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Anklage wegen sexuellen Missbrauchs
Ambri-Spieler droht lange Gefängnisstrafe

BUFFALO, NY - JANUARY 05: Alex Formenton #24 of Canada celebrates his empty net goal which sealed a 3-1 win for Canada during the third period of play in the IIHF World Junior Championships Gold Medal game at KeyBank Center on January 5, 2018 in Buffalo, New York. (Photo by Nicholas T. LoVerde/Getty Images)
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Es geht um Eishockey, den Volkssport der Kanadier, entsprechend hält der Fall das Land in Atem. Die Polizei von London, Ontario, informierte am Montagabend Schweizer Zeit nicht nur erstmals öffentlich, sondern machte die Medienkonferenz auch via Livestream für alle zugänglich.

Um welche Spieler geht es?

Fünf kanadische Spieler sehen sich mit einer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs konfrontiert. Es handelt sich um vier aktuelle NHL-Spieler mit Jahrgang 1998: Cal Foote, Michael McLeod (beide New Jersey), Carter Hart (Philadelphia) sowie Dillon Dubé (Calgary). Der Fünfte ist der frühere NHL-Spieler Alex Formenton, Jahrgang 1999, der bis am 20. Januar 2024 für den Schweizer Club Ambri-Piotta im Einsatz stand.

Alle fünf liessen sich vor knapp zwei Wochen von ihren Arbeitgebern freistellen, um einer Vorladung der Polizei in London nachkommen zu können. Es wurden erst Anklagen erhoben, darum gilt für alle die Unschuldsvermutung, dies wurde auch von der Polizei bei der Medienkonferenz betont. Alle fünf Spieler haben via Anwalt zudem bereits mitgeteilt, dass sie auf unschuldig plädieren werden.

Worum geht es?

Es geht um Ereignisse, die bald sechs Jahre her sind. Alle fünf Spieler waren Teil der U-20-Auswahl, die im Januar 2018 in Buffalo WM-Gold gewann – Dubé und Formenton erzielten beim 3:1-Finalsieg gegen Schweden je einen Treffer, Hart stand im Tor der Kanadier. Mitte Juni desselben Jahres trafen sich mehrere Weltmeister im Rahmen einer Ehrung durch Hockey Canada, den kanadischen Eishockeyverband, in London, Ontario. Dort soll es nach der Veranstaltung in der Nacht in einem Hotelzimmer zu den Übergriffen an einer jungen Frau gekommen sein.

Die in den Akten als E. M. benannte Klägerin traf gemäss ihren Angaben einen der fünf Spieler in einer Bar und ging mit ihm auf das Hotelzimmer, in dem die beiden einvernehmlichen Sex gehabt haben sollen. Danach soll der Spieler ohne ihr Einverständnis per Kurznachrichten weitere Teamkollegen ins Zimmer gelotst haben. Gemäss Aussagen von E. M. sollen sich bis zu acht Spieler im Zimmer befunden haben, angeklagt sind derzeit nur die fünf genannten. Die erste offizielle Anklage lautet gegen alle «sexual assault», also sexueller Missbrauch. Gegen McLeod gibt es zudem eine zweite Anklage wegen «Beihilfe zur Begehung der Straftat».

Wie geht es weiter?

Man muss sich nach fast sechs Jahren Wartezeit auch auf langsam mahlende Gerichtsmühlen einstellen. Am ersten Gerichtstag, dem Montag, bei dem die Spieler nicht zugegen waren, wurde der nächste Termin auf den 30. April festgelegt. Der Verteidigung der Spieler bleiben nun zwölf Wochen Zeit für die Sichtung aller Unterlagen, die ihnen übergeben wurden. Ein eigentlicher Prozess ist noch weit weg, auch wenn die von diversen kanadischen Medien befragten Rechtsexperten davon ausgehen, dass die Behörden dafür genug Evidenz zusammengetragen haben dürften.

Dies soll gemäss der Polizei zunächst nicht der Fall gewesen sein. 2019 wurde der Fall nämlich mangels genügender Beweise eingestellt und erst 2022 wegen neuer Informationen wieder aufgenommen. Und auch auf Druck der Öffentlichkeit und von Sponsoren: Wie der Sender TSN ebenfalls 2022 aufdeckte, soll Hockey Canada bei der Anklage von E. M. für eine aussergerichtliche Einigung gesorgt haben – ohne Konsultation der betroffenen Spieler. Es ist ein weiterer von mittlerweile zahlreichen Fällen, die Hockey Canada mit Zahlungen in Millionenhöhe regelte.

Wie einer der Anwälte der Spieler im Vorfeld der aktuellen Anklagen aber auch publik gemacht hat, sollen zwei wenige Sekunden kurze Videos existieren, auf ­denen die Anklägerin ihre Zustimmung gibt für alle Handlungen im Hotelzimmer.

