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Verregnet, aber grossartig
Von Muse geküsst

Er unterhält 20’000 Menschen trotz widriger Umstände: Matthew Bellamy, Gitarrist und Sänger der britischen Rