«Überfälliges Thema»Als Witwe nimmt sie sich einen Callboy
Mit 62 Jahren den ersten Orgasmus: Wie die englische Schauspielerin Emma Thompson ein tabuisiertes Thema als Tragikomödie aufzieht.
Für sie war das Thema aktuell, und darum hat sie bei diesem Film so gerne mitgemacht, zumal er ein tabuisiertes Thema als Tragikomödie aufzieht, also auch lustig ist, genau wie sie. Jedenfalls spielt Emma Thompson in «Good Luck to You, Leo Grande» eine verwitwete Lehrerin, die sich einen Callboy mietet, um endlich jene sexuelle Lust zu erleben, auf die sie ihr Leben lang verzichten musste.
Der Film sei überfällig gewesen, sagte die englische Schauspielerin während des amerikanischen Sundance-Festivals, wo der Film seine Premiere feierte. Im Film, der fast ausschliesslich in einem Hotelzimmer spielt, geht es um die Ethik der Sexarbeit und um Tabus in Bezug auf Mutterschaft und das Älterwerden – wobei Thompson in mehreren intimen Szenen zu sehen ist.
Aber nicht die Sexszenen sind der Schauspielerin am schwersten gefallen. Sondern jene Einstellung, in der ihre Figur sich nackt im Spiegel betrachtet – und mit sich zufrieden ist. Sie sehe bei solchen Gelegenheiten immer nur ihre Makel, sagt die 62-Jährige im Gespräch mit dem «Blick». Das klingt ein wenig kokett, zumal die Schauspielerin zum Mäkeln nicht den geringsten Anlass hat, weder über ihr Äusseres noch über ihre Karriere.
Die Tochter eines Schauspielpaares, die in Cambridge englische Literatur studierte und auch ein sehr gutes Französisch spricht, hat als Komikerin, Schauspielerin und Drehbuchautorin brilliert. Sie fühlt sich in Shakespeare-Verfilmungen ebenso zu Hause wie in Komödien, historischen Dramen und Thrillern. Sie erhielt sowohl als Schauspielerin wie auch als Drehbuchautorin einen Oscar.
«Wer Schwierigkeiten ausweicht, wird nie etwas verändern können.»
Schon in ihrem zweiten Film, der Komödie «The Tall Guy» von 1989 mit Jeff Goldblum, spielt der Sex eine entscheidende Rolle. Der Film erzählt die Affäre einer resoluten, von Thompson gespielten Krankenschwester mit einem amerikanischen Schauspieler. Unvergessen auch ihr Auftritt in «Peter’s Friends» (1992), in der sich ihre Figur ausgerechnet in einen homosexuellen Studienfreund verliebt. Der aber, gespielt von Stephen Fry, ist «nicht so sehr im Vagina-Geschäft», wie er es in seiner so typischen Art formuliert.
Der Film entstand unter der Regie des Shakespeare-Schauspielers Kenneth Branagh. Thompson war sechs Jahre lang mit ihm verheiratet, bis er sie mit der Schauspielkollegin Helena Bonham Carter betrog – eine Erfahrung, die Thompson im Film «Love Actually» (2003) verarbeitete. Längst würden sich alle wieder vertragen, merkte sie später an, wenn auch leicht boshaft: «It’s blood under the bridge.»
Dass sie eine kämpferische Frau ist, hat sie im Laufe ihrer Karriere nachdrücklich bewiesen. Emma Thompson hat sich von Beginn weg in der #MeToo-Bewegung engagiert und auch schon ein Projekt verlassen, weil es einen notorischen Belästiger einstellte. Sie bekämpfte den Brexit, unterstützt Lohnforderungen von Frauen und macht bei der Klimabewegung mit. Als sie wegen einer Demonstration in den USA transatlantisch aus England einflog, wurde sie als verlogen kritisiert. «Wer Schwierigkeiten ausweicht», sagte sie einmal, «wird nie etwas verändern können.»
«Good Luck to You, Leo Grande» wird derzeit am Sundance Film Festival gezeigt. Im Lauf des Jahres wird er in der Schweiz anlaufen.
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