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Schweizer Ukraine-Hilfe
Begrüsst das Parlament Selenski mit 5 Milliarden Franken?

Am 19. März 2022 sprach Wolodimir Selenski vor dem Bundeshaus, nächste Woche wird seine Rede im Bundeshaus übertragen. Kurz zuvor stimmt das Parlament über ein beispielloses Hilfspaket für die Ukraine ab.
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Seit einem Jahr streiten National- und Ständerat über Wege, die Weitergabe von Schweizer Waffen an die Ukraine zu ermöglichen. In jeder Session. Alle drei Monate. Viel Drama. Kein Ergebnis.

Doch dieses Mal, in der Sommersession, ist etwas anders. Denn jetzt ist es definitiv: In der dritten Sessionswoche, am 15. Juni, wird der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski persönlich zu den eidgenössischen Räten sprechen, per Videoschaltung. Erhöht Selenskis Auftritt die Chancen auf konkrete Entscheide? Begrüsst das Parlament den ukrainischen Staatschef mit einem Geschenk?

Eigentlich gäbe es in beiden Räten schon lange eine theoretische Mehrheit für einen Waffenkompromiss. Doch diese theoretische Mehrheit ist bisher immer zusammengebrochen, sobald es konkret wurde. So versenkte der Nationalrat letzte Woche auch eine «Lex Ukraine», eine spezifische Ausnahmeregelung zur Weitergabe von Waffen. Eine andere Gesetzesversion ist zwar in Arbeit, doch wird das Parlament erst später darüber befinden können.

Endet also auch diese Session in Sachen Ukraine ergebnislos – trotz Selenskis Rede? Nicht, wenn es nach Mathias Zopfi geht.

Ein Befreiungsschlag für die Schweiz?

Der Ständerat der Grünen aus dem Glarnerland hat sich in seinen ersten drei Jahren im Bundeshaus den Ruf eines Pragmatikers erworben. Zopfi ist gegen Waffenexporte, auch indirekte. «Ich sehe die Rolle der neutralen Schweiz an einem anderen Ort», sagt er beim Gespräch in den düsteren Katakomben des Bundeshauses. Deshalb versucht es Zopfi nun mit einem anderen Konzept: Wenn die Schweiz aus Neutralitätsgründen schon keine Waffen liefern kann, dann soll sie dafür bei der humanitären Hilfe mehr tun als andere Länder.

5 Milliarden Franken: So viel Geld soll die Schweiz in den nächsten fünf bis zehn Jahren für die Ukraine reservieren, fordert Zopfi in einer Motion, die genau jetzt, nur Tage vor Selenskis Auftritt, auf der Tagesordnung des Parlaments steht. Der Bundesrat soll, so fordert Zopfi, ein spezielles Gesetz vorlegen, das die Rahmenbedingungen regelt. Statt einer «Lex Ukraine» für die Waffen also eine «Lex Ukraine» für humanitäre Hilfe.

«Statt dauernd darüber zu diskutieren, wo wir nicht helfen können, sollten wir dort mehr tun, wo wir problemlos helfen können», sagt Zopfi. Seit Monaten stehe die Schweiz international am Pranger, weil sie der Ukraine keine Waffen liefere. «Nun haben wir die Chance, auch einmal positive Signale auszusenden.»

«Endlich handeln!»: Mathias Zopfi, Ständerat der Grünen aus dem Kanton Glarus.

Fünf Milliarden, das wäre ein neues Niveau in der Schweizer Ukraine-Hilfe. Bisher hat die Schweiz laut dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) für die Menschen in der Ukraine und in den Nachbarstaaten rund 280 Millionen Franken ausgegeben. Für 2023 und 2024 sind weitere 300 Millionen vorgesehen. Und von 2025 bis 2028 will der Bundesrat aus dem Topf der Entwicklungshilfe Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Franken zugunsten der Ukraine reservieren.

Dass dies zu wenig ist, findet nicht nur Zopfi. Politiker aus allen Parteien haben seinen Vorstoss mitunterzeichnet, sogar ein SVP-Vertreter, der Thurgauer Ständerat Jakob Stark. Auch im Nationalrat wurde Zopfis Idee aufgenommen – und hat dort sogar eine knappe Mehrheit in der Aussenpolitischen Kommission gefunden. Doch nun wird es ernst: Am kommenden Donnerstag stimmt der Nationalrat über den 5-Milliarden-Vorschlag ab, am nächsten Montag der Ständerat.

«Wir müssen uns nicht genieren!»

Hans-Peter Portmann, Nationalrat FDP

Kurz nach dem Gespräch mit Zopfi nimmt einen Stock höher Hans-Peter Portmann auf einem grünen Polstersessel in der Wandelhalle Platz. Er regt sich über die Vorstösse von Zopfi und der Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission auf. «Was für ein unseriöser Politaktivismus!»

Portmann wird im Nationalrat der Mann sein, der dagegen antritt. Gefordert werde ein «Fantasiebetrag ohne einen konkreten Bedürfnisnachweis», sagt der FDP-Nationalrat. Dass die Schweiz in der Ukraine humanitär helfen und sich am Wiederaufbau beteiligen soll: «Natürlich!» Dass dafür grosse Summen nötig sind: «Zweifellos!» Die Zahl von fünf Milliarden Franken aber sei aus der Luft gegriffen und lasse ausser Acht, dass sich die Schweiz bereits stark engagiere – in der Ukraine selber und auch bei der Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge. «Wir müssen uns nicht genieren», sagt Portmann.

Tatsächlich?

Schweiz nur auf Rang 27

Wenn man internationalen Statistiken glaubt, steht die Schweiz schlecht da. Seit Kriegsbeginn untersucht das Institut für Weltwirtschaft in Kiel die Hilfeleistungen von 40 Ländern. In einer seiner Statistiken addiert das Institut die Unterstützungsleistungen für Waffen und humanitäre Hilfe sowie die geschätzten Ausgaben für ukrainische Flüchtlinge. Hier liegt die Schweiz, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, auf den hinteren Rängen – gegenwärtig auf Rang 27.

Bisher hat die Schweiz der Ukraine bilaterale Hilfe im Umfang von 0,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zugesagt. Die Hilfe für Flüchtlinge beläuft sich auf 0,2 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Polen, Lettland und Estland geben über 2 Prozent des BIP aus. Auch das am ehesten mit der Schweiz vergleichbare Österreich steht in der Kieler Statistik weit vor der Schweiz.

«Was für ein unseriöser Politaktivismus!» Hans-Peter Portmann, Nationalrat der FDP aus dem Kanton Zürich.

SP-Nationalrat Fabian Molina findet das schlechte Abschneiden der Schweiz skandalös. Die verbreitete Meinung, dass die Schweiz zwar keine Waffen liefere, dafür aber grosszügig humanitäre Hilfe leiste und mit guten Diensten punkte, sei schlicht falsch. Es gehe um die grundsätzliche Frage, welche Rolle die Schweiz auf der Welt spielen wolle. «Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, was wir nicht wollen.» 

Der Plan B

Das EDA meldet jedoch Vorbehalte zur Zuverlässigkeit der Kieler Zahlen an. Das EDA argumentiert, das Institut stütze sich primär auf Ankündigungen, während die Schweiz die effektiv geleisteten Zahlungen kommuniziere. Lieber verweist das EDA auf die OECD-Statistik zur öffentlichen Entwicklungshilfe. Dort liegt die Schweiz bei der Ukraine-Hilfe zwar auch nicht auf den vordersten Rängen, aber immerhin auf dem 9. Platz.

«Nach über einem Jahr Krieg sollten wir endlich anfangen zu handeln.»

Mathias Zopfi, Ständerat des Kantons Glarus. 

In den Kieler Zahlen hingegen sei auch die Militärhilfe eingerechnet, und solche leiste die Schweiz bekanntlich nicht, schreibt das EDA. Das sei genau der Punkt seines Vorschlags, kontert Zopfi. Gerade weil die Schweiz keine Waffen liefere, müsse sie bei der humanitären Hilfe mehr tun als andere.

Doch Zopfis Idee stösst nicht nur bei Portmann und seiner FDP auf Widerstand. Die Mitte-Fraktion hat sich letzte Woche fast geschlossen dagegen ausgesprochen. Die SVP dürfte sowieso Nein stimmen. Damit sieht es für Zopfis Vorschlag in beiden Kammern schlecht aus.

Doch nun wird im Bundeshaus ein Plan B diskutiert: eine separate Abstimmung über die einzelnen Forderungen der Motion. Eine davon könnte nämlich eher eine Mehrheit finden: die Forderung, eine separate Rechtsgrundlage für die Unterstützung der Ukraine zu schaffen. Das Parlament würde damit Hilfe versprechen, vorerst ohne einen Betrag zu nennen.

Immerhin «ein Bekenntnis»

Ein Ukraine-Gesetz ohne Preisschild also. Wäre das nicht eine leere Hülle?

Zopfi widerspricht: Ein solcher Entscheid wäre immerhin «ein Bekenntnis». Es würde den Bundesrat nämlich zwingen, dem Parlament ein Unterstützungsgesetz für die Ukraine vorzulegen. Zwar sagt auch der Bundesrat, er werde «in den nächsten Monaten» über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage «diskutieren».

Diskutieren? «Nach über einem Jahr Krieg sollten wir endlich anfangen zu handeln», findet Zopfi. Vor allem würde ein separates Ukraine-Gesetz seiner Meinung nach auch die Gefahr reduzieren, dass die Hilfe für Kiew am Ende bei der Entwicklungshilfe für Afrika oder Asien weggespart würde. Genau davor warnt Alliance Sud, der Verband der Hilfswerke, seit längerem. Erste finanzielle Vorentscheide des Bundesrats deuten zumindest in diese Richtung.

Was tut das Parlament in dieser Situation, wenn es wenige Tage vor Selenskis Auftritt über Zopfis Forderung abstimmt? Sicher ist derzeit nur: Es wird wieder viel diskutiert.

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