«Station Eleven» und «Macbeth»William Shakespeare, der grosse Influencer
Gleich zwei neue TV-Serien und ein Film lassen sich von William Shakespeare inspirieren – über 400 Jahre nachdem er seine Stücke geschrieben hatte. Wie ist so etwas möglich?
Keine Frage: Würde er heute leben und schreiben, William Shakespeare wäre ein Serientäter. Das Fernsehen böte ihm eine Bühne, die mehrfach gestaffelte Serie das Format dazu. So könnte er seine Komödien und Dramen gleich staffelweise verfilmen. Shakespeares Figuren leben dreidimensional. Sie lieben und hassen einander, täuschen sich und andere, sie finden zusammen oder sterben weg.
Noch mehr als Liebe und Hass interessierte Shakespeare nur noch die Macht. Seine Anführer morden als Putschisten, liquidieren Rivalen, triumphieren als Könige, führen Kriege und entfachen Bürgerkriege. «Shakespeare sagte uns», hat man von seinem deutschen Übersetzer Frank Günther erfahren: «Wer sich politisch mit der Macht einlässt, muss wissen, dass er mit Dämonen handelt.» Shakespeare war ein Analytiker der Machtmechanik.
Die Machtkämpfe seiner Gegenwart konnte er nicht kommentieren, also verlegte er sie in die Geschichte.
Dazu hatte er allen Anlass. Der Dramatiker lebte in einer unsteten Zeit. Da waren die Intrigen um Königin Elizabeth, deren Kinderlosigkeit beim Volk die Angst vor einem Machtvakuum schürte, denn dieses hätte einen neuen Bürgerkrieg ausgelöst. Unter Elizabeths Nachfolger, dem schottischen Calvinisten James I, versuchten katholische Terroristen, das Parlamentsgebäude Westminster zur Explosion zu bringen, um sich an die Macht zu putschen. Vor der englischen Küste kreuzte die spanische Armada, in Irland führte ein Aufstand gegen die Besatzungsmacht zum neunjährigen Krieg.
Die Machtkämpfe seiner Gegenwart konnte Shakespeare nicht kommentieren, das hätte ihm die Zensur verboten. Also typisierte er die Konflikte und verlegte sie in die Geschichte, handelte seine Themen bei Cäsar ab, Antonius, Coriolanus und den englischen Königsdramen, die zum Aufstieg der Tudors führten, von denen Elizabeth abstammte. Das war erlaubt.
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Dabei beobachtete Shakespeare die Menschen wie ein früher Psychologe. Und formulierte seine Beobachtungen in einer Sprache, deren Deutungskraft bis heute anhält. Wozu das führen kann, zeigen zwei neue Serien und ein Film, die Shakespeare als Interpreten der Gegenwart verwenden.
Da ist die asketische, in strengem Schwarzweiss gehaltene Neuverfilmung von «Macbeth». Da ist die Serie «Succession» über einen cholerischen Tyrannen und seine Kinder, die gegen ihn und gegeneinander intrigieren. Und da ist die utopische, von den Hoffnungen der Woke-Generation aquarellisierte Serie «Station Eleven» über eine Schauspieltruppe aus Chicago, die zwanzig Jahre nach einer tödlichen Pandemie durchs Land zieht und Shakespeare aufführt als Ausdruck dessen, was Menschen ausmacht.
King Lear als Medienmogul
«Succession» beschreibt das autoritäre Regime eines alternden, an Rupert Murdoch orientierten, von senilen Ausfällen geplagten Medienunternehmers. Jedes seiner vier Kinder möchte ihn beerben. Alle hassen einander, keiner wird die anderen los, und über allen herrscht der Vater mit der Autorität eines listigen Despoten.
Obwohl er mit seiner Familie ein Medienimperium führt, interessiert sich keiner der Protagonisten für dessen Inhalte. Die Macht wird zum Selbstzweck und fast jedes Mittel zu ihrer Erlangung eingesetzt – Mobbing, Verrat, Drohung, Diffamierung, Schmeichelei. Brian Cox, der den Alten gibt, hat in seiner Darstellung von King Lear gelernt, was es heisst, den Verstand zu verlieren und sich dennoch an die Macht zu klammern. Seine Figur ist Shakespeare am nächsten.
Cox hat sie in Interviews nicht nur mit King Lear, sondern auch mit Julius Cäsar und Titus Andronicus verglichen. «Möchtet ihr mein liebstes Shakespeare-Zitat hören?», fragt er eine Rivalin, deren Medienimperium er übernehmen möchte: «Take the fucking money.»
