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YB-Trainer Raphael Wicky im Interview
«Ich habe Chat-GPT gefragt, wie man den nächsten Gegner bezwingt»

YB-Trainer Raphael Wicky posiert in einem Hotel in Leipzig in Deutschland am 12. Dezember 2023 fotografiert von Thomas Hodel
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Raphael Wicky, wir transkribieren Interviews mithilfe einer Software. Jemand hat uns gesagt, diese beherrsche einen Dialekt besonders gut. Können Sie sich vorstellen, welcher das ist?

Meiner? Der Walliser Dialekt?

Genau.

Haben die «Tschugger» diese Software entwickelt?

Kennen Sie diese TV-Serie also auch?

Klar. Ich gehöre zu jenen Wallisern, die darüber lachen können. Wenn ich Freunden und Familie zuhöre, dann kann ich Ihnen sagen: Nicht alle lachen darüber.

Manche der Laiendarsteller sind bekannte Walliser. Hat man Ihnen auch eine Rolle angeboten?

Nein. Aber ein Bekannter von mir ist der Vater von dem, der den Junior spielt. Den Manager von Valmira. Also der, der in der neuen Staffel in Bern 20’000 Stutz organisieren muss. Verstehen Sie eigentlich, was in der Serie geredet wird?

Die Untertitel helfen. Zugezogene aus dem Ausland haben es wohl schwer.

Es geht um das Wallis, den Walliser an sich, unseren Humor, um Dinge, die wir im Wallis halt machen. Meine amerikanische Frau kann das wegen ihrer Herkunft gar nicht verstehen.

Ihre Frau lebt in der Schweiz. Wie ist das, wenn man geografisch der massgebende Teil einer Beziehung ist?

Wir treffen Entscheidungen gemeinsam und machen nicht immer einfach das, was ich will. Ich habe zum Beispiel nicht im Sinn, einen Job an einem Ort anzunehmen, wo meine Frau nicht leben möchte.

Wie sehr interessiert Ihre Frau sich für Fussball?

Sie hatte kaum Ahnung von Fussball, als wir uns kennen gelernt haben. Durch mich hat sie sich in dieser Welt eingelebt. In ihrem Elternhaus lief, wie in vielen amerikanischen Haushalten, immer der Fernseher: Baseball, Football, Basketball. Heute läuft bei uns Fussball. Sie mag das Spiel.

Was sieht Ihre Frau, was Ihnen entgeht?

Sie achtet auf die Körpersprache, das Verhalten von Spielern. Meine Frau hat schon Partien von mir gesehen und sagte danach: «Heute sah es so aus, als hättet ihr noch nie zusammengespielt.» Manchmal bestätigt so etwas meinen Eindruck. Und manchmal denke ich: Wir lassen das mal so stehen.

Was notieren Sie sich, wenn Sie privat Fussball schauen?

Nichts. Aber natürlich sehe ich, was die Teams fussballerisch machen oder ob es neue Trends gibt.

Was sind die Trends? Leverkusen mit Granit Xhaka unter Xabi Alonso?

Ich habe Leverkusen zu wenig studiert. Aber sie spielen tatsächlich einen sehr attraktiven Fussball: keinen reinen Ballbesitz, kein reines Pressing, sondern einen schönen Mix aus allen Phasen des Spiels. Oder dann Ange Postecoglou: Von Tottenhams Trainer reden gerade alle. Da kommt mir eine Anekdote in den Sinn.

Erzählen Sie.

Wir waren für das Spiel gegen City in Manchester. Im Hotel hingen Fernseher an den Wänden. Handys gibt es beim Essen ja nicht, damit wir uns unterhalten. Aber dann schauten wir nach dem Essen auf diesen Bildschirmen Tottenham gegen Chelsea. Die Intensität war unglaublich. Früher, das war auch vor einem Hotelfernseher, fragte ich die Spieler einmal: «Schaut ihr eigentlich, wie sie defensiv pressen?» Sie verneinten. Sie schauten, was der Spieler auf ihrer jeweiligen Position tat. Als Fussballer ging mir das genau gleich. Als Trainer aber sind mir die doppelten Übersteiger egal. Mich interessiert das grosse Bild.

