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Nebenwirkung bei Osteoporose-Behandlung
Wenn sich der Kieferknochen auflöst …


Vor dem Beginn und während der Osteoporose-Therapie sind regelmässige zahnärztliche Kontrollen wichtig. 
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Die Erkrankung beginnt meist mit einer kleinen Entzündung der Mundschleimhaut. Sie breitet sich immer weiter aus, auch in die Tiefe. Schliesslich wird der darunterliegende Kieferknochen teilweise sichtbar und liegt frei. Der Kieferknochen weicht auf, wird porös, Teile davon sterben ab. «Kieferknochennekrose» nennen Ärzte diese Erkrankung.

Oft kommt es dabei zur Infektion des Knochens mit eitrigem Ausfluss. Manchmal lösen sich auch grössere Teile vom Kieferknochen ab. Begleitet wird all das häufig von starken Schmerzen. Kauen kann zur Qual werden.

«Schätzungsweise vier von fünf Fällen wären vermeidbar», sagt Paul Schumann, Leitender Arzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsspitals Zürich. «Bei etwa 90 Prozent der betroffenen Personen, die wir in der Knochenentzündungs-Sprechstunde sehen, handelt es sich um eine Nebenwirkung der Osteoporose- oder Krebsbehandlung.»

«Schätzungsweise vier von fünf Fällen wären vermeidbar.»

Paul Schumann, Leitender Arzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsspitals Zürich

Die gebräuchlichsten Osteoporose-Medikamente sind die sogenannten Bisphosphonate (die Wirkstoffe enden meist auf «-dronat») und bestimmte Antikörper, besser bekannt zum Beispiel unter den Markennamen «Prolia» oder «XGEVA». Diese Arzneimittel zum Schlucken oder Spritzen sollen den Knochenabbau bei der Osteoporose bremsen und Knochenbrüche verhindern.

Etwa 2003 wurde erstmals die seltene mögliche Nebenwirkung beschrieben, auf die auch im Beipackzettel der Medikamente hingewiesen wird. Im besten Fall betrifft die Kiefernekrose nur etwa eine Person unter 100’000, im schlechtesten sind es 4 von 20. Dass sich dieses Risiko beeinflussen und senken lasse, wüssten viele Betroffene nicht, so Schumann.

Über 100’000 Menschen nehmen solche Medikamente

Laut dem Helsana-Arzneimittelreport bezogen 2018 etwa 130’000 Personen in der Schweiz, überwiegend Frauen, Medikamente gegen Osteoporose – wobei laut der Helsana eine Unterversorgung wahrscheinlich ist. Fast die Hälfte derjenigen, die solche Arzneimittel bräuchten, sei mutmasslich nicht behandelt worden. Künftig könnte die Kieferknochennekrose also häufiger werden.

Das Problem würde seit Jahren zunehmen, stellt Schumann fest. 2017 suchten etwa 320 Personen seine Sprechstunde auf, dieses Jahr werden es an die 500 werden, schätzt er. Leichtere Erkrankungen werden zudem von niedergelassenen Zahnärzten behandelt.

«Die medikamentenbedingten Kiefernekrosen sind ein grosses Problem in der zahnärztlichen Praxis.»

Peter Zuber, Zahnarzt

«Die medikamentenbedingten Kiefernekrosen sind ein grosses Problem in der zahnärztlichen Praxis. Sie haben zugenommen», bestätigt der Winterthurer Zahnarzt Peter Zuber, der zahnmedizinische Gutachten erstellt.

Ein Grund: Mit längerer Behandlungsdauer der Osteoporose und mit steigendem Alter erhöht sich auch das Risiko für eine Kiefernekrose. «Vor allem aber ist es eine Frage der Dosierung», sagt Paul Schumann.

