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Flugzeugkatastrophe mit 150 Todesopfern
Absturz von Flug 9525 der German­wings: War alles ganz anders?

Blick vom Cockpit eines Flugzeugs auf eine Berglandschaft bei klarem Himmel.
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In Kürze:
  • Der Germanwings-Flug 9525 stürzte 2015 in den französischen Alpen ab.
  • Alle 150 Insassen starben, darunter auch 16 deutsche Schüler.
  • Ein Dokumentarfilm hinterfragt die offiziellen Ermittlungsergebnisse des Absturzes.
  • Aviatik-Experte Hradecky vermutet, dass ein technischer Defekt den Absturz verursacht hat.

Angehörige von Opfern sagen, es sei jenseits aller Vorstellungskraft. Und Aviatik-Experten betonen, so etwas habe es in der Geschichte der Luftfahrt nie zuvor gegeben. Vor knapp zehn Jahren, am 24. März 2015, stürzte der Germanwings-Flug 9525 von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen ab. 150 Menschen starben. Unter den Opfern waren 16 Schülerinnen und Schüler einer deutschen Gymnasialklasse, die an einem Austauschprogramm teilgenommen hatten.

Die Ermittler kamen zum Schluss, dass der damals 27-jährige Co-Pilot Andreas Lubitz den Airbus A320 der deutschen Fluggesellschaft vorsätzlich gegen einen Berg geflogen hatte. Als der Flugkapitän das Cockpit verlassen habe, um auf die Toilette zu gehen, habe sich der schwer depressive Lubitz verbarrikadiert. In wachsender Panik habe der Kapitän von aussen gegen die Cockpittür gehämmert, ohne verhindern zu können, dass sein Co-Pilot ihn und die übrigen Menschen an Bord in den Tod gerissen habe. 

Was die Passagiere während des zehnminütigen rasanten Sinkfluges bis zum Aufprall um 10.41 Uhr durchmachten, will man sich nicht vorstellen. 

In der dreiteiligen Dokuserie «Germanwings – was geschah an Bord von Flug 9525?» bezweifelt der österreichische Aviatik-Experte Simon Hradecky, dass die französischen Ermittlungsbehörden die damaligen Ereignisse sorgfältig genug untersucht haben. Vieles deute darauf hin, dass alles ganz anders und Lubitz kein Selbst- und Massenmörder, sondern eines von 150 Opfern eines technischen Defektes gewesen sei.

Verbreitet da jemand zum zehnten Jahrestag der Katastrophe Hirngespinste? Schürt Hradecky mediale Aufmerksamkeit, um sich auf Kosten der Toten wichtigzumachen? 

Rettungsteams durchsuchen die Absturzstelle des Germanwings Airbus in den französischen Alpen bei Seyne, Frankreich, am 25. März 2015.

Der 63-jährige Österreicher betreibt die Internetseite «The Aviation Herald», auf der er weltweit selbst kleinste Zwischenfälle im Flugbetrieb auflistet. Laut der deutschen «Zeit» gelten die Seite und ihr Gründer Hradecky in Fachkreisen als seriös. Die Doku, die in der Schweiz der Streamingdienst Sky Show am Freitag ausstrahlt, basiert auf einer achtjährigen Recherche. 

Der Dreiteiler beginnt wie viele Dokumentarfilme über Katastrophen: schnelle Schnitte und dramatische Hintergrundmusik, Einspielungen von damaligen Nachrichtensendungen, kurze Äusserungen von Experten, ergreifende Worte von Angehörigen, routinierte öffentliche Betroffenheitsbekundungen von Politikern (in diesem Fall von Angela Merkel und dem damaligen französischen Staatspräsidenten François Hollande). 

Das alles ist handwerklich einwandfrei gemacht. Offensichtlich wollen es das Filmteam und Hradecky vermeiden, dass ihre Arbeit allzu schnell das Etikett mit der Aufschrift «unhaltbare Spekulationen» aufgeklebt bekommt. Der Schwerpunkt der Serie liegt nicht auf alternativen Erklärungen für die Gründe des Absturzes, sondern auf den schrecklichen Erfahrungen von drei Angehörigen. Zwei ältere Männer, von denen der eine seine Tochter verloren hat und der andere seine Tochter, seinen Schwiegersohn und seinen Enkel. Sowie eine Frau in mittleren Jahren, deren Schwester in der Maschine sass. 

Zweifel an den Ermittlungen 

Sie erzählen, was sie gerade taten, als sie vom Unglück erfuhren, und wie ihre ersten Reaktionen waren. Er sei mit seiner Frau schweigend auf dem Sofa gesessen, «wir haben die Wand angestarrt», sagt einer der beiden Männer. Es folgen Schilderungen über die Reise zum Unglücksort, über den Kontakt zu anderen Angehörigen und zur französischen Staatsanwaltschaft, über lange psychologische Behandlungen, um den Verlust zu verarbeiten. Mehrmals ringen die Angehörigen mit den Tränen, und es dauert jeweils einige Sekunden, ehe die Sequenz abbricht.

Gedenkstätte für die Opfer des Germanwings-Absturzes, umgeben von Blumen und Kerzen, vor einer Bergkulisse in Le Vernet, Frankreich.

Aber warum zweifeln Hradecky und einige andere Experten, die im Dokumentarfilm auftreten, an den offiziellen Ermittlungsergebnissen? 

Dass der zuständige französische Staatsanwalt bereits zwei Tage nach dem Absturz öffentlich behauptet habe, die Ursache des Unglücks sei Lubitz’ Selbstmord – das sei vorschnell und unseriös gewesen und habe die Ermittlungen in eine einzige Richtung gelenkt. Hradeckys Hauptargument ist aber ein technisches.

Um die Flughöhe einzustellen und gegebenenfalls zu verändern, müssen die Piloten eines Airbus A320 an einem Knopf drehen. Lubitz hat laut Abschlussbericht der französischen Untersuchungsbehörde die Flughöhe von 38’000 Fuss – also der Reiseflughöhe – auf 100 Fuss eingestellt, wobei das Drehen und Einrasten des Knopfes lediglich eine einzige Sekunde gedauert habe. Die Doku zeigt, wie ein erfahrener Airbus-Pilot und Hradecky in einem Flugsimulator wiederholt versuchen, diese mehrfache Drehbewegung in derselben Geschwindigkeit zu vollziehen. «Es ist unmöglich», kommentiert der Pilot. 

Älterer Mann mit Brille sitzt im Cockpit eines Flugzeugs.

Hinzu kommt: Beim Drehen des Knopfes gibt es ein deutlich hörbares Klickgeräusch. Laut Hradecky sind die Klickgeräusche des Drehrades während des Steigfluges aus Barcelona im Transkript des Voice-Recorders vermerkt. Das mehrfache Klicken, das den Sinkflug eingeleitet haben müsste, habe der Voice-Recorder hingegen nicht aufgezeichnet.

Hradecky vermutet deshalb, dass das Drehrad gar nicht betätigt wurde. Vielmehr habe ein Fehler des Bordcomputers die blitzschnelle Änderung der Höheneinstellung verursacht. Gemäss Flugdatenschreiber sei derselbe technische Defekt bereits beim Hinflug mehrmals aufgetreten. Die Behauptung, Lubitz habe auf diesem Flug den späteren Absturz gewissermassen geübt, sei falsch. Vielmehr habe er den Fehler des Bordcomputers jeweils korrigiert.

Hradeckys alternatives Szenario beruht auf einer Verkettung von extrem unwahrscheinlichen Ereignissen, was ihm ein anderer Aviatikexperte im Dokumentarfilm auch entgegenhält. Ausgerechnet als der Kapitän das Cockpit verlässt, ändert der Bordcomputer die Flughöhe erneut auf 100 Fuss, und ausgerechnet in diesem Moment verliert Lubitz durch einen sogenannten «fume event» – die Verunreinigung der Atemluft durch einen Schadstoff – das Bewusstsein. Ein weiteres Glied der unglaublichen Zufallskette: Der Pilot kann nicht an seinen Platz zurückkehren, weil die Tastatur an der Cockpittür, in die er einen Code eingeben müsste, defekt ist. Und: Obwohl der Bordcomputer angeblich bereits auf dem Hinflug eigenmächtig die Höhe verstellt hatte, kümmerte sich während der Zeit, als die Maschine in Barcelona stand, niemand darum. Warum Lubitz den Vorfall nicht gemeldet habe, könne er sich auch in seinem alternativen Szenario nicht erklären, sagt Hradecky.

Mehr als eine Verschwörungstheorie?

Und so etwas soll plausibel sein? Jemand, der es für eine Verschwörungstheorie hält, ist der Aviatikexperte Patrick Huber. In der Dokumentation kommt er nicht vor, doch sagt er im österreichischen Branchenmagazin «Austrian Wings» über Hradeckys Theorie: «Einer faktischen Prüfung hält nichts davon stand.»

Dass es unmöglich ist, die Höheneinstellung durch den Drehknopf in nur einer Sekunde zu verändern, muss allerdings auch Huber einräumen. 

Die Lufthansa, deren Tochter Germanwings damals war, weist in einer Stellungnahme gegenüber der «Zeit» jeden Zweifel am offiziellen Untersuchungsbericht zurück. Hradecky fordert, eine neutrale Instanz müsse die Ursache der Katastrophe nochmals abklären. Und sagt in der Dokumentation immerhin: «Wenn sich die Theorie des Suizids bestätigt – dann ist das halt so.»

Germanwings – was geschah an Bord von Flug 9525? Ab 14. März auf Sky Show.