Wie sehen Sie das grosse Bild der spielerischen Entwicklung bei YB?

Wenn es flutscht, dann ist es sehr, sehr gut. Aber manchmal harzt es. Ich wünschte mir, dass wir über 90 Minuten konstant spielen. Nicht eine Halbzeit lang, nicht eine Stunde lang. Nach den Abgängen im Sommer mussten wir eine neue Hierarchie auf dem Platz entwickeln. Dieser Prozess dauert. Und aktuell trainieren wir wegen der vielen Spiele kaum.

Inwiefern hat YB die Abgänge des Sommers aufgefangen?

Wir haben mehrere Nationalspieler verloren. Aber wir haben Spielern den nächsten Karriereschritt ermöglicht. Das ist positiv und der Weg von YB. Und natürlich holen wir keinen Spieler für 12 Millionen, wenn wir Fabian Rieder für 15 verkauft haben. Wir schauen, dass jemand im Team diese Rolle ausfüllen kann. Ich erhoffe mir und bin überzeugt, dass manche in der Rückrunde einen Sprung machen werden.

An wen denken Sie?

Zum Beispiel an Noah Persson oder Lukasz Lakomy. Noah hat gezeigt, was er kann. Aber er hat in Ulisses Garcia einen Schweizer Nationalspieler vor sich. Lukasz hat eine gute Vorbereitung gespielt und hatte danach leicht Mühe, dann hat er sich verletzt. Von ihnen erhoffen wir uns mehr Spielzeit. Aber Integration braucht Zeit.

11.11.2023; Bern; FUSSBALL SUPER LEAGUE - BSC Young Boys - FC Luzern; 
Meschack Elia (YB) wird von Trainer Raphael Wicky (YB) geherzt 
 (Martin Meienberger/freshfocus)

Wie begleiten Sie den Integrationsprozess neuer Spieler auch menschlich?

Das gehört zum kommunikativen Teil meiner Arbeit. Wie geht es dir? Hast du eine Wohnung gefunden? Kommt deine Freundin nach? Solche Fragen sind wichtig. Ich rate den Jungen auch, dass sie in den Länderspielpausen auch mal zur Familie fliegen. Ich ging mit 20 Jahren nach Bremen, hatte Heimweh und vermisste Freunde und Familie. Ich war froh, wenn ab und an mal jemand zu Besuch kam oder ich nach Hause konnte.

Gehört diese frühe Entwurzelung zum Schwierigsten im Fussballerleben?

Sie ist extrem schwierig. Und wir unterschätzen das oft, wenn wir die Spieler dann fussballerisch beurteilen. Diese Menschen kommen in ein neues Land, in ein Klima, das ihr Körper nicht kennt, erleben eine neue Kultur. Ich ging damals in ein deutschsprachiges Land. Aber man stelle sich vor, man kommt an einen Ort und versteht kein Wort.

Was hilft?

Weil man sein soziales Umfeld verlassen hat, ist es so wichtig, dass man Halt bei den Teamkollegen findet. Und ich darf sagen: Das aktuelle YB-Kader ist dafür sehr offen.

Wie zeigt sich das?

Wenn du die Regeln einhältst und auf die Menschen zugehst, dann gibt dir dieses Team sehr viel. Die Spieler sprechen mehrere Sprachen, nehmen dich auf, gehen mit dir essen.

Haben Sie das nicht immer so erlebt?

Nein, das ist nicht selbstverständlich. Einen Teamgeist wie letzte Saison habe ich überhaupt noch nie erlebt. Er war ein grosser Faktor für unsere Erfolge. Harmoniert ein Team neben dem Platz, zahlt sich dies aus.

Apropos Harmonie: Wie nahm Goalie Anthony Racioppi den Entscheid auf, als Sie ihn wieder auf die Bank setzten?

In solchen Momenten ist es meistens ruhig, meistens gibt es auch keine Diskussionen. Der Spieler ist enttäuscht und muss den Entscheid verarbeiten.

Wie läuft ein solches Gespräch ab?

Ich setze mich mit dem Spieler an den Tisch, manchmal ist noch jemand aus dem Trainerstab oder der sportlichen Führung dabei. Eine positive Nachricht lässt sich leicht kommunizieren: «Hey Albi» (schaut zum Medienchef Albert Staudenmann), «du bist mein Captain.»

«Der Medienchef wird neuer YB-Captain» – wir haben den Titel für dieses Interview.

Und was die negativen Nachrichten betrifft: Ich mag diese Gespräche nicht, aber ich weiss, sie müssen sein. Ich führe knapp dreissig Spieler und kann nicht alle zufriedenstellen. Mir ist wichtig, so direkt und ehrlich wie möglich zu reden. Als Spieler war es mir am liebsten, wenn mir der Trainer sagte, was Sache ist. Vielleicht kränkte mich das. Aber ich schätzte die Ehrlichkeit.

Wie lernt man Gesprächsführung in der Trainerausbildung?

Vielleicht gab es mal einen Block. Aber eigentlich müsste dieser Teil mehr Zeit einnehmen. Die Kommunikation, dass du vermitteln kannst, was du dir fussballerisch überlegt hast. Oder wie man Menschen führt, denn bei den Profis ist das genauso wichtig wie die Taktik. Es ist wie in jeder Firma: Erst führst du vier Leute, dann zehn, zwanzig. Du wächst da hinein und sammelst Erfahrung. Ich bin heute ein besserer Trainer als vor sechs Jahren. Und ich werde wahrscheinlich in sechs Jahren ein besserer Trainer sein als heute.

Ihr Sportchef Steve von Bergen sagte mal, Daten gewännen keine Spiele. Wie sehen Sie das?

Beim Scouting und bei der Taktik sind menschliches Auge und Gespür entscheidend. Aber es werden sehr viele Daten gemessen. Da wollen wir mit der Zeit gehen.

Wie tun Sie das?

Wir wollen die wichtigen Daten herausfiltern. Aber der Fussball ist paradox: Du kannst in vielen Statistiken besser sein als der Gegner und das Spiel trotzdem verlieren.

Zum Beispiel?

Gelaufene Kilometer, Anzahl Läufe schneller als 25 Stundenkilometer, Walking, Jogging, aber auch alle anderen wichtigen Bereiche des Spiels. Wenn deine Spieler überall nur achtzig Prozent davon erreichen, ist die Chance gross, dass ihre Leistung schlecht war. Aber es bedeutet noch lange nicht, dass du die Partie auch verloren hast.

Hängen diese physischen Werte immer noch in der Garderobe?

Ja, sie sind für alle sichtbar. Wir zeigen den Spielern: «Auf dieser Position wollen wir nicht neun Sprints von dir, sondern fünfzehn.» Die Spieler interessieren sich sehr für diese Zahlen.

Sollen die Daten in der Garderobe einen Wettbewerb entfachen und so stimulierend wirken?

Das kann ein Gedanke dahinter sein. Aber wir wollen keinen Spieler blossstellen. Zudem stelle ich ja nicht nur nach Laufdaten auf. Wir haben auch einen Ball, der wichtig ist, sowie taktische Aspekte.

Können Sie sich vorstellen, dass künstliche Intelligenz irgendwann Teile Ihrer Arbeit übernimmt?

Man kann bei Chat-GPT ja schon jetzt eingeben: «Wie schlägt man YB?»

Haben Sie das gemacht?

Ich habe diese Frage nicht zu YB gestellt. Ich habe Chat-GPT mal gefragt, wie man den nächsten Gegner bezwingt. Einfach zum Spass. Die Schwächen und Problemzonen, die Chat-GPT nannte, waren teilweise jene, die auch mir auffielen. Was kein Computer kann: solche Erkenntnisse mit einem Team umsetzen.

Haben Sie Chat-GPT auch gefragt: «Wann soll ich meinen Vertrag verlängern?»

Das weiss ich ja selbst nicht. Ich habe einen Vertrag bis Sommer. Wir haben einen guten Austausch, ich weiss, was von mir verlangt wird und woran ich bin. In naher Zukunft setzen wir uns zusammen.

Als Sie kürzlich gefragt wurden, ob Sie verlängern wollen, wichen Sie aus. Geben Sie uns nun eine deutliche Antwort?

Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich nicht verlängern will. Ich fühle mich bei YB wohl und gehe jeden Tag sehr gern zur Arbeit. So werde ich in die Gespräche gehen.