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Inselspital diskriminiert Frau
Ärztin nicht befördert – Urteil erhöht Druck auf weitere Branchen

Wir erhalten vor der offiziellen Eroeffnung einen Rundgang durch das neue Anna-Seiler-Haus des Inselspitals, am 8. August 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp/Tamedia AG

«Mit diesem Urteil wächst der Druck auf Unternehmen», davon ist die Juristin und Gleichstellungsexpertin Zita Küng überzeugt.

Das Regionalgericht Bern-Mittelland hat der Ärztin Natalie Urwyler recht gegeben. Diese warf dem Berner Inselspital vor, es habe ihr eine Beförderung verweigert, weil sie eine Frau sei. Deshalb habe sie weniger Geld aus dem privatärztlichen Honorarpool erhalten, aus dem die zuständige Klinik Beiträge an das Personal ausschüttete.

Pressekonferenz Natalie Urwyler am 31.01.2024 in Bern. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Das Gericht hat in seinem Entscheid vom 26. Januar bestätigt, dass Urwyler geschlechterspezifisch diskriminiert worden sei. Sowohl, was eine Beförderung als auch ihren Anteil am Honorarpool anging. Die Insel-Gruppe nimmt dazu keine Stellung. Sie schreibt auf Anfrage nur, man prüfe das Urteil derzeit. Dieses ist noch nicht rechtskräftig.

Urteil mit breiter Wirkung

Gemäss Küng wird der Entscheid des Regionalgerichts eine Wirkung über den konkreten Fall hinaus haben.

Die Gleichstellungsexpertin führte dies am Mittwoch an einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Urwyler und deren Anwalt Rolf P. Steinegger aus: Unternehmen betrachteten es oft als private Angelegenheit, wen sie befördern würden und wen nicht. Zwar gelte das Gleichstellungsgesetz seit 1996, doch diese Klage wegen Beförderungsdiskriminierung bedeute juristisches Neuland.

«Wird das Urteil rechtskräftig, müssen Unternehmen nachvollziehbar machen, wie sie vorgehen», so Küng. Firmen seien nicht einfach frei in ihren Personalentscheiden, sondern es müsse klar werden, wie Beförderungen zustande kämen. Diese müssten diskriminierungsresistent sein, sonst drohten Unternehmen hohe Nachzahlungen.

Der Entscheid des Regionalgerichts Bern-Mittelland habe Auswirkungen auf alle Branchen, es gehe also auch um den Verkauf oder die Gastronomie und nicht nur um akademische Berufe, sagte Küng.

Die Insel-Gruppe muss Urwyler entschädigen. Wie hoch der Betrag ist, wird gemäss dem Gericht erst noch bestimmt. «Der Ball liegt bei der Insel-Gruppe», sagte Urwylers Anwalt Rolf P. Steinegger, «einer Verhandlung über einen vernünftigen Vergleich verschliessen wir uns nicht.» Die Insel kann das Urteil aber auch an das Obergericht des Kantons Bern weiterziehen.

Rechtsstreit seit Kündigung 2014

Die Geschichte von Natalie Urwyler warf schweizweit Wellen, die in den vergangenen zehn Jahren nie ganz abgeebbt sind. 2014 wurde die Ärztin vom Inselspital entlassen, nachdem sie aus dem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt war. Vorangegangen waren gescheiterte Verhandlungen um eine Pensenreduktion auf 80 Prozent.

Vier Jahre später urteilte das Berner Obergericht, die Insel habe gegen das Gleichstellungsgesetz verstossen. Das Spital hatte Urwyler zu einem Zeitpunkt entlassen, als eine Beschwerde hängig war und folglich ein Kündigungsschutz galt. Deshalb kam das Gericht zum Schluss, dass es sich um eine sogenannte Rachekündigung handelte, und hob diese auf.

Die Insel akzeptierte das Urteil, stellte die Ärztin aber frei. Bis heute ist das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Urwyler arbeitet inzwischen in einem Walliser Spital – die Insel-Gruppe zahlt die Differenz von ihrem damaligen zu ihrem heutigen Lohn.

Gemäss dem aktuellen Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland hatte Urwyler ab Mitte August 2014 Anspruch auf einen höheren Anteil aus den Geldern des Honorarpools ihrer Klinik. Dass zu jenem Zeitpunkt die Kündigung bereits ausgesprochen gewesen sei, spiele keine Rolle, zumal das Inselspital für diese verantwortlich sei. Man könne davon ausgehen, dass die Medizinerin alle Voraussetzung für die Beförderung zur Vertragsärztin erfüllt und somit Anspruch auf mehr Geld gehabt habe.

Inzwischen hat die Insel-Gruppe die Honorarpools in allen Kliniken abgeschafft.

Mehrfach ausgezeichnet

Die Ärztin forderte auch fünf Millionen Franken Schadenersatz, weil ihre wissenschaftliche Karriere beendet worden sei. Vergleichsverhandlungen in dieser Angelegenheit sind gescheitert und inzwischen sistiert.

Für Urwyler ist klar: «Weil ich nicht befördert wurde, habe ich weniger Geld verdienen können.» Sie ist überzeugt, kein Einzelfall zu sein. Sie habe schon mehrmals erlebt, dass Frauen übergangen worden seien, «doch die wenigsten haben sich gewehrt». Dabei seien die finanziellen Einbussen durch Beförderungsdiskriminierung für Betroffene enorm. Allerdings sei der Kampf dagegen ermüdend und für die Klägerinnen ein finanzielles Risiko. «Ich wünschte mir, dass in den Unternehmen die richtigen Strukturen geschaffen würden, sodass man nicht mehr prozessieren muss.»

Natalie Urwyler wurde mehrfach für ihren Einsatz für Gleichstellung am Arbeitsplatz geehrt, unter anderem mit dem Prix Courage.