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Mentale Gesundheit im Sport
«Akzeptieren, dass es okay ist, manchmal nicht okay zu sein»

Mit sich im Reinen: die Australierin Ashleigh Barty am Tag, an dem sie ihren Abschied aus dem Profitennis verkündete.
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Die Australierin Ashleigh Barty, Weltnummer 1, gab letzte Woche mit 25 ihren Rücktritt aus dem Tennis. Sie sei «ausgebrannt», sagte sie. Ist das nicht ein Alarmsignal für diesen Sport?

Als ich das Interview mit Barty schaute, erlebte ich eine reflektierte und selbstbestimmte Frau, die eine Entscheidung getroffen hat, die für sie stimmt. Eine Frau, die alle ihre Träume im Tennis verwirklicht hat. Sie war sich sehr klar über ihre Ziele und Erwartungen und definierte Erfolg für sich so, alles gegeben zu haben. Jetzt will und kann sie diesen Effort nicht mehr leisten. Ich sehe das nicht als Alarmsignal.

Warum kommt es bei manchen in der Öffentlichkeit so an?

Die Gesellschaft nimmt Sportlerinnen und Sportler oft nur als solche wahr. Aber sie sind auch Menschen mit Bedürfnissen und Emotionen und Interessen und Träumen ausserhalb des Sports. In anderen Branchen ist es mehr akzeptiert, dass man nach einem Erfolg neue Herausforderungen sucht. Ich denke da etwa an einen Start-up-Gründer oder einen CEO.

Würden Sie also sagen: Ein Rücktritt als Zeichen von Stärke?

Dass sie ihre Verletzlichkeit zulässt und benennt, finde ich schon eine grosse Stärke. Dass sie den Mut hat, hinzustehen und zu sagen: Für mich ist es hier gut, ich bin zufrieden mit mir. Und was ich auch eine grosse Stärke finde: dass sie ihren Selbstwert nie an ihre Resultate koppelte. Das betonte sie ja immer, und auch ihr Mentalcoach (der Australier Ben Crowe) sagte, dass sie das geschafft habe. Er hat es einmal so formuliert: Tennis ist das, was sie tut, aber nicht, wer sie ist.

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Das gelingt nicht allen. Naomi Osaka klagte am letztjährigen US Open: «Seit kurzem fühle ich mich nicht mehr zufrieden, wenn ich gewinne. Ich spüre nur eine gewisse Erleichterung. Und wenn ich verliere, fühle ich mich sehr traurig.» Wie kann man aus dieser Spirale ausbrechen?

Ganz wichtig bei Osaka ist, dass sie sich die Zeit nimmt, die Faktoren und Umstände zu identifizieren, die zu diesen Gefühlen führen. Die Ursachen können sehr vielfältig und komplex sein und nicht nur den Sport betreffen, sondern auch im sozialen und familiären Umfeld liegen. Um aus dieser Spirale auszubrechen, braucht es eine ganzheitliche Betrachtung. In meinem Coaching suche ich mit Athletinnen und Athleten, wenn sie in einen Strudel kommen, oft Lösungen, indem wir herauszufinden versuchen, wie sie im Sport und im Leben unterwegs sein wollen. Man stellt ihnen Fragen wie: Was ist dir wichtig? Was treibt dich an? Warum tust du eigentlich, was du tust? Wer hilft dir dabei?

Osaka machte vergangenes Jahr öffentlich, sie habe seit ihrem ersten US-Open-Sieg 2018 immer wieder längere Phasen der Depression gehabt. Dabei ist doch Erfolg genau das, wonach jede Sportlerin strebt.

Ich weiss nicht genau, was bei Osaka der Auslöser der Depression war. Grundsätzlich entwickelt sich eine Depression nicht einfach über Nacht. Vielleicht hatte sich das bei Osaka vorher schon vor ihren Erfolgen angebahnt, und sie hat es erst nach dem Sieg des US Open wahrgenommen. 

Trotz ihrer Probleme spielte Osaka auch nach dem US Open weiter erfolgreich, gewann drei weitere Grand-Slam-Titel. Wie geht das zusammen?

Das zeigt eben genau, dass mentale Stärke und mentale Gesundheit nicht das Gleiche sind. Man kann sich das so vorstellen: Mentale Stärke ist ähnlich wie physische Stärke eine Art Muskel, der sich trainieren lässt. Deshalb kann man trotz mentaler Stärke psychisch erkranken. Das war vermutlich auch bei Naomi Osaka so. Durch ihre mentale Stärke konnte sie trotz Depression noch ihre Leistung erbringen. Zumindest über eine gewisse Zeit.

Sportlich wieder auf Kurs: Naomi Osaka nach ihrem Sieg im Miami-Halbfinal gegen Belinda Bencic.

Kann man auch mentale Gesundheit trainieren?

Man kann auf jeden Fall in die mentale Gesundheit investieren. Indem man sich Zeit für sich selbst nimmt, achtsam durchs Leben geht, man sich mit Menschen umgibt, die einem guttun. Und indem man lernt, zu akzeptieren, dass es okay ist, manchmal nicht okay zu sein. Aber wichtig ist: Wer psychisch erkrankt, braucht professionelle Unterstützung.

Das Ringen um mentale Gesundheit wird auch im Sport zusehends thematisiert. Ist es schwieriger geworden, diese in Einklang zu bringen mit den gestiegenen Anforderungen im Sport. Oder ist das Thema mentale Gesundheit eine Modeerscheinung?

Ich finde es eine gute Entwicklung, dass mehr über die mentale Gesundheit geredet wird. Dass Athletinnen und Athleten beginnen, direkt darüber zu kommunizieren. Dass auch Trainer, Verbände, Experten diese Thematik vermehrt aufnehmen. Ich finde nicht, dass jeder Sportler damit direkt an die Öffentlichkeit treten sollte. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung, ob man über die mentale Gesundheit reden will. Aber es braucht in der heutigen Zeit eine Enttabuisierung. Ein Klima, in dem sich eine Sportlerin sicher fühlen kann, über ihre Ängste und Sorgen, über Konflikte und Druck zu reden.

«Es ist schön, dass die Jungen davon wegkommen, Spitzensportler müssten Superwoman oder Superman sein.»

Ist das nicht im Sport, wo man gern Stärke signalisieren will, besonders schwierig?

Es ist sicher eine Herausforderung. Aber es ist schön zu beobachten, was bei der jungen Generation im Gang ist: dass die Jungen mehr wegkommen von der Stereotypisierung, Spitzensportler müssten Superwoman oder Superman sein: Sie müssten unerschütterlich sein, dürften keine Emotionen zeigen. Auch bei den Männern kommt man zusehends davon weg. Mardy Fish öffnete sich in einer Netflix-Doku darüber, Gaël Monfils oder Dominic Thiem sprachen darüber. Es gibt nun sogar American Footballer, die plötzlich sagen: Ich mag nicht mehr, ich bin nur noch traurig. Dass sich auch männliche Sportler mehr öffnen, finde ich eine gute Entwicklung.

Trotzdem hört man öfter von Frauen, die das Thema mentale Gesundheit aufbringen. Wie erklären Sie sich das? Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede?

Ich kenne den genauen Forschungsstand nicht, ob Sportlerinnen mehr betroffen sind als Sportler. In der Gesamtbevölkerung haben Frauen eine höhere Prävalenz als Männer, an Depressionen zu erkranken. Dass Sportlerinnen öfter an die Öffentlichkeit treten als Sportler, könnte durch die Sozialisierung erklärt werden. Männer haben gelernt, dass sie sich nicht verletzlich zeigen dürfen. Dass es als schwach gilt, über seine Sorgen und Ängste zu reden. Deshalb könnte bei Männern die Hürde höher sein, sich zu offenbaren.

Es heisst, wer seine mentale Gesundheit bewahren will, sollte seine Stärken kennen, aber auch seine Grenzen. Aber im Sport geht es ja genau darum, seine Grenzen hinauszuschieben. Wie erkennt man, wenn man zu weit geht?

Gerade wenn man mental stark ist, kann man an seine Grenzen gehen. Menschen mit mentaler Stärke zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich selbst vertrauen und den Mut haben, ihre Komfortzone zu verlassen. Nach dem Komfortzonenmodell passiert Lernen und Wachstum eigentlich nur ausserhalb der eigenen Komfortzone. Vorher kommt man in die Angstzone. Die Herausforderung besteht darin, zu erkennen, ob diese Angstzone eine Grenze darstellt, die man nicht überschreiten sollte. Oder ob sie ein Hindernis ist, das man überwinden muss, um besser zu werden. Wie man das herausfindet, ist individuell.

Wie? Mit Bauchgefühl?

Nicht nur mit Bauchgefühl. Es braucht eine Auseinandersetzung mit sich. Was sind meine Ressourcen? Was habe ich schon erreicht? Worin bestehen die Hindernisse? Kann ich sie überwinden, weil ich mir die Stärken dafür angeeignet habe? Es geht um die Selbstwahrnehmung, von der so oft geredet wird.

Gerade im Tennis werden erfolgreiche Athletinnen sehr schnell gehypt. Osaka ist mit 60 Millionen Dollar Jahreseinkommen die bestverdienende Sportlerin, US-Open-Siegerin Emma Raducanu unterschreibt einen Millionenvertrag nach dem anderen. Wie verliert man da nicht den Boden unter den Füssen?

Reife hilft sicher. Zu wissen, wer man ist. Und wie man mit solchen Situationen umgeht. Wenn man noch nicht so reif ist, ist sicher ein gutes Umfeld zentral. Es braucht Menschen, denen man vertrauen kann, die einen nicht nur als Sportlerin kennen, sondern vor allem auch als Mensch. Und die einem helfen, alles in Perspektive zu setzen.

«Wie pflegt man den Kontakt zu sich? Meditieren, Tagebuch führen, sich immer wieder Ruhezeiten herausnehmen.»

Kommt da der Mensch mit, wenn man praktisch über Nacht zum Superstar wird wie Raducanu?

Man muss sich die Zeit nehmen, das anzuschauen. Auch einmal einen Schritt zurückmachen und sich fragen: Moment, was passiert jetzt gerade? Was bedeutet das für meine persönliche Entwicklung? Was ist mir wichtig? Wer kann mir helfen? Solche Fragen sollte man sich stellen, damit man sich selbst nicht verliert. Wie pflegt man den Kontakt zu sich selbst? Es gibt Methoden, die man anwenden kann: meditieren, Tagebuch führen, sich immer wieder Ruhezeiten herausnehmen.

Sie arbeiten auch mit jungen Tennisspielerinnen und Tennisspielern. Was machen Sie mit ihnen? Und wie früh sehen Sie, ob jemand Probleme mit der mentalen Gesundheit bekommen könnte?

Wenn es um die mentale Gesundheit geht, ist die präventive Arbeit zentral. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Sportpsychologie bereits im Nachwuchsleistungssport angeboten wird. Wie erkennt man, ob jemand Probleme mit der mentalen Gesundheit bekommen könnte? Dafür gibt es psychologische Diagnostik. Indem man beispielsweise Erholung und Stress überwacht, das Wohlbefinden von jungen Sportlerinnen. In meiner praktischen Arbeit beobachte ich durchaus Signale einer unguten mentalen Entwicklung. Zum Beispiel, wenn Athletinnen und Athleten ihren Selbstwert und ihre Identität nur über den Sport definieren, insbesondere über Resultate. Und dabei vergessen, dass sie auch noch Stärken haben als Schüler, als Tochter, als Kollegin, in anderen Hobbys. Da spielt auch hinein, dass im Nachwuchssport Resultate immer noch ein grösseres Gewicht erhalten als andere Faktoren wie das Wachstum als Mensch oder eben die mentale Gesundheit.

Viele Eltern investieren viel Zeit und Geld in die Karriere ihrer Kinder und wollen dann auch Resultate sehen. Wie geht man mit diesem Druck um?

Der Schweizer Verband der Sportpsychologie hat dazu kürzlich ein neues Angebot lanciert: das Elterncoaching. Da wollen wir genau solche Fragen aufgreifen und mit den Eltern besprechen. Was bedeutet es, Eltern zu sein im Nachwuchs-Leistungssport? Was ist ihre Rolle? Was hilft ihnen zu entscheiden, wie sie sich verhalten sollen? Solche Fragen müssen wir klären, damit sie ihre Kinder optimal unterstützen können.

Müssen alle jungen Athletinnen und Athleten mit einer Sportpsychologin arbeiten, um erfolgreich zu werden?

Man sollte die Sportlerinnen und Sportler ganzheitlich fördern, sie sollten ganzheitlich trainieren. Das heisst Körper und Kopf. Es ist ganz, wichtig, dass sie einen starken Körper haben, dass sie physisch, technisch, taktisch arbeiten. Der mentale Aspekt gehört aber auch dazu. Darum finde ich die Arbeit mit Sportpsychologinnen wertvoll.

Wenn man Roger Federer oder Rafael Nadal anschaut, die scheinen nie genug zu bekommen vom Tennis. Was kann man von ihnen lernen?

Es gibt ganz viel, das man von ihnen lernen kann. Vor allem auch, was die mentale Stärke auf dem Platz angeht. Das ist unumstritten. Aber ich fände die Frage spannender: Was können wir im Tennis von Ashleigh Barty lernen?

Lernen aufzuhören?

Das Karriereende ist für jeden Sportler und jede Sportlerin eine sehr persönliche Entscheidung. Wie es Barty gemacht hat, imponiert mir.

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