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Wegen SBB-Pannenzug: «Image unseres Fernverkehrs leidet»

Hersteller Bombardier spricht beim neuen FV-Dosto von Kinderkrankheiten – die Kunden nennen ihn bereits Schüttelzug. Foto: Keystone
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Der neue Doppelstockzug FV-Dosto, von den SBB einst als Prestigeobjekt gefeiert, gerät für die Bundesbahnen zur Belastung – jetzt auch politisch. «Alle Parteien haben ein Interesse, Licht ins Dunkel zu bringen», sagt Natalie Rickli (SVP). Die Nationalrätin ist Mitglied der Verkehrskommission, die gestern getagt hat. Zwar entscheidet die Kommission erst heute über das weitere Vorgehen. Es scheint aber ausgemacht, dass sich die SBB gegenüber der Politik zur 1,9 Milliarden Franken teuren Anschaffung erklären müssen.

Beschaffungen seien operativ, sagt Jürg Grossen (GLP), und die Kommission und das Parlament sollten grundsätzlich nicht ins Operative dreinreden. «Momentan bin ich jedoch der Ansicht, dass die Dimension der Probleme eine Fragestellung an die SBB erlaubt.» Besorgt sind die Verkehrspolitiker nicht zuletzt, weil wegen des Zuges «das Image unseres Fernverkehrs leidet», wie Bernhard Guhl (BDP) sagt.

«Bombardier hat uns einen sehr kundenfreundlichen Zug offeriert.»

SBB-Chef Andreas Meyer

Die SBB sehen das anders. «Der FV-Dosto ist kein Pannenzug», schreiben sie auf Anfrage dieser Zeitung. Das sind sanftere Töne als am Freitag, als sich die SBB in einer Mitteilung «unzufrieden mit der Zuverlässigkeit» des Zuges zeigten und klarstellten, nun sei der Hersteller Bombardier «gefordert». Dieser teilt mit, es handle sich um «Kinderkrankheiten».

Bombardier versprach viel

Wer ist schuld am Debakel des FV-Dosto respektive Twindexx Swiss Express, wie der Zug bei Bombardier genannt wird? Sind es die SBB, die 2009 den Doppelstockzug ausschrieben und eine «Eier legende Wollmilchsau» verlangten, also eine Kreation, die alles und noch viel mehr kann? Oder ist es der kanadische Hersteller Bombardier, der den grössten Bestellungsauftrag in der Geschichte der SBB unbedingt wollte, um seine Werke im In- und Ausland auszulasten? Und dafür eine konkurrenzlos tiefe Offerte einreichte und prompt den Zuschlag erhielt?

Bahnfachleute, welche diese Zeitung um eine Einschätzung angegangen ist, sehen die Sache differenzierter. Mit Namen wollen sie nicht zitiert werden, weil sie teilweise noch immer im Bahngeschäft tätig sind. So sollen sich die SBB bei mehreren Anbietern Informationen beschafft haben, wie ein neuer Zug nach dem Stand der Technik konzipiert werden müsste. Gestützt darauf wurde das Pflichtenheft formuliert. Bombardier war bereits bei der Herstellung des Neigezugs ICN beteiligt, und ihre Doppelstockzüge rollten unter anderem in Deutschland und Frankreich. Siemens offerierte auf der Basis ihrer ICE-Modelle, und Stadler Rail erhoffte sich mit diesem Auftrag den Eintritt in den Fernverkehrsmarkt.

«Als Fahrgast habe ich die Gestaltung geschätzt»: Was Walter von Andrian, Chefredaktor der Schweizer Eisenbahn-Revue, vom neuen FV Dosto hält. Video: Lea Koch

Das Rennen machte Bombardier mit einer Offerte, die preislich mit 1,86 Milliarden Franken für 59 Züge zwar 100 Millionen Franken höher war als das Angebot von Stadler Rail. Dafür fegten die Kanadier Siemens und Stadler vom Verhandlungstisch mit Garantien zu den Betriebskosten. Der Antrieb sollte so effizient sein, dass die Bahn über die Jahre Hunderte von Millionen Franken einspart, der Energieverbrauch halb so hoch wie bei der Konkurrenz. Auch bei den Garantieleistungen im Falle von Mängeln zeigte sich der kanadische Konzern überaus grosszügig. Die Rede war damals von einem Betrag bis zu 40 Prozent der Kaufsumme, was rund 700 Millionen Franken entspräche. «Bombardier hat die Vergabekriterien objektiv am besten erfüllt und uns einen sehr kundenfreundlichen Zug offeriert», lobte SBB-Chef Andreas Meyer. Bei Stadler Rail ärgerte man sich über den entgangenen Auftrag. Und bei Siemens übte man sich in düsteren Prognosen. «Was die SBB hier verlangen und Bombardier vollmundig verspricht, wird nicht funktionieren», schlussfolgerte ein Ingenieur laut einem Insider.

Gravierende Mängel

Die Bombardier-Offerte sah auch einen kleineren Wagenquerschnitt vor als bei den anderen in Europa und auch in der Schweiz rollenden Doppelstockzügen. Für die Zuggäste be­deutet das grundsätzlich eine Komforteinbusse. Um auch im unteren Stock eine anständige Stehhöhe zu haben, musste der Fussboden dort tiefer angelegt werden. Und so entstand die mittlerweile berühmt-berüch­tigte Rampe zur Tür und damit zur Perronkante, derentwegen die Behindertenverbände vor Gericht zogen, was zur Verzögerung bei der Her­stellung des Dosto beitrug. Laut Experten hatten die SBB das ­verkleinerte Profil in der Ausschreibung nicht explizit verlangt, aber akzeptiert.

Statt der 59 gekauften Züge rollen rund neun Jahre nach Vertragsabschluss gerade mal 12 auf einem eingeschränkten Einsatzgebiet. Die Züge weisen gravierende Mängel bei der Software, bei den Türen, bei der Traktion und bei der Laufruhe auf – Kunden nennen den Dosto deshalb auch Schüttelzug.

Das Problem laut Fachleuten: Fertigungsmängel machen Verbesserungs- und Änderungseingriffe in den bereits gebauten Zügen nötig. Das kann sich zum Qualitätsproblem entwickeln, wenn immer wieder neue Ar­beiter Hand an den Zug legen. Es wird gemutmasst, dass es zu ­weniger Problemen gekommen wäre, wenn insbesondere die Software in einem Schweizer Werk entwickelt, eingesetzt und getestet worden wäre. Der Grossteil des Auftrags wurde indes in Deutschland und anderswo umgesetzt.

Je nachdem, wie sich der Fall weiterentwickelt, könnten an dessen Ende einschneidende Konsequenzen für die SBB stehen. «Wir müssen uns die Frage stellen, wie viel Freiraum die Politik den SBB bei der Beschaffung in Zukunft noch gewähren soll», sagt SP-Nationalrat Philipp Hadorn. Der Bund sei noch immer Eigner der SBB. Hadorn hält es für prüfenswert, ob der Bund in Zukunft ab einer noch zu definierenden Investitionsgrösse verstärkt mitwirken solle.