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Jogging-Playlist
«Youuuuuuuuu
love me»

Fiona Apple war in den 90er-Jahren Grammy-Gewinnerin, heute lebt die 42-Jährige zurückgezogen in Kalifornien.
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Geht das noch lauter? Der Mensch joggt und hört «Fetch the Bolt Cutters», das neue Album von Fiona Apple. Gesund können diese tief reingedrückten Bluetooth-Kopfhörer zwar nicht sein für die Ohren, und Joggen ist auch eine furchtbar anstrengende Angelegenheit. Aber das ist jetzt alles egal, es gibt nur noch etwas, was wichtig ist.

Nämlich die Stelle ab 0:59 in «I Want You to Love Me», dem ersten Stück auf dem Album, als Fiona Apple übergeht zu diesem «youuuuuuuuuuuu» und den Ton länger hält, als man es erwarten würde, ihn dehnt und verrenkt, weil sie das natürlich schon könnte, ein «youuuuuuuuuuuu» geradeheraus zu singen, aber es eben lieber hat, wenn wir merken: Das ist ihre trotzig dunkle Stimme, so klingt es jetzt. Es ist der Moment, in dem Pop zu Avantgarde wird.

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«Fetch the Bolt Cutters» ist zwar schon im April erschienen. Das fünfte Album der US-Sängerin, das in einer Zeit von acht Jahren in ihrem Haus in Venice Beach, Los Angeles, entstanden ist, wurde auch überall schon positiv besprochen. Auf der Musik-Website «Pitchfork» hat eine Kritikerin die Höchstwertung von 10 Punkten vergeben; so etwas kommt eigentlich gar nie vor.

Manchmal muss man sich aber eine Weile bewegen mit der Musik, denn «Fetch the Bolt Cutters» enthält so manchen Song, für den man eine Extrarunde um die Siedlung joggt, um ihn noch einmal zu Ende hören zu können. Die Situation in «Under the Table» zum Beispiel: Ein Paar ist zum Nachtessen eingeladen, die Frau ist dem Mann peinlich, weil sie sich bald zu ärgern beginnt angesichts des Schwachsinns, der am Tisch erzählt wird, aber da macht sie nicht mit: «Kick me under the table all you want / I won’t shut up.»

«This world is bullshit»

Es geht um Macht und Männer auf «Fetch the Bolt Cutters», um «bullies» und «It-Girls» in der Highschool, und die Wut ist so ansteckend, dass man gar nicht anders kann, als mitzulaufen. «Newspaper» schafft es, die vertrackte Beziehung zwischen zwei Frauen zum Groove zu machen, die einen Übergriff durch denselben Mann erlebt haben, und der nun alles tut, dass sich seine Opfer nicht solidarisieren. «I wonder what lies he’s telling you about me / To make sure that we’ll never be friends.»

Das Geniale dabei ist, dass sich Apples Kritik an den systemischen Problemen aufs Vielfältigste mit einem Pop verbindet, der immer vom Rhythmus her gedacht ist. Wo die Musik manchmal fast über sich selbst stolpert, eine andere Richtung einschlägt und auch die Texte nicht immer so eindeutig sind, wie sie aufs Erste scheinen.

Fiona Apple verbindet aufs Verspielteste Beats und Systemkritik.

Fiona Apple hat mit 19 einen Grammy gewonnen, und als sie 1997 bei den MTV Video Music Awards als «Best New Artist» ausgezeichnet wurde, rief sie ohne viel Vorbereitung «This world is bullshit» in den Saal. Das hat man ihr damals übelgenommen, aber wie die TAZ richtig schreibt, war die Welt wohl noch nicht bereit für Fiona Apple.

Jüngst wurde ihr «This world is bullshit»-Satz in der Amazon-Serie «Little Fires Everywhere» zitiert, die Serie spielt in den 90er-Jahren und erzählt vom Rassismus von Wohlmeinenden und von unterschiedlichen weiblichen Rollenmodellen. In Zeiten grosser politischer Solidarisierungsprojekte scheinen Apples Trotz und Humor wieder sehr gefragt, die Lage ist ja nicht weniger beschissener geworden. Man kann nur mitgehen und staunen.

Fiona Apple: Fetch the Bolt Cutters.