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Schweizer Buchpreis
30’000 Franken für Kim de l’Horizons «naughty text»

Sang zum Dank «Creep» von Radiohead: Kim de l’Horizon am Sonntag in Basel. 
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Dieses Mal hatte Kim de l’Horizon etwas vorbereitet. Beim Deutschen Buchpreis war die Überraschung zu gross, es wurden dann spontan die Haare abrasiert. De l’Horizon ist unterdessen ein routiniertes Ereignis, ein Glück für den Schweizer Literaturbetrieb, aber vielleicht etwas gross für Basel. An der Verleihung des Schweizer Buchpreises im vollen Theater Basel zog der Shootingstar am Sonntag einen Zettel für die Laudatio aus dem Stiefel. Was darauf stand, werden wir aber nie erfahren.

Denn de l’Horizon griff stattdessen zum Mikrofon und sang «Creep» von Radiohead, teils Englisch, teils Berndeutsch. «I’m a creep / I’m a weirdo / What the hell am I doin’ here?» («Ich bin ein Widerling / Ich bin seltsam / Was zum Teufel mache ich hier?») Das Publikum war entweder hingerissen oder irritiert. Was auch nicht schlimm ist, weil sich genau diese Ambivalenz ebenso gegenüber «Blutbuch» zeigt.

Über 90’000 Exemplare ausgeliefert

Dieser Debütroman ist ein waghalsiges Spiel mit Sprache und Stil, eine mutige Auseinandersetzung mit Gender, Identität und der eigenen Biografie. Kim de l’Horizon identifiziert sich weder als Frau noch als Mann. Und weil wir bei «Blutbuch» auf Autofiktion treffen, ist die erzählende Figur Kim ebenfalls nonbinär. Dieses Schreiben nennt Kim de l’Horizon «écriture fluide» – fliessend, intuitiv, sich in Form und Sprache nicht festlegend. So wird aus «man» «mensch» oder auch «jemensch».

Neben hymnischen Rezensionen und dem Deutschen Buchpreis kam auch der Hass im Netz. Die Angst vor dem Fremden und Anderen, Kim de l’Horizon wurde bedroht. Auf Twitter riefen Menschen auf, aus Solidarität das «Blutbuch» zu kaufen und ein Zeichen gegen Hass zu setzen. (Lesen Sie zum Thema: Online-Hetze gegen Nonbinäre – Woher kommt der ganze Hass?)

Was dabei zunehmend unterging, ist, dass «Blutbuch» neue, grossartige Gegenwartsliteratur aus der Schweiz ist. Der Dumont-Verlag hat bis heute über 90’000 Exemplare ausgeliefert. Auf der «Spiegel»-Bestsellerliste steht das Debüt immer noch in den Top Ten, in der Schweiz führt es derzeit die Bestsellerliste an. 

«Kultur ist kein Nice-to-have.»

Eva Herzog, SP-Ständerätin und Präsidentin von Buch Basel

Der Gewinn des Schweizer Buchpreises ist zwar nicht überraschend, aber verdient. Erst zum zweiten Mal kam es zu diesem historischen Double. 2010 gewann Melinda Nadj Abonji für ihren Roman «Tauben fliegen auf» ebenfalls den Schweizer und den Deutschen Buchpreis. Mit «Blutbuch» habe Kim de l’Horizon, so Jury-Sprecherin und Laudatorin Sieglinde Geisel, der literarischen Sprache der Schweiz einen neuen Kosmos eröffnet. «‹Blutbuch› feiert die Sprache als ein Medium des Erfindens und Ausprobierens.» Mitteilung an die Jury: Nach dieser Entscheidung wäre es nur konsequent, ab 2023 nicht nur deutschsprachige Bücher aus der Schweiz im Wettbewerb zu berücksichtigen.

Und was war eigentlich vor der Performance von Kim de l’Horizon los? Eva Herzog, Basler Ständerätin, die Bundesrätin werden möchte und Präsidentin der Buch Basel ist, sagte in ihrem Grusswort: «Kultur ist kein Nice-to-have.» Sie betonte die Wichtigkeit von Literatur an sich und die zentrale Rolle der Medien innerhalb der Kulturberichterstattung.

Peter von Matt soll einmal gesagt haben: «Literatur muss man aushalten», und so ging es vielleicht einigen Menschen auch am Sonntag, als ein Debütroman mit dem 30’000 Franken dotierten Preis ausgezeichnet wurde, in dem beispielsweise solche Sätze stehen: «This naughty text, der einfach nicht straight sein will, der sich einfach ständig unter meinen schlecht lackierten Nägeln wegdreht wegquengelt wegqueert.» Das ist okay.