Italien streitet über PartisanenliedBella, ciao!
Die Linke will «Bella ciao» zur offiziellen Hymne der Befreiung von Faschisten und deutschen Besatzern erheben. Die Rechte schäumt. Vom Mythos der Weltballade für Aufständische und Bewegte.
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Es gibt Lieder, die liegen so rund im Ohr, dass man sie da kaum mehr rausbringt. «Bella ciao», eine italienische Hymne des Widerstands, ist so ein Lied: ein Titel für die Ewigkeit. Ein paar Verse nur, ein langer, einfacher Refrain, eine eingängige Melodie. Die erste Strophe handelt von einem Partisanen, der eines Morgens aufwacht und seine Liebe verlässt, weil ihn ein nicht weiter definierter Eindringling dazu zwingt – weg, in den sicheren Tod, heldenhaft.
Una mattina mi son svegliato / oh bella, ciao! bella, ciao! bella, ciao, ciao, ciao! / una mattina mi son svegliato / e ho trovato l’invasor
Die Rechte hält die Idee für eine Provokation, und das ist schon bemerkenswert – 75 Jahre nach Ausrufung der Republik.
Wenn man nun in Italien gerade mit viel Inbrunst über dieses alte Lied streitet, dann liegt es daran, dass Parlamentarier linker Parteien und der Cinque Stelle vorgeschlagen haben, «Bella ciao» zur offiziellen Hymne des 25. Aprils zu machen, des Gedenktags also für die Befreiung von Faschismus und deutscher Besatzung. Der Volksgesang stehe, schreiben sie, für die «höchsten Werte der Republik» und gehöre endlich institutionalisiert. Die Gesetzesvorlage besteht aus einem einzigen Artikel und zwei Kommata. Kommt sie durch, würde in Zukunft am 25. April bei offiziellen Anlässen «Bella ciao» ertönen, gleich nach der Nationalhymne.
Die Rechte empfindet das Ansinnen als Provokation. «Bella ciao», sagen sie, sei zu links, ein parteiisches Lied, eines, das spalte. Und das ist schon mal bemerkenswert, 75 Jahre nach Ausrufung der Republik, die ja im Antifaschismus geboren wurde, so steht es auch in der Verfassung.
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Italien hat die dunklen Kapitel seiner jüngeren Geschichte nie ernsthaft aufgearbeitet, die Gräben sind noch immer tief, selbst in der elementaren Sicht auf das «Ventennio», die zwanzigjährige Herrschaft des Faschistenführers Benito Mussolini. Es gibt in Italien nicht einmal ein Museum zum Faschismus, das die Zeit historisch einbetten würde, also etwa die Gräueltaten bei den pseudoimperialistischen und vor allem grössenwahnsinnigen Feldzügen des Duce am Horn von Afrika, die Achse mit Adolf Hitler, die Rassengesetze, die Deportationen von Juden im Zweiten Weltkrieg.
Ein Seitenaspekt im grossen Grabenkampf, aber sehr bezeichnend
«Bella ciao» ist ein Seitenaspekt. Doch die Debatte über die Erhebung zur Hymne für alle spiegelt die fortwährende Zerrissenheit in den wichtigeren Fragen. Zu links? Das ist ein Mythos, das Gegenteil ist wahr: Von allen Partisanenliedern ist «Bella ciao» das ökumenischste.
Wo es ursprünglich herkommt, ist umstritten. Die Melodie erinnert stark an ein Lied des Akkordeonisten Mishka Ziganoff, eines Rom aus dem ukrainischen Odessa, das 1919 in New York aufgenommen worden war. Während des Faschismus gab es viele Lieder, die das Gemüt von Mussolinis Gegnern heben sollten. Und Mussolini hasste sie alle so sehr, dass er Leute auf der Strasse verhaften liess, wenn sie solche Stücke nur pfiffen oder vor sich her summten. Zu subversiv.
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Im Krieg war «Bella ciao» aber fast überhaupt nicht bekannt. In der Resistenza gab es viel berühmtere Lieder, vor allem jenes der Kommunisten: «Fischia il vento». Es kündete vom «roten Frühling». Auch alle anderen Partisanengruppen hatten ihre Lieder, die Christdemokraten, die Republikaner, die Sozialisten. «Bella ciao» wurde vor allem von der Brigata Maiella gesungen, einer später hoch dekorierten Einheit aus den Abruzzen, und dazu in den Hügeln hinter Bologna und Reggio Emilia, ein bisschen im Piemont. Die Brigata Maiella war republikanisch und basta.
Als die Democrazia Cristiana ihren Kongress mit dem Lied beendete
Erst lange nach dem Krieg wurde «Bella ciao» zu dem, was es heute ist, nämlich zur Paradehymne, mit der alle Freiheitsliebenden sollten leben können, ganz ohne parteiische Tönung. 1976 beschloss die Democrazia Cristiana ihren Parteikongress mit «Bella ciao» – viel unkommunistischer geht es wohl nicht.
Und wenn ich als Partisane sterbe / oh bella, ciao! bella, ciao! bella, ciao, ciao, ciao! / Und wenn ich als Partisane sterbe / musst du mich begraben.
Und zwar im Schatten einer schönen Blume, und wer dann daran vorbeigehen werde, soll wissen, dass dies die Blume des Partisanen sei, der für die Freiheit starb.
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Mit der Zeit wurde das Lied immer grösser, überall auf der Erde, interpretiert von Weltstars: Milva, Yves Montand, Woody Allen, Tom Waits, Manu Chao, sogar Steve Aoki, der DJ, liess schon dazu tanzen. Kein italienisches Lied ist bekannter, auch «O sole mio» und «Volare» nicht: Online wurde «Bella ciao» über eine Milliarde Mal angeklickt.
Bauern im indischen Punjab, kurdische Kämpferinnen in Kobane – «Bella ciao» ist zum Ohrwurm der Bewegten geworden.
Natürlich half, dass die Macher von «Casa de Papel», der erfolgreichen Serie auf Netflix über die Zentralbankräuber aus Spanien, «Bella ciao» prominent in den Soundtrack mischten. Bauern im indischen Punjab singen «Bella ciao», um sich Mut zu machen in ihrem Kampf für mehr Würde. Die kurdischen Kämpferinnen in Kobane intonierten «Bella ciao», als sie in den Krieg gegen den IS zogen. In Chile, in Hongkong, im Libanon, in der Türkei – überall, wo Menschen sich gegen Unterwerfung auflehnen, gegen Missstände und Diktatoren, für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit in der globalisierten Welt, ertönt immer bald «Bella ciao».
Es ist zur globalen Ballade des Aufstands geworden, zum Ohrwurm der Bewegten.
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Und in Italien streiten sie also, als wäre das Lied des Teufels. Klar, «Bella ciao» war auch die Hymne der Gegner von Silvio Berlusconi, dem leichtfüssigen Chefrelativierer des Faschismus. Mit «Bella ciao» wurde Matteo Salvini, der Chef der rechten Lega, jeweils empfangen, wenn er auf seinen Touren durch Italien Etappe in den Städten machte. Als die Bürgerbewegung «Sardine» 2019 in Bologna die dortige Piazza Maggiore mobilisierte, sang das Volk aus Zehntausenden Kehlen im Chor «Bella ciao» – gegen die Lega und deren Griff nach der Region. Salvini sagte danach, ihm gefielen Ricchi e Poveri besser, so heisst eine alte Schlagerband.
Und die Enkelin des Duce will den Fernseher ausschalten
Besonders die Postfaschisten sind gegen den Vorschlag der Linken, wobei die ja auch gern mit Hymnen spielen: Sie nennen sich «Fratelli d’Italia». So beginnt die italienische Nationalhymne, und niemand hat sie daran gehindert, das «Lied der Italiener» zu kapern. Rachele Mussolini, die Enkelin des Duce und Politikerin der Fratelli d’Italia, hat sich auch schon gemeldet. «Ich würde», sagte sie, «am 25. April einfach Fernseher und Radio ausschalten.» Bella, ciao!
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