Besonders hohe Dosen erhalten Menschen mit Krebs, der in die Knochen gestreut hat oder mit einer Form von Knochenmarkkrebs, dem Multiplen Myelom. «Wichtig ist erstens, dass die Patienten vor Beginn der Behandlung mit einem Osteoporose-Medikament ihre Zähne sanieren lassen. Und zweitens penible Mundhygiene», sagt Schumann und zitiert eine Studie. «Mit diesen Massnahmen erkrankte dort nur eine krebskranke Person von 100 an Kiefernekrose. Ohne diese Vorbeugung traf es eine von 20.»

Zahnprothesen erhöhen das Risiko

Die zahnärztliche Sanierung sei deshalb so wichtig, weil beispielsweise eine Zahnextraktion das Risiko für eine Kiefernekrose 16- bis 30-fach erhöhen könne. Dabei können Bakterien aus der Mundhöhle in den Kieferknochen gelangen. Im Normalfall kann der Körper sie abwehren. Die Einnahme von Osteoporose-Medikamenten beeinträchtigt diese Abwehr jedoch – teilweise noch Jahre nach dem Behandlungsende, weil einige Wirkstoffe lange im Knochen verbleiben.

Allein das Tragen einer Zahnprothese verdoppelt das Risiko für eine Kiefernekrose. Auch Entzündungen und Verletzungen im Mund, Mangelernährung, Rauchen und Erkrankungen oder Medikamente, die das Immunsystem schwächen, begünstigen die Entwicklung einer Kiefernekrose.

Die wichtigsten vorbeugenden Massnahmen – ein Besuch beim Zahnarzt vor Behandlungsbeginn, regelmässige zahnärztliche Kontrollen und sehr gute Mundhygiene – werden im Beipackzettel der Medikamente meist erwähnt. «Sehr viele Patienten in unserer Sprechstunde sagen uns aber, dass sie das zum ersten Mal hören. Da besteht noch Aufklärungsbedarf», sagt Schumann. Unter den Osteoporose-Patientinnen habe es sich noch nicht überall herumgesprochen.

«Ein grosses Problem ist, dass die Zahnärzte oft nichts von der Behandlung mit Osteoporose-Medikamenten wissen.»

Peter Zuber, Zahnarzt

Zahnarzt Peter Zuber pflichtet ihm bei: «Ein grosses Problem ist, dass die Zahnärzte oft nichts von der Behandlung mit Osteoporose-Medikamenten wissen. Die Ärzte, die sie verordnen, müssten die Patienten darauf aufmerksam machen, dass sie ihren Zahnarzt informieren müssen. Und die Zahnärzte sollten jedes Mal nachfragen, ob neue Medikamente verordnet wurden.»

Ideal sind der «ASORS»- oder der «AGSMO-Laufzettel». Dort trägt der Arzt, der die Medikamente verordnet, Informationen zur Krankengeschichte der Patientin ein, sodass der Zahnarzt im Bilde ist. Er wiederum trägt ein, was von seiner Seite her wichtig ist.

Zähne vor Behandlungsbeginn sanieren lassen

Steht ein zahnärztlicher Eingriff an, sollte er möglichst vor Beginn der Osteoporose-Behandlung abgeschlossen sein. Wenn das nicht geht, lässt sich das Infektionsrisiko, zum Beispiel beim Zahnziehen, mit begleitender Antibiotikabehandlung senken.

Kommt es zur Kiefernekrose, wird in der Regel das gesamte befallene Gewebe entfernt. «Man bekommt die Kiefernekrose meist in den Griff, aber mitunter sind dafür zwei bis drei Eingriffe nötig», sagt Schumann. Ob der entstandene Defekt nachher mit einer Prothese oder Implantaten versorgt wird, sei eine äusserst schwierige Frage. Das Implantat biete mehr Komfort und vermeide Prothesendruckstellen, berge aber ein grösseres Risiko für eine erneute Knochennekrose. Das müsse man gut abwägen.

Osteoporose- oder Krebsmedikamente von sich aus gar nicht erst zu nehmen oder abzusetzen, hält der Zahnchirurg hingegen für keine gute Idee. «Die Grunderkrankung geht vor.»