Harter Kampf über 1500 mEin Duo stichelt und provoziert – und wird düpiert
Jakob Ingebrigtsen und Josh Kerr schlagen giftige Töne an. Im Letzigrund haben sie beide das Nachsehen.
Sie biegen auf die Zielgerade ein, das Publikum tobt, und eines ist da schon klar: Olympiasieger Cole Hocker (USA) und auch Olympiasilbergewinner Josh Kerr (GBR) müssen Jakob Ingebrigtsen ziehen lassen. Und nicht nur ihn. Denn letztlich siegt im 1500-m-Rennen der feine und endschnelle Amerikaner Yared Nuguse (3:29,21) – zum zweiten Mal nach 2023. Gut drei Zehntel dahinter der grosse Norweger, dem als Viertem der Spiele in Paris zumindest eine Mini-Revanche gelungen ist.
Sie sind in den vergangenen Jahren (wieder) so etwas wie die Königsdisziplin geworden, die 1500 m. Seit Ingebrigtsen 2021 an den Spielen in Tokio als erst 20-Jähriger ganz frech Olympiasieger geworden war und damals schon den Anspruch vermittelte, nun auf Jahre hinaus der Dominator sein zu wollen mit dem einzigen Ziel: Weltrekord.
Es ist anders gekommen. Unvergessen bleibt, wie ihm ein Jahr später der Brite Jake Wightman an der WM in Eugene aus heiterem Himmel den Schneid abkaufte und dessen Vater als Stadionspeaker selber nicht glauben konnte, was er da sah. Und als im vergangenen Jahr in Budapest mit Kerr ein zweiter Brite den Norweger auf den letzten Metern überspurtete und ihm WM-Gold wegschnappte, war dieser geschockt. Nun wurden die Töne auch neben der Bahn schärfer, hier ein Gifteln, da ein Spötteln, obwohl am Ende beider Jahre Ingebrigtsen der Jahresschnellste war.
Der Giftpfeil Richtung Ingebrigtsen
Als solcher ist er am Mittwoch wieder nach Zürich gekommen. In 3:26,73 ist er im Juli in Monaco die viertschnellste Zeit je gelaufen. Doch schon zu Beginn der Medienkonferenz im Letzigrund tat er, was im Spitzensport kaum jemand tut: Er zeigte Schwäche. Ingebrigtsen sagte, nach seinem Weltrekord über 3000 m in Polen habe er sich einen Infekt eingefangen und sei krank geworden. War das schon die Entschuldigung, falls es erneut nicht klappen sollte?
Die ersten vier des Olympiarennens sassen da bei Moderator Colin Jackson, dem einstigen Hürden-Weltrekordhalter. Und dieser konnte es natürlich nicht lassen, Kerr und Ingebrigtsen zu provozieren, als er sie aufforderte, je eine Qualität des anderen zu nennen. Die Antworten sprachen dann Bände. Kerr sagte: «Sein Kleidergeschmack ist seine grösste Qualität.» Ups, so viel Achtung auf einmal! Die Lacher hatte er auf seiner Seite, und er hatte damit eine Spitze Richtung Norweger losgelassen. Denn dieser war in einem weissen, übergrossen Trainingsanzug aus Ballonseide oder Ähnlichem aufgekreuzt.
Freunde werden die beiden nicht mehr werden, auch wenn sich Ingebrigtsen nicht zu solch Saloppem hinreissen lässt. Zu dieser Redaktion hatte er im vergangenen Sommer gesagt: «Wenn du als arrogant bezeichnet wirst oder aufgeblasen wirkst, aber trotzdem gewinnst, dann ist alles gut. Ich habe mich nie schlecht über Konkurrenten geäussert.» Das tat er auch jetzt nicht und zog sich mit «Er ist immer zu hundert Prozent da, wenn es wirklich zählt» elegant aus der Affäre.
Die Streithähne der Vergangenheit
Was er wirklich über Kerr denkt, hatte er in Lausanne nach dem 1500-m-Rennen zu Hocker gesagt, ohne es wirklich zu sagen: «Thank you for coming out.» Danke, dass du angetreten bist. So, dass es alle rundherum hören konnten. Und auch das hörten, was er nicht aussprach: dass Kerr sich nach den Spielen schon wieder rar gemacht hat.
Die Älteren unter der Leserschaft erinnern sich, dass es unter den 1500-m-Läufern schon einmal ein ähnliches Stichel-Duo gegeben hat. Als Sebastian Coe, der heutige Weltverbandspräsident, 1979 im Letzigrund Weltrekord gelaufen war (3:32,03), hatte sich der jahrzehntelange Meeting-Boss Res Brügger alle Mühe geben müssen, den anderen ultraschnellen Briten, Steve Ovett, von Zürich fernzuhalten. Brügger befürchtete, die Rivalität der beiden verhindere einen Weltrekord Coes.
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