtung auf der Strecke zum gestrandeten Wagen.

Mit einem Pfropfen flickt er das Leck, füllt den Tank mit Benzin, nimmt auf dem Beifahrersitz Platz, das Velo hinten drauf, so fährt Duff zur Garage. Bald nimmt Clement das Rennen wieder auf, es gibt Rang 4 für das verwegene Duo. Im Folgejahr triumphieren die zwei und feiern den grössten Sieg ihrer Karriere.

Rasende Fahrt auf Rang 4: Die Hilfe für John Duff kam 1923 per Velo. 

1950: Nur ganz kurz pinkeln

Louis Rosier hätte wohl nur ein müdes Lächeln übrig, wenn er von den Regeln hörte, die mittlerweile für 24-Stunden-Rennen gelten. Vier Stunden darf ein Pilot maximal am Steuer sitzen, ehe er aus Sicherheitsgründen einem Kollegen Platz machen muss.

Als Rosier, der 1950 in Silverstone auch seine Premiere als Formel-1-Fahrer erlebt, mit seinem Sohn Jean-Louis nach Le Mans reist, tut er das mit einem kühnen Plan – und ziemlich munter. Am Ende hat er sagenhafte 23 Stunden, 15 Minuten und 17 Sekunden auf dem Fahrersitz verbracht. Sein Sohn dreht nur dann zwei Runden, als der Papa eine kurze Pinkel- und Essenspause einlegt. Der Plan geht perfekt auf, das Vater-Sohn-Gespann gewinnt mit einer Runde Vorsprung.

Hat sich eine Trinkpause verdient: Louis Rosier fuhr 1950 mehr als 23 Stunden und zum grossen Triumph. 

1968: Die Tür öffnet sich bei 300 km/h

Er mag «Wild Willy» genannt werden oder «Kamikaze Willy». Doch was Willy Mairesse 1968 in Le Mans passiert, hat nichts mit dem Wagemut des Belgiers zu tun, sondern mit einer Kombination aus verrückter Regel und Pech.

In Le Mans sitzen die Piloten beim Start nicht in ihren Wagen, nein, sie müssen über die Strecke zu ihren Boliden in der Boxengasse sprinten und schnellstmöglich losfahren. Das wird Mairesse zum Verhängnis. Die Tür seines Ford GT 40 schliesst nicht richtig, bei einem Tempo von knapp 300 km/h springt sie auf, Mairesse versucht, sie zu schliessen, verliert die Kontrolle über das Fahrzeug und kracht in den Zaun. Mit schweren Kopfverletzungen wird er in den künstlichen Tiefschlaf versetzt.

Zwar erholt sich Mairesse innert sechs Monaten körperlich, nicht aber psychisch. Knapp ein Jahr nach dem Unfall wird er mit einer Überdosis Schlaftabletten tot in einem Hotelzimmer in Ostende gefunden.

Der Vorfall veranlasst Fahrerlegende und Landsmann Jacky Ickx 1969 – die Sicherheitsgurte sind soeben eingeführt worden – dazu, gegen die Startprozedur zu demonstrieren. Er rennt nicht wie seine Gegner zu seinem Auto, sondern läuft ziemlich gemächlich dorthin und gurtet sich dann erst einmal an. Als er losfährt, ist der letzte Wagen vor ihm schon längst weg. Ickx gewinnt das Rennen auch so und sorgt dafür, dass die Fahrer 1970 beim Start schon im Auto sitzen und seit 1971 nach einer Einführungsrunde hinter dem Safety-Car mit einem fliegenden Start losfahren.

Sorgte für ein Umdenken in Le Mans: Nach Jacky Ickx’ Demonstration gegen das Startprozedere und seinem Sieg 1969 mussten die Piloten nie mehr zu ihren Autos rennen.

1933: Kaugummis für den Sieg

Tazio Nuvolari raucht während eines Rennens auch einmal eine Zigarette oder trinkt beim Boxenstopp Wein. Doch an diesem 17. Juni 1933 kaut der Italiener plötzlich wie ein Verrückter Kaugummi. Wie das ganze Team von Alfa Romeo. So zumindest wird es erzählt. Nuvolaris Auto hat ein Leck im Tank, einer der Mechaniker hat die Idee, dieses mit der Kaumasse zu flicken. 16 Minuten dauert der ungewöhnliche Rettungsversuch, ehe Nuvolari wieder losfahren kann.

