Analyse zu umstrittenem SongWarum Patti Smith das N-Wort verwendete
Ein früher Song von Patti Smith ist aus den meisten Streamingdiensten verschwunden. Was steckt dahinter?
Warum wurde der Song «Rock ’n’ Roll Nigger» von Patti Smith, wegen des N-Wortes schon seit Jahrzehnten anstössig, ausgerechnet jetzt von den meisten Streamingdiensten wie Spotify, Apple Music, Tidal oder Amazon Music entfernt? Warum ist der Song auf Spotify wieder zu haben, und warum wurde er vom «Easter»-Album und als Coverversion gar nie gelöscht?
Und vor allem: Handelt es sich bei der Löschung um eine Zensur im Sinne der Woke-Generation und ihrer Tendenz zur Sprachhygiene? Oder gründet das Verschwinden des Songs in einem falschen Algorithmus?
Der Musikdienst Pitchfork hatte die Löschung Ende Oktober publik gemacht. Und weil Patti Smith sich auf Anfrage des Magazins «Rolling Stone» nicht zum Vorgang äussern mochte, wird auch die Vermutung laut, sie selber könnte den Entscheid veranlasst haben. Also hätten wir einen Fall von Selbstzensur.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
«Rock ’n’ Roll Nigger» war auf Patti Smiths drittem Album «Easter» von 1978 erschienen und gab schon damals zu reden. Darin lag auch die Absicht der Autorin, die sich natürlich bewusst war, dass «Nigger» als rassistische Beschimpfung auf die Sklaverei verweist. Und dass Afroamerikaner wie der Komiker Richard Pryor oder die Hip-Hop-Gruppe Niggaz with Attitude den Begriff demonstrativ weiterverwenden durften im Sinne eines positiven Stigmas, als eine Art rhetorische Rückeroberung. Dass es aber Weissen untersagt bleiben muss, das Wort zu verwenden, weil es weisse Herrschaft und schwarze Unterdrückung signalisiert.
Patti Smith war es darum gegangen, das Schimpfwort auf alle Randständigen oder Verstossenen oder Irregewordenen auszuweiten.
Patti Smith war es darum gegangen, das Schimpfwort auf alle Randständigen oder Verstossenen oder Irregewordenen auszuweiten, weshalb sie konsequenterweise sang: «Jimi Hendrix was a nigga / Jesus Christ and grandma, too / Jackson Pollock was a nigga.» Aber spätestens wenn die Grossmutter in dem Song ihren Auftritt hat, sollte klar werden, dass Patti Smith das Lied auch als eine Art gesungenen Comic verstanden haben wollte, als Parodie seiner selbst, als Lustigmachen über die eigene Empörung.
Dazu passt die demonstrativ primitive Musik, die Patti Smith und ihr Gitarrist Lenny Kaye zu den Lyrics komponierten. Denn der Song kommt als primitiver Rock-Trash daher, als Übertreibung bis zur Farce. Damit macht die Sängerin klar, dass sie das N-Wort niemals wörtlich verstanden haben will, als Verhöhnung der Afroamerikaner als ehemalige Sklaven. Sondern dass sie sich über die groteske Verklärung des Opfers an sich lustig macht, indem sie es mit einer so grellen Übertreibung feiert.
Daran hat sich nichts geändert, auch wenn es im heutigen Denunziationsklima undenkbar wäre, einen solchen Song veröffentlichen zu wollen. Das aber hat Patti Smith nie gekümmert. Sie hat ihren Song mehrmals verteidigt und dabei das Recht auf freie Meinungsäusserung eingefordert.
Darum kann man nicht glauben, dass sie selber es war, die den Song zurückziehen wollte. Denn Patti Smith war eine Kämpferin von Anfang an, eine Feministin, obwohl sie sich nicht als solche verstand, eine Pionierin der Emanzipation. Wobei sie, die in einer Familie der Zeugen Jehovas im ländlichen New Jersey hyperreligiös und arm aufgewachsen war, es von Anfang an schwer hatte.
Dass eine radikale Intellektuelle ein radikales Missverständnis einging, indem sie ein radikal rassistisches Wort gegen seine Absicht verwendete: So etwas ist heute undenkbar geworden. Weil wir verlernt haben, das Unangenehme einer Kontroverse auszuhalten: ihre Ambivalenz.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.