Befragung der StadtbevölkerungUnd jetzt ist die Wohnmisere Zürichs grösstes Problem
Die Zufriedenheit der Stadtzürcher sinkt. Gleichzeitig steigt das Unbehagen mit dem Wohnungsmarkt auf Rekordniveau.
Den Zürcherinnen und Zürchern gefällt es bestens in ihrer Stadt – falls sie gerade keine Wohnung suchen müssen.
Das ergibt die Bevölkerungsumfrage, welche die Stadt Zürich alle zwei Jahre durchführt.
Diese fällt gewöhnlich als Rundumbestätigung für die links-grün dominierte Stadtregierung aus. Bei der diesjährigen Ausführung verstärkt sich aber eine Entwicklung, die sich bereits bei den letzten Befragungsrunden abgezeichnet hat: Der Wohnungsmarkt macht den Zürcherinnen und Zürchern immer grössere Sorgen. Dies zeigt sich bei Antworten zu mehreren Fragen.
Beim Punkt «Zufriedenheit mit Einrichtungen und Angeboten» kommen die Wohnungen mit Abstand am schlechtesten weg. Fast 81 Prozent der Befragten bewerten das Wohnungsangebot mit den ungenügenden Noten 1 bis 3 (die Höchstnote ist eine 6). Diese Enttäuschung hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre deutlich verbreitet. Bei den Befragungen von 2015 bis 2021 betrug der Wert jeweils knapp 70 Prozent.
Damit verschiebt sich die Problemhierarchie. Bei allen bisherigen elf Bevölkerungsumfragen haben am meisten Stadtzürcherinnen und -zürcher den Verkehr als «grösstes Problem» genannt. Nun hat der «Wohnraum» aufgeschlossen. Aktuell werden beide Themen von der Hälfte der Befragten als «grösstes Problem» identifiziert.
Der Wohnungsfrust wirkt sich auch auf die Bewertung der politischen Arbeit aus. 82 Prozent der Befragten finden, dass die städtische Politik bei der Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus viel zu wenig oder zu wenig unternehme. Bei keinem anderen Thema sehen die Zürcherinnen und Zürcher nur annähernd so viel politischen Handlungsbedarf. Weit dahinter folgt die Verbesserung der Umweltsituation.
Was die Zürcherinnen an der Wohnungssituation belastet, zeigt sich bei anderen Punkten aus der Umfrage. So hat bei den Wohnungswechseln die Zahl jener Mietenden, welche die Kündigung erhalten haben, seit 2021 leicht zugenommen: von 10 auf 13 Prozent. Besonders hoch liegt der Anteil der Gekündigten bei den Zürcherinnen, die weniger als 60’000 Franken Haushaltseinkommen haben. Hier geschahen 21 Prozent der Wohnungswechsel aufgrund einer Kündigung. Bei den Gutverdienenden verkleinert sich die Zahl der Gekündigten.
Der Unterschied zwischen Weniger- und Besserverdienenden zeigt sich auch bei der Beurteilung der eigenen Miete. Von jenen, die weniger als 30’000 Franken im Jahr zur Verfügung haben, beurteilen 55 Prozent ihre Miete als sehr oder eher hoch im Vergleich zu ihrem Budget. Dieser Anteil nimmt mit steigendem Einkommen deutlich ab.
Unzufriedenheit mit der Politik wächst
Insgesamt fühlen sich die Zürcherinnen und Zürcher auch weniger gut vertreten durch ihre politischen Institutionen. Bei der entsprechenden Frage erteilen 31 Prozent dem Gemeinde- und dem Stadtrat eine ungenügende Bewertung. Der Prozentsatz jener, die ihre politische Repräsentation als nicht gut einschätzen, nimmt seit 2013 beständig zu.
Mehr geworden sind auch jene Stadtzürcherinnen und -zürcher, die der Aussage «Zürich entwickelt sich in eine gute Richtung» nicht zustimmen. Sie machen mittlerweile 26 Prozent aus. Ob die Verschlechterung dieser Resultate mit der Wohnungssituation zusammenhängt, geht aus der Umfrage nicht hervor.
Am beliebtesten ist der öffentliche Verkehr
Insgesamt schneidet die Stadt Zürich bei ihren Bewohnerinnen nach wie vor sehr gut ab. 98 Prozent geben an, dass sie eher oder sehr gern in der Stadt leben. Schätzen tun die Zürcher unter anderem den öffentlichen Verkehr, die Einkaufsmöglichkeiten, das kulturelle Angebot oder die Sportanlagen. Auch beim Sicherheitsempfinden steht die Stadt gut da. 85 Prozent der Befragten fühlen sich eher sicher oder sehr sicher, wenn sie sich nachts allein durch ein Quartier spazieren. 1999, als die erste Umfrage durchgeführt wurde, bewegten sich nur 57 Prozent ohne Angst allein im nächtlichen Zürich.
Gleichzeitig beträgt der Anteil der Einwohnerinnen und Einwohner, die im vergangenen Jahr ausserhalb ihrer Wohnung eine Belästigung erfahren haben, unverändert 17 Prozent. Weitaus am stärksten betroffen sind 18- bis 29- jährige Frauen. Von ihnen wurden 41 Prozent belästigt.
Mauch kündigt neue Stelle an
An der Präsentation der Umfrage sprach Stadtpräsidentin Corine Mauch von einem «insgesamt guten Bild». Der Stadtrat reagiere aber auf die kritischen Punkte. So verstärke er seine Bemühungen um günstigen Wohnraum, indem er unter anderem die Stelle eines Wohndelegierten schaffe. «Diese Person soll beim Wohnthema alle Kräfte in der Stadtverwaltung bündeln und strategisch weitere Energie investieren», sagte Mauch. Vorbild dafür sei der ehemalige «Mister Langstrasse». Die Wohndelegierte soll frühestens im nächsten Sommer mit der Arbeit beginnen.
Die städtische SP sieht sich durch die aktuelle Bevölkerungsbefragung in ihrer Politik bestätigt. Der Stadtrat solle noch offensiver vorgehen, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern und neue Wohnungen zu schaffen, schreibt die Partei in einer Mitteilung.
Der Zürcher Hauseigentümerverband (HEV) verweist in einer Mitteilung darauf, dass sich in der Befragung 70 Prozent zufrieden zeigen mit der eigenen Wohnung. Dies bestätige, dass «die privaten Vermieter ein gutes Verhältnis mit ihren Mieterinnen und Mietern höher gewichten als die Maximierung der Mieteinnahmen».
Für die Umfrage hat Statistik Stadt Zürich 11’000 Zürcherinnen und Zürcher angeschrieben. Rund 5100 davon haben geantwortet, was als guter Rücklauf gilt.
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