Franco Cortese, ebenfalls in einem Alfa Romeo unterwegs, übernimmt die Führung – verunfallt kurz später aber schwer. Nuvolari ist wieder Erster, muss acht Minuten vor Schluss aber noch einmal an die Box, weil das Benzin ausläuft. Luigi Chinetti, auch er in einem Alfa Romeo, überholt ihn. Es kommt zu einem der spannendsten Duelle der Le-Mans-Geschichte, dreimal wechselt die Führung in der letzten Runde, ehe Chinetti bei einem Überholversuch von einem langsameren Fahrzeug blockiert wird. Nuvolari gewinnt in seinem Kaugummi-Auto mit zehn Sekunden Vorsprung.

Sieg dank Kaugummi: Tazio Nuvolari (Dritter von links) und Teamkollege Raymond Sommer (rechts neben ihm) feiern den Triumph 1933. 

1999: Horrorshow im Mercedes

Plötzlich kennt Peter Dumbreck jeder in der Motorsportszene. Der Brite, zuvor ein eher bescheidener Pilot in der Formel 3, setzt auf einmal zum ganz grossen Flug an. Nach Einbruch der Dunkelheit jagt er mit seinem Mercedes CLR einem Konkurrenten nach, eine leichte Rechtskurve, dann hebt der silberne Wagen ab, senkrecht hoch Richtung Weltall. Er dreht sich mehrmals in der Luft um die eigene Achse, ehe er weit neben der Leitplanke im Wald landet. Dumbreck kommt mit Prellungen davon, Mercedes-Rennleiter Norbert Haug aber zieht das zweite Fahrzeug aus dem Verkehr. Im Training hat schon Dumbrecks Teamkollege Mark Webber zweimal abgehoben. Schuld ist die fragile Aerodynamik, die das Auto vor allem auf Kuppen äusserst instabil macht und für die fürchterlichen Flugeinlagen sorgt.

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1953: Hamilton hat einen Vogel

Die vielleicht irrwitzigste Geschichte von Le Mans liefert der Brite Duncan Hamilton. Während der Vorbereitung auf das Rennen 1953 wird der Jaguar C-Type, den er sich mit Landsmann Tony Rolt teilt, wegen eines technischen Details disqualifiziert. Um den Frust hinunterzuspülen, suchen Hamilton und Rolt die nächste Bar auf. Nach einer durchzechten Nacht, so die Erzählung Hamiltons, werden sie von Jaguar-Gründer William Lyons geweckt, der ihnen die frohe Kunde überbringt, sie dürften doch starten.

Um Hamilton während des Rennens nüchtern zu kriegen, wird ihm während der Boxenstopps Kaffee gereicht, den er jedoch ablehnt: Seine Arme würden danach sonst zucken. Stattdessen trinkt er Brandy. Dieser dürfte Hamilton helfen, als es ihm bei Tempo 210 einen Vogel ins Gesicht schmettert und seine Nase bricht. Trotz all dieser Umstände gewinnen Hamilton und Rolt das Rennen.

Rolt bestreitet die Version mit dem Brandy, eine gute Geschichte ist es aber allemal.

Nach dem Sieg wird munter weitergetrunken: Duncan Hamilton mit gebrochener Nase und Flasche neben Teamkollege Tony Rolt 1953 in Le Mans.

1988: Ein Auto, gebaut für die Niederlage

In Le Mans zu gewinnen, ist für Fahrer wie Team ein Traum. Doch der Rennstall Welter Racing mit dem Schweizer Piloten Claude Haldi versucht das 1988 gar nicht erst. Den Peugeot WM P88 hat er nur dafür gebaut, auf der ewig langen Hunaudières-Geraden möglichst schnell zu sein. In den Kurven dagegen ist der Wagen nur schwer zu steuern, weil er über wenig Abtrieb verfügt.

Das «Projekt 400», für das Reifenhersteller Michelin extra Pneus herstellte, ist von Erfolg gekrönt. Haldis Teamkollege Roger Dorchy erreicht auf der Geraden 405 km/h. Weil dort später Schikanen eingebaut werden, besteht der Rekord bis heute – und dürfte auch kaum je gebrochen werden.

Pfeilschnell auf der Geraden: Der Peugeot WM P88 stellte 1988 mit sagenhaften 405 km/h einen Geschwindigkeitsrekord wohl für die Ewigkeit auf.

2016: Die Aufregung mit den Schweizern

Es ist ein sportliches Drama, das sich in Le Mans 2016 abspielt. Mittendrin: zwei Schweizer. Sébastien Buemi dürfte sich in der Toyota-Garage schon an den Kühlschrank geschlichen haben, um den Champagner herauszuholen. Teamkollege Kazuki Nakajima ist auf dem Weg zum Sieg, in 3 Minuten und 20 Sekunden wird die Zielflagge geschwenkt. Da bleibt das Auto stehen, Probleme mit dem Antriebsstrang.

Nakajima bringt den Wagen wieder in Gang, kann aber nur noch mit Elektromotor fahren und wird in der letzten Runde noch überholt. Von Neel Jani, dem anderen Schweizer, in seinem Porsche. Für Buemi und sein Team kommt es noch schlimmer: Weil Nakajima für die letzte Runde über sechs Minuten braucht, fällt der Toyota, der als Zweiter ins Ziel kommt, auch noch aus der Wertung. Für Jani dagegen ist es bis heute der grösste Sieg seiner Karriere.

Buemi holt Verpasstes danach aber mehr als nach. Der Vaudois siegt 2018, 2019, 2020 und 2022 und löst damit den dritten Schweizer Le-Mans-Sieger Marcel Fässler (2011, 2012, 2014) an der Spitze des nationalen Rankings ab. Mit Sauber gewann 1989 auch ein Schweizer Team in Le Mans.

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1955: Die grosse Tragödie

Es ist die dritte Stunde angebrochen in Le Mans. Mike Hawthorn führt in seinem Jaguar. Er wird dabei unerbittlich gejagt von Mercedes-Pilot Juan-Manuel Fangio, mit dem er sich eine erbitterte Privatfehde liefert.

Hawthorn hat gerade Pierre Leveghs Mercedes und Lance Macklins Austin-Healey überrundet, da merkt er wohl, dass ihm das Benzin ausgeht. Hawthorn zieht abrupt nach rechts, trotz Vollbremsung kommt er erst 80 Meter hinter seiner Boxencrew zu stehen. Mit diesem Manöver löst der Brite, der im Rennwagen stets mit Fliege oder Krawatte und mit weissem Hemd unterwegs ist, die grösste Tragödie der Motorsportgeschichte aus.

Hinter ihm bremst Macklin voll ab und zieht nach links, Levegh kann nicht mehr ausweichen. Der Franzose knallt mit seinem Mercedes ins Heck von Macklin, hebt ab, prallt in einen Erdhügel, wird aus dem Auto geschleudert – er überlebt nicht. Trümmerteile, teils in Brand geraten, fliegen in die Zuschauer, 83 von ihnen verlieren ihr Leben. Das Unfassbare: Das Rennen wird nicht abgebrochen. Der Sieger? Ausgerechnet Hawthorn.

Mercedes zieht seine beiden übrig gebliebenen Autos vom Rennen ab und bleibt dem Motorsport in der Folge fern. Erst über 30 Jahre danach kehren die Deutschen als Motorenlieferant von Sauber in der Sportwagen-WM zurück in den Rennsport. Auch die Schweiz zieht ihre Konsequenzen und erlässt ein Rundstreckenverbot, das erst 2022 aufgehoben wird.

Ein Bild der Zerstörung: Helfer versuchen, verletzten Zuschauern zu helfen, nachdem Trümmerteile des völlig demolierten Mercedes von Pierre Levegh in die Menge geflogen sind. 83 Zuschauer und der Fahrer sterben.