Kommentar zum Virus-AusbruchDie Affenpocken-Fälle zeigen: Wegsehen rächt sich
Die aktuelle Infektionswelle ist nicht mit Covid-19 zu vergleichen. Doch die Welt sollte sie als Warnung begreifen: So leicht kann sich Wegsehen rächen.
Der grässliche Name, die Seltenheit der Erkrankung, die besondere Sensibilität der Menschen nach mehr als zwei Jahren Pandemie – es ist nicht verwunderlich, dass die Meldungen über Affenpocken Beunruhigung auslösen. Die Erkrankung, bisher auf ärmere Staaten Afrikas begrenzt, verbreitet sich gerade in nie gesehenem Tempo in den reicheren Regionen dieser Welt.
Tatsächlich aber besteht in der Schweiz kein Grund zu übermässiger Sorge. Die Affenpocken verbreiten sich längst nicht so schnell und effektiv wie Covid-19. Das Virus wird in der Regel nur durch engen Körperkontakt, seltener durch gemeinsam geteilte Gegenstände übertragen. Dass sich Cafébesucher anstecken, nur weil irgendwo anders im Raum ein Infizierter sitzt, ist im Fall der Affenpocken nach derzeitigem Wissen nicht zu erwarten.
Gerade in reichen Staaten wie der Schweiz dürften sehr schwere und tödliche Verläufe besonders selten sein.
Die Erkrankung verläuft zudem meist mild, die Symptome verschwinden nach etwa zwei bis drei Wochen von allein wieder. Gerade in reichen Staaten wie der Schweiz, wo die Menschen von einer guten Grundgesundheit und einer besseren Gesundheitsversorgung profitieren, dürften sehr schwere und tödliche Verläufe besonders selten sein. Es gibt darüber hinaus ein Medikament und einen Impfstoff, der Kontaktpersonen verabreicht werden kann. Allerdings sind die Bestände dieser Präparate weltweit begrenzt – so wie auch das Wissen über die Erkrankung.
Und dies ist ein Symptom einer Haltung, die dann doch Anlass zu grundsätzlicher Besorgnis bietet. Obwohl die Krankheit seit 1970 immer wieder in ärmeren Staaten beobachtet wurde, war sie dem Grossteil der Welt kaum einen Blick wert. Die Affenpocken galten einfach nur als eines dieser vielen exotischen Leiden, als weit weg vom europäischen oder nordamerikanischen Komfort. In einer globalisierten Welt ist diese Ignoranz naiv und gefährlich.
Der Mensch dringt immer weiter in die Natur vor, er reist in jeden Winkel der Erde, er handelt mit exotischen Tieren.
Denn wirklich abgelegen ist heute fast kein Gebiet mehr. Der Mensch dringt immer weiter in die Natur vor, er reist in jeden Winkel der Erde, er handelt mit exotischen Tieren. Auf diese Weise wurden beispielsweise vor knapp 20 Jahren die Affenpocken in die USA eingeschleppt; sie verursachten einen Ausbruch mit Dutzenden Infizierten.
Dabei sind es längst nicht nur die Affenpocken, die in den vermeintlich abgelegenen Gebieten vorkommen können. Es gibt dort Leiden wie das Krim-Kongo-Fieber, das Lassafieber oder die durch das Nipah-Virus ausgelösten Gehirnentzündungen. Die meisten Menschen haben davon wohl noch nie gehört, obwohl die Krankheiten dramatisch verlaufen können – auch weil sich lange kaum jemand darum scherte, Mittel gegen diese Erkrankungen zu entwickeln.
Gemessen daran sind die Schweiz und die anderen nun betroffenen Länder mit den Affenpocken noch glimpflich davongekommen. Die aktuellen Fälle sollten dennoch als Warnung verstanden werden, wie schnell sich Wegsehen rächen kann.
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