Energienutzung gegen NaturschutzBeim Stromversorgungsgesetz droht ein Scherbenhaufen
Rund ums Thema Strom herrscht ein Kampf um Aufmerksamkeit und politische Deutungshoheit. Das könnte die Versorgungssicherheit gefährden.
Vordergründig sind sich alle einig: Die Stromversorgungssicherheit muss gestärkt werden. Ein wichtiger Teil des Planes der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist das Gesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien.
Nun möchte sich auch das bürgerliche Lager mit dem Thema profilieren. Es hat von Kommunikationsberatern einen Plan ausarbeiten lassen – mit folgendem Ziel: «Bürgerliche und die Wirtschaft sollen stärker im Agendasetting werden und mehr Deutungshoheit zum Thema Energieversorgung und Klimaschutz erlangen.» So steht es in einem von der Agentur Furrerhugi ausgearbeiteten Strategiepapier, das dieser Redaktion vorliegt.
Schutz der Biotope aufheben
Erreichen will das bürgerliche Lager dieses Ziel mit der Forderung nach einer Schwächung des Naturschutzes: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sollen Nutzungsinteressen gegenüber Schutzinteressen Priorität haben. Das Bauverbot für Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien in Biotopen soll gestrichen werden.
Diese Forderung liegt zwar bereits auf dem Tisch, in Form einer parlamentarischen Initiative von Mitte-Nationalrat Sidney Kamerzin. Die vorberatende Nationalratskommission hat sie gutgeheissen. Doch bürgerliche Ständeräte wollen diese Priorisierung nun nicht separat beraten, sondern in Sommarugas Gesetz einbauen.
Das könnte die gesamte Vorlage gefährden. Denn die Fronten sind beidseits verhärtet.
Für die Naturschutzorganisationen ist die geltende Regelung zu den Biotopen eine rote Linie: Den Schutz aufzuheben, sei «ein absolutes No-go für den Artenschutz», sagt Jonas Schmid vom WWF Schweiz. Auch für Pro-Natura-Präsidentin und SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel kommt das «absolut nicht infrage».
Wird der Schutz gestrichen, dürften Organisationen wie WWF und Pro Natura, die über das linke Lager hinaus Unterstützung geniessen, das Referendum ergreifen.
Dessen ist sich das bürgerliche Lager bewusst: «Die konsultierten Ständeräte sind zuversichtlich, im Ständerat Mehrheiten für diese Anträge zu kriegen, indes mit einem hohen Risiko, dass dann das Referendum ergriffen wird, sofern auch der Nationalrat zustimmt», heisst es im Strategiepapier. Deshalb sei es wichtig, dass der Gesetzgebungsprozess kommunikativ flankiert werde.
Widerstand auch von rechts
Nicht erwähnt wird im Papier, dass es auch von rechts Widerstand gegen das Gesetz gibt. Der SVP sind vor allem die Subventionen für erneuerbare Energien ein Dorn im Auge. In der Vernehmlassung lehnte die Partei die Vorlage ab. SVP-Nationalrat Christian Imark sagt, die SVP werde erst am Ende der Beratungen entscheiden, ob sie die Vorlage unterstütze oder nicht. Er sehe aber – nach den «Verschlimmbesserungen» des Ständerates beim CO2-Gesetz – geringe Chancen, dass sie besser werde.
Falls sich die SVP dagegenstellt, würde das Gesetz, das die Stromversorgungssicherheit stärken soll, von links und rechts bekämpft – ein Scherbenhaufen auf Kosten der Versorgungssicherheit.
Warum nehmen bürgerliche Ständeräte dieses Risiko in Kauf? FDP-Ständerat Ruedi Noser will nicht über konkrete Anträge sprechen, sagt aber, es gehe darum, «die Ehrlichkeit herauszufordern»: «Die Naturschutzorganisationen müssen sich entscheiden, ob sie beim Ausbau der erneuerbaren Energien Kompromisse machen wollen – oder aber Gaskraftwerke akzeptieren.» Das links-grüne Lager müsse sich bewegen, sagen auch andere Ständeratsmitglieder. Es gehe nicht an, von vornherein rote Linien festzulegen.
«Das Herz der Biodiversität»
Die Naturschutzorganisationen sehen das anders. Die Biotope von nationaler Bedeutung machten nur gerade zwei Prozent der Landesfläche aus, sagt Schmid vom WWF. «Sie der Energieversorgung zu opfern, steht in keinem Verhältnis zum Schaden an Natur und Artenvielfalt.» Diese Biotope – Moore, Trockenwiesen, Auen – seien das «Herz der Biodiversität» in der Schweiz. Sie dienten einem Drittel der bedrohten Arten als Rückzugsgebiet.
Dass Ausbauprojekte im Rahmen des bestehenden Schutzes realisiert werden könnten, habe der runde Tisch zur Wasserkraft gezeigt, sagen die Naturschützer. Kantone, Vertreter der Energiebranche und Umweltorganisationen unterzeichneten vor kurzem eine Absichtserklärung zum Ausbau der Speicherwasserkraft. Die Teilnehmenden bekannten sich darin zum Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung. Die Naturschutzorganisationen hätten eben erst weitreichende Kompromisse gemacht, sagt Pro-Natura-Präsidentin Schneider Schüttel. «Diesen gemeinsamen Schritt zur Energiewende zu torpedieren, ist unverantwortlich.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.