Denkwürdiger Tag im TenniskrimiDas Visum ist wieder weg, es wird eng für Djokovic
Der Serbe stelle ein Risiko für die Australier dar, deshalb will ihn der Einwanderungsminister ausweisen. Doch Djokovic kämpft weiter. Showdown ist am Sonntag im Bundesgericht.
Wenn in der Vergangenheit von einem Tenniskrimi geschrieben wurde, dann waren dramatische Wenden, ellenlange Tiebreaks oder abgewehrte Matchbälle gemeint. Durch den Fall Djokovic hat dieser Begriff eine ganz andere Bedeutung bekommen. Und der Freitag war ein weiterer denkwürdiger Tag in dieser Saga, die Melbourne, ja die ganze Tenniswelt seit einer Woche in Atem hält.
Novak Djokovic trainierte am Freitagvormittag wie gewohnt in der Rod Laver Arena, um sich aufs Australian Open vorzubereiten. Doch der Serbe wirkte nachdenklich, lächelte kaum. Seine Einheit vom Nachmittag sagte er später ab. Das Urteil von Einwanderungsminister Alex Hawke schwebte wie ein Damoklesschwert über ihm. Die stets gut informierte Tageszeitung «The Age» hatte spekuliert, Hawke werde seinen Entscheid so lange wie möglich hinauszögern, um die Teilnahme des neunfachen Champions am Turnier weiter zu verkomplizieren.
So kam es dann auch. Erst um 17.52 Uhr gab Hawke bekannt, dass er seine persönliche Befugnis ausübt, um dem 34-Jährigen das Visum ein zweites Mal zu entziehen. Dessen Anwälte waren 20 Minuten zuvor informiert worden, die schriftliche Begründung folgte kurz nach 18 Uhr.
Hawke stützt sich auf eine Richtlinie von 1958, gemäss welcher der Einwanderungsminister ein Visum streichen kann, wenn eine Person ein Risiko für die australische Bevölkerung darstellt. Diese kann danach drei Jahre lang kein Visum mehr beantragen, ausser es liegen «triftige Gründe» für ein solches vor.
Als der Minister gesprochen hatte, lief Bundesrichter Anthony Kelly zu Hochform auf. Der Mann, der Anfang Woche dem Tenniscrack das Visum wieder zugesprochen hatte, trommelte noch am Freitagabend die beiden Parteien kurzfristig zusammen, um das weitere Vorgehen zu bestimmen. Die Regierung stellte einen neuen Juristen, den erfahrenen Stephen Lloyd, der per Handy immer wieder Anweisungen seiner Chefs erhielt.
Das Gericht übertrug die Anhörung ab 20.45 Uhr auf seinem Youtube-Kanal live, weil der gerichtseigene Stream wegen der vielen Zuschauer am Montag abgestürzt war. Doch weil sich weltweit gegen 50’000 zuschalteten, ruckelte phasenweise auch dieser Stream. Immerhin: Es wurde kein Porno eingespielt, wie dies am Montag Hacker kurz getan hatten.
«Jede Minute, die wir haben, bevor am Montag das Turnier beginnt, ist extrem wertvoll.»
Djokovics wortgewandter Anwalt Nicholas Wood machte gleich klar, dass ihn sein Klient angewiesen habe, alles zu unternehmen, um dessen Verbleib in Melbourne und die Teilnahme am Australian Open zu erwirken. Er kritisierte Minister Hawke, der so lange zugewartet hatte mit seinem Entscheid, und betonte, dass es nun gelte, aufs Tempo zu drücken. «Jede Minute, die wir haben, bevor am Montag das Turnier beginnt, ist extrem wertvoll», sagte Wood. Seinen schriftlichen Antrag reichte er unverzüglich ein.
Man verständigte sich darauf, dass es wie folgt weitergehen würde: Djokovic wird am Samstag früh um 8 Uhr nochmals von der Einwanderungsbehörde verhört. Danach darf er sich von 10 bis 14 Uhr mit seinen Anwälten beraten, ehe er den Rest des Tages und die Nacht wieder in Gewahrsam verbringen muss, also ohne Training. Am Sonntagvormittag steht dann die Verhandlung vor dem Bundesgericht Australiens an, als Richter wurde David O’Callaghan eingesetzt.
Gemäss Wood habe Minister Hawke seine Entscheidung, Djokovic das Visum nochmals zu entziehen, damit begründet, dass dessen Anwesenheit in Melbourne die Impfgegner anstachle. Es gebe allerdings, so der Anwalt, keine rationale Grundlage, zu behaupten, durch die Ausweisung von Djokovic würden die Impfgegner besänftigt, im Gegenteil.
Hawke hatte seinen Entscheid, Djokovic das Visum wieder zu entziehen, wie folgt verkündet: «Heute habe ich von meiner Befugnis gemäss Abschnitt 133C(3) des Migrationsgesetzes Gebrauch gemacht und das Visum von Herrn Novak Djokovic aus Gründen der Gesundheit und der guten Ordnung aufgehoben, da dies im öffentlichen Interesse liegt. Diese Entscheidung folgte auf Anordnungen des Federal Circuit and Family Court vom 10. Januar 2022, der eine frühere Annullierungsentscheidung aus Gründen der Verfahrensgerechtigkeit aufhob.»
Er habe bei diesem Urteil die Informationen sorgfältig geprüft, die ihm das Innenministerium, die australische Grenzpolizei und Djokovic zur Verfügung gestellt hätten. Er proklamierte: «Die Morrison-Regierung ist fest entschlossen, die Grenzen Australiens zu schützen, insbesondere in Bezug auf die Covid-19-Pandemie.»
«Die Australier haben viele Opfer gebracht, und sie erwarten zu Recht, dass das Ergebnis dieser Opfer geschützt wird.»
Premier Scott Morrison begrüsste den Entscheid von Hawke. Er liess verlauten: «Diese Pandemie war für alle Australier unglaublich schwierig, aber wir haben zusammengehalten und Leben und Existenzgrundlagen gerettet. Gemeinsam haben wir eine der niedrigsten Sterberaten, eine starke Wirtschaft und eine der höchsten Impfraten der Welt erreicht. Die Australier haben während dieser Pandemie viele Opfer gebracht, und sie erwarten zu Recht, dass das Ergebnis dieser Opfer geschützt wird. Genau das tut der Minister mit seiner heutigen Massnahme.»
Offensichtlich ist also, dass am Sonntag etwas ganz anderes verhandelt werden wird als noch am Montag, als es um Formfehler gegangen war. Djokovic wurde da dadurch gerettet, dass ihm die Immigrationsbehörden zu wenig Zeit eingeräumt hatten, um sich zu erklären. Diesmal geht es primär um die Frage: Stellt er ein Risiko dar für Australien oder nicht? Er ist, ob er das möchte oder nicht, mit seiner Haltung vielerorts zum Gesicht der Impfgegner geworden. Und damit ist er in den Augen vieler Australier untragbar.
Es geht am Sonntag nicht nur um Djokovics Teilnahme am Australian Open, wo er am Montag gegen seinen Landsmann Miomir Kecmanovic erstmals auftreten sollte. Es geht auch um Weltanschauungen und um politische Karrieren. Die Einsätze sind hoch.
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