Berlin baut ein Notspital in drei Wochen
In Deutschland gibt es dreimal so viele Intensivpflegeplätze pro Kopf wie in der Schweiz. Und es sollen noch viel mehr werden.
Angela Merkel muss zu Hause in Quarantäne. Der Arzt, der die deutsche Kanzlerin am Freitag prophylaktisch gegen Pneumokokken geimpft hatte, sei inzwischen positiv auf das Coronavirus getestet worden, teilte Merkels Sprecher Steffen Seibert am Sonntagabend mit. Die 65-Jährige werde auch von zu Hause aus ihren Dienstgeschäften nachgehen. Sie werde sich «in den nächsten Tagen regelmässig testen lassen, weil ein Test jetzt noch nicht voll aussagekräftig wäre», erklärte Seibert.
Telefon oder Video
Eine gute Stunde zuvor hatte Merkel im Kanzleramt die neuen Ausgangsregeln erläutert, auf die sich Bund und Bundesländer am Nachmittag geeinigt hatten. Dass sie persönlich vom Coronavirus betroffen sein könnte, erfuhr sie erst danach. Seit einer Woche tritt die Kanzlerin fast jeden zweiten Tag vor den Medien auf, ihr Kabinett tagt quasi permanent, meist in Person. Alle anderen Besprechungen finden aber per Video- oder Telefonschalte statt. Auch Vizekanzler Olaf Scholz verbrachte vergangene Woche einen Tag in häuslicher Quarantäne.
Die verschärften Massnahmen, die Merkel für Deutschland verkündete, laufen auf eine Art Kontaktsperre hinaus: Mit der Ausnahme von Familien dürfen sich ab sofort nicht mehr als zwei Personen zusammen in der Öffentlichkeit bewegen. Alle müssen Abstand halten, Restaurants werden geschlossen. Einzelne Bundesländer hatten bereits am Freitag eine Art Ausgangssperre erlassen, allerdings mit Ausnahmen, etwa fürs Einkaufen, für den Weg zur Arbeit oder Arztbesuche. Die Kontaktsperre dürfte im Ergebnis etwa auf dasselbe hinauslaufen. Die «überwältigende Mehrheit» halte sich bereits jetzt an die schärferen Regeln, sagte Merkel. «Das berührt mich sehr.»
Selbst ein ländlich geprägtes Bundesland wie Thüringen mit seinen 2 Millionen Einwohnern möchte nun schnell von 650 auf 1400 Plätze aufstocken.
In Deutschland steigt die Zahl der Infizierten derzeit besonders schnell – und damit die Angst vor einer Überforderung der Spitäler. Etwa jeder siebte Covid-19-Patient braucht medizinische Hilfe, jeder zwanzigste eine Intensivpflege. Bei bereits 25'000 Infizierten rollt absehbar auch auf die deutschen Spitäler eine enorme Last zu.
Bund und Länder haben deswegen letzte Woche beschlossen, die Zahl der Intensivpflegeplätze so schnell wie möglich zu verdoppeln. Der Notfallplan sieht überdies vor, Hallen, Hotels und Rehastationen zu provisorischen Behandlungszentren für leichtere Fälle umzurüsten. In der Berliner Messe wird dafür sogar ein Notspital für 1000 Patienten aufgebaut, innert drei Wochen. Die Hauptstadt folgt damit Beispielen aus China und Italien: In Wuhan wurden innert Tagen zwei grosse Notspitäler gebaut, in Mailand entsteht gerade eines für 500 Patienten.
Weitere Kapazitäten möchte man frei machen, indem die Kliniken Operationen verschieben, die nicht akut notwendig sind. Experten schätzen, dass sich auf diese Weise die Zahl der freien Intensivpflegebetten um 30 bis 60 Prozent erhöhen liesse. Noch sperren sich viele Spitäler dagegen, insbesondere weil die Wirtschaftlichkeit darunter leidet. Gerald Gass, Chef der Krankenhausgesellschaft, hält die Verdopplung für unerreichbar. Allenfalls 20 Prozent könne man in einigen Wochen schaffen.
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Ein europäischer Vergleich zeigt, dass Deutschland sich auf hohem Niveau sorgt. Kein anderes Land verfügt über so viele Intensivpflegeplätze pro Kopf der Bevölkerung: In Deutschland sind es fast 34 pro 100'000 Einwohner, in Österreich immerhin 22, in Italien 12,5, in Frankreich 11,5, in der Schweiz 11, in Grossbritannien nur 6,5. In absoluten Zahlen gibt es in der Schweiz rund 1000 Plätze – gleich viele wie in der 3,6-Millionen-Stadt Berlin. Aber auch ebenso viele wie in den Niederlanden, die doppelt so viele Einwohner zählen wie die Schweiz. Dennoch senden selbst in Deutschland grosse Spitäler bereits Warnsignale aus: Die Covid-19-Patienten drohten die Kliniken bald zu überfordern.
Überall in Europa arbeitet man deswegen eilig daran, die Kapazitäten in der Intensivpflege auszubauen. In den am meisten betroffenen Gebieten der Lombardei etwa wurde Anfang März die Anzahl verfügbarer Betten innert Tagen nahezu vervierfacht. Berlin möchte seine 1000 Betten jetzt vorsorglich verdoppeln und baut zudem das besagte Notspital, das ebenfalls mit möglichst vielen Intensivpflegeplätzen ausgerüstet sein soll.
Geräte und Personal
Das wichtigste Hindernis bei der Schaffung zusätzlicher Intensivpflegeplätze sind die Beatmungsgeräte. Überall in der Welt bestellen Regierungen und Spitäler derzeit solche Geräte, das Angebot hält mit der Nachfrage bei weitem nicht Schritt. In Europa gibt es nur ein halbes Dutzend Hersteller, unter anderem in Deutschland und in der Schweiz.
Die deutsche Regierung hat gerade 10'000 Geräte bei Dräger in Lübeck bestellt, zudem 6500 bei Löwenstein in Bad Ems. Die Schweiz möchte 900 dazukaufen. Selbst grosse Hersteller produzieren aber nicht mehr als 400 Geräte in der Woche. Wer nicht rechtzeitig Beatmungsmaschinen auftreibt, muss – wie im Elsass – Patienten mit dem Helikopter in weniger überlastete Krankenhäuser fliegen, neuerdings sogar über die Grenze nach Baden-Württemberg, ins Saarland und nach Rheinland-Pfalz.
Ein ähnlich grosser Engpass besteht beim Personal. Deutschland etwa hat zu wenige Intensivpfleger. 2017 ergab eine Studie, dass deswegen drei von vier deutschen Akutpflegeplätzen zeitweise ausser Betrieb waren. 17'000 Planstellen sind in deutschen Spitälern derzeit ausgeschrieben, können aber nicht besetzt werden.
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