Das Morden als Manöver
Wie schon bei Shakespeares «Richard III», auf den schon die Serie «House of Cards» rekurrierte, möchten wir im Publikum heimlich, dass der Böse gewinnt, weil er wagt, wovor wir zurückschrecken. Diese Identifikation mit dem Aggressor gelingt Shakespeare selbst mit «Macbeth», dieser blutigen Tragödie.
Sie beschreibt Aufstieg und Untergang eines schottischen Generals, dem Hexen vorausgesagt haben, dass er einmal König werde. Angetrieben von seiner Frau, die sein Zaudern verhöhnt («Are you a man?»), erdolcht Macbeth den König und seine Vasallen, lässt seinen Freund Banquo liquidieren und selbst Frauen und Kinder massakrieren, bevor er selber ermordet wird.
Joel Coens Film, in ein künstlich kaltes, dem deutschen Expressionismus entlehntes, schroff kontrastiertes Schwarzweiss getaucht, inszeniert die Gewalt der Macht als Manöver, das immer neue Morde nötig macht. Denzel Washington spielt den Emporkömmling als Vollstrecker, der im Herzen ein Feigling bleibt. Sein Zaudern kontrastiert mit der Entschlossenheit der Lady Macbeth, die von Frances McDormand mit demonstrativer Kühle interpretiert wird. Sie denkt dabei feministisch: Für sie, die als Frau von der Macht ferngehalten wird, sind die Morde ihres Mannes Bedingung für ihre Karriere.
Indem Joel Coen mehrere Rollen mit afroamerikanischen Schauspielern besetzt, verweist er auf die «Black Lives Matter»-Debatte, die seine Heimat während der Dreharbeiten umtrieb. Auch der Kampf um die Präsidentschaft nach Donald Trumps Abwahl klingt in Macbeths fanatischer Überzeugung an, zum König berufen zu sein.
Die Pest in Chicago
Die einzige Gefahr seiner Zeit, die Shakespeare in seinen Stücken kaum thematisierte, weil sie so gottgegeben schien, also ausweglos, war die tödlichste von allen: die Pest. Sie liefert die dramaturgische Voraussetzung für «Station Eleven», eine neue, viel diskutierte Science-Fiction-Serie nach dem Roman der kanadischen Schriftstellerin Emily St. John Mandel von 2014. Die Pest hat bei ihr die Form einer Schweinepest angenommen, die innert kurzer Zeit 90 Prozent der Menschen vernichtet.
Die Serie erzählt ihre Geschichte an wechselnden Schauplätzen, mit unterschiedlichem Personal und dazu noch in Zeitsprüngen vor, während und nach der Pandemie. Es beginnt mit einer Aufführung von Shakespeares «King Lear» in einem Theater von Chicago. Im vierten Akt erleidet der Hauptdarsteller einen Herzinfarkt. Der Zuschauer Jeevan (Himesh Patel) eilt auf die Bühne, kann dem Sterbenden aber nicht helfen.
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Dafür nimmt er sich des 8-jährigen Mädchens Kirsten (Matilda Leander) an, das für eine Nebenrolle des Stücks in den Kulissen herumsteht. In Chicago bricht das Virus aus, Panik in den Spitälern, Ahnungslosigkeit in den Strassen. Kristen und Jeevan flüchten sich in die Wohnung seines Bruders, wo sie zusammen den Winter überstehen.
Zwanzig Jahre später ist das Mädchen Kirsten zu einer kämpferischen Frau (Mackenzie Davis) herangewachsen. Zusammen mit einer Lumpentruppe von Laiendarstellern zieht sie um den Lake Michigan. Gemeinsam inszenieren sie für die Überlebenden Stücke von William Shakespeare. «Damit versuchen wir», sagt die Chefin des Theaterkollektivs, eine Pianistin, «der Welt für kurze Zeit einen Sinn zu geben.»
Das Theater als Proberaum
«Station Eleven» dokumentiert die Gefahren des Überlebens in einer feindlichen Natur, zeigt das Misstrauen und die Gewaltbereitschaft der vom Virus Verschonten. Dennoch wird hier keine Dystopie als Horrorserie aufgezogen, von denen es so viele gibt. Sondern die Regisseure um den Drehbuchautor Patrick Somerville interessieren sich dafür, was die Menschen zusammenhält; was sie also daran hindert, einander zu vernichten.
Die zehnteilige Serie endet entsprechend hoffnungsvoll, mit einer Aufführung von Shakespeares Hamlet, in welcher mehrere Figuren der Serie ihre Differenzen in einem Stück aufführen, um sie im Leben zu überwinden. Das Theater als Proberaum des Lebens: Keiner hat das so gut verstanden wie William Shakespeare. Er tat es vor über 400 Jahren. Er tut es heute noch.
«Succession» läuft auf Sky Show, «The Tragedy of Macbeth» auf Apple TV+. «Station Eleven» startet am 30. Januar auf Sky Show.
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