Wann ein allfälliger Prozess beginnen würde, dürfte erst in mehreren Monaten bestimmt werden. Und ein Beginn vor Ende 2025 scheint bereits jetzt unwahrscheinlich, da das Justizsystem der Provinz Ontario mit massiven Verzögerungen zu kämpfen hat.

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Je nachdem, wie die definitive Anklage bei einem möglichen Prozess lauten würde, wären bei einer Verurteilung einerseits Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren möglich – andererseits sind bei Ersttätern auch vergleichsweise milde Verdikte von rund zwei Jahren möglich.

Die Fragerunde am Ende der Medienkonferenz drehte sich zu einem grossen Teil um die fast sechs Jahre lange Verzögerung und darum, wie diese möglich geworden sei. Allerdings ging die Polizei auf diese Fragen so gut wie nicht ein – die Antworten dazu seien Teil des aktuellen Gerichtsverfahrens, die Öffentlichkeit werde sie aber zu einem späteren Zeitpunkt erfahren.

Wie ist Ambri-Piotta davon betroffen?

Ambri hat Formenton bereits zweimal verpflichtet: zunächst im Dezember 2022. Während die vier anderen Angeklagten im Sommer 2022 alle laufende Verträge bei ihren NHL-Clubs besassen, war jener von Formenton Ende Saison 2021/22 ausgelaufen. Mit seinem Club, den Ottawa Senators, wurde er nicht über eine Verlängerung einig. Der Grund wurde nie publik, aber im Umfeld der NHL fragt man sich, ob die Senators kein Risiko eingehen wollten, solange nicht klar war, ob Formenton mit dem Fall von Hockey Canada in Zusammenhang gebracht werden kann oder nicht.

Ein Risiko, das Ambri bereit war, auf sich zu nehmen – dies, nachdem Formenton auch anderen europäischen Clubs, inklusive solchen in der Schweiz, (erfolglos) angeboten worden war. Es sei ein berechnetes Risiko gewesen, sagte Ambris Präsident Filippo Lombardi kürzlich gegenüber dem TV-Sender Mysports. Man habe zwar gewusst, dass es offene Fragen gebe. Wegen des Freispruchs von Formenton in einer ersten Untersuchung habe Ambri aber mehr als bloss die Unschuldsvermutung geltend machen können. Mit dem «Freispruch» dürfte sich Lombardi auf die Einstellung des Verfahrens 2019 beziehen.

Bereits bei der ersten Verpflichtung Formentons hielt Ambri fest, dass bei weiteren Erkenntnissen aus den Untersuchungen die Situation neu beurteilt und der Vertrag des Spielers mit den Tessinern sofort aufgelöst werden könnte. Da der Kanadier in Ottawa auch letzten Sommer keinen Vertrag unterschrieb (die Senators besitzen nach wie vor seine NHL-Rechte), holte ihn Ambri Mitte Oktober 2023 ein weiteres Mal. Nach 22 Partien in der ersten Saison bestritt er heuer 24 Spiele, bevor er wegen des Gerichtstermins um die temporäre Freistellung bat.

Hat Ambri aus sportlichen Gründen zu hoch gepokert und sich einen Imageschaden zugefügt? Lombardi verneinte dies im selben TV-Interview. Sein Club sei nicht da, um die Justiz zu ersetzen und über Schuld oder Unschuld zu urteilen: «Ich glaube darum nicht, dass wir etwas falsch gemacht haben.»

Die Tessiner äusserten sich noch Montagnacht zu den neuen Entwicklungen. Der Club habe gemeinsam mit dem Spieler entschieden, dass dieser in Kanada bleibe, um seine Verteidigung zu organisieren. Im Weiteren gebe der HCAP zum Fall vorerst keine weitere Stellungnahme ab.

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Wie reagiert die NHL?

Vorerst gar nicht. Ligachef Gary Bettman liess bereits am letzten Wochenende durchblicken, dass er zunächst die Entwicklung des Gerichtsfalles abwarten werde, bevor er Sanktionen ausspreche. Die vier NHL-Spieler haben alle Verträge bis Ende der aktuellen Saison, sie werden ihren Lohn vorerst auch weiter erhalten, auch wenn sie derzeit nicht zum Einsatz kommen.

Allerdings hat Bettman grundsätzlich die Möglichkeit, auch strafrechtlich nicht verurteilte Spieler zu sanktionieren, wenn sie, aus welchem Grund auch immer, für negativen Einfluss auf die NHL sorgen. So oder so ist es auch bei Hart, Dubé, Foote und McLeod unwahrscheinlich, dass sie nach der offiziellen Anklage nun zu ihren Clubs zurückkehren und wieder in den Spielbetrieb integriert werden, als sei nichts geschehen. Affaire à suivre.