2. Advent in der Zürcher AltstadtZwei rote Türme und Toleranz in Blau-Weiss
Zwei gigantische «Kerzen» riefen in der Zürcher Altstadt am Vorabend des zweiten Advents zu Toleranz auf. Die Bilder und fünf Alltags-Geschichten dazu.
Zwei graue Türme vor grauem Himmel. Nur der Schwertknauf von Karl dem Grossen, der stoisch durch den Regen auf die Limmat blickt, glänzt fahl. «Warten Sie auch, bis die Grossmünstertürme beleuchtet werden?», fragt eine Frau, die unter dem Vordach des Zunfthauses zur Meise an der Wühre im Schärmen steht.
Um 17 Uhr sollte der Lichtkünstler Gerry Hofstetter zum zweiten Advent die beiden Türme des Grossmünsters illuminieren. Es ist zehn nach Fünf. «Die Aktion wurde abgesagt», behauptet eine Passantin. Aufregung unter den Schaulustigen, die sich mit Handy im Anschlag bereit gemacht haben.
Doch dann leuchten kryptische Zeichen auf, ein Testraster. Kurz darauf verfärben sich die Türme rot und die Turmhelme zu gelben Flammen. Etwas später erscheint in den Zürich-Farben das Motto des zweiten Advents: «Toleranz».
Wir haben unsere Leserinnen und Leser im Vorfeld gebeten, uns in ein paar Sätzen zu schreiben, wie sie in ihrem Alltag Toleranz erleben. Hier eine Auswahl davon.
Toleranz auf dem Pausenplatz
«Immer wenn ich meine Tochter (7) von der Schule abhole, bin ich gerührt zu sehen, wie ihre zweite Klasse im Kreis 4 den Alltag meistert. In der Schule treffen jüdische, muslimische, christliche und atheistische Kinder aufeinander; geflüchtete Kinder aus der Ukraine und Kinder von Expats, die schon um die halbe Welt gereist sind; beeinträchtige Kinder, die kaum sprechen können.
Ein tolles Team aus Lehrpersonen, die eng mit dem Hort zusammenarbeiten, schafft für die Kinder einen Rahmen, wo Platz ist für Austausch, Dialog und Gemeinschaft. Hier wird Toleranz und Solidarität vorgelebt, egal, was auf der Welt passiert. Und je mehr auf der Welt passiert, desto dankbarer bin ich für diese Schulgemeinschaft.» (Claudia Bühler aus Zürich)
Überwältigender Gemeinschaftssinn
«Wir wohnen hier in Winterthur in einer Überbauung mit Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern. Es hat alte Leute wie uns, junge Familien, Alleinstehende, Gesunde und Kranke.
Der Gemeinschaftssinn ist überwältigend. Wir heuen zusammen, helfen einander, haben einen Gassenchat, worin man immer eine Lösung findet für ein Problem, sei es IT oder logistisch. Ist jemand krank oder hat einen Unfall, kommen sofort Angebote für den Einkauf, fürs Kochen, für Transporte usw. Wir wohnen im Paradies!» (Brigitte Hofmann)
Todkrank und tolerant
«Ich pflege einen sehr schwer Erkrankten und Sterbenden und er hört das Läuten der Patientenglocke. Sein Kommentar: ‹Gehen Sie ruhig schauen; vielleicht braucht er etwas Wichtiges.› Ich bin gerührt: Jemand in so schlechter Verfassung denkt immer noch an das Wohl anderer.»
Whatsapp statt Waschküchenstreit
«Die Belegung der Waschküchen ist offenbar einer der Hauptursachen für Streit unter Mieterinnen und Mietern. Nicht in dem Hochhaus, in dem ich wohne. Meine Nachbarin, eine Rentnerin, gibt mir jeweils per Whatsapp Bescheid, wenn ich früher reinkann. Denn sie weiss, dass es bei mir manchmal etwas eng wird, wenn auf der Arbeit viel zu tun ist. Toleranz statt Streit.»
Geimpfte mit Ungeimpfter
«Dieses Erlebnis ist schon etwas länger her, freut mich aber immer noch. Eine Freundin – überzeugt gegen Corona geimpft – hat in der Zeit, als Ungeimpfte nicht ins Restaurant durften, ganz selbstverständlich mit mir – der Ungeimpften – draussen in grosser Kälte auf der Terrasse Pizza gegessen.
Meinerseits eisige Hände und heute noch so viel Wärme und Dankbarkeit im Herzen. Dankbarkeit für ihre gelebte Toleranz.» (B.R.)
Nächste Themen Solidarität und Vielfalt
Am Vorabend des ersten Advents hatte der Lichtkünstler Gerry Hofstetter den Turm von St. Peter beleuchtet, um an die Kraft der Hoffnung auf Frieden zu erinnern. Die Adventsaktion wird vom Kirchenkreis eins der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde organisiert.
Während die Türme beleuchtet sind, bestand in der Kirche St. Peter die Möglichkeit, das jeweilige Thema im Gespräch mit Seelsorgenden aller Konfessionen zu vertiefen.
Schreiben Sie uns Ihre positive Geschichte
Die dritte Kirchturmkerze wird dem Thema Solidarität gewidmet sein. Die drei «Kerzen» werden am 16. Dezember zwischen 17 und 20 Uhr illuminiert. Ab 19.15 Uhr werden sich beim Helmhaus die Stadtpräsidentin Corine Mauch und der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist darüber unterhalten, wo in Zürich Solidarität gelebt wird.
Wo haben Sie in Ihrem Alltag Solidarität gelebt? Oder wo zeigt sich für Sie Vielfalt – das Thema der vierten Friedenskerze – positiv in Ihrer Umgebung? Teilen Sie diese Erlebnissein ein paar Sätzen mit uns. Einsendungen an helene.arnet@tamedia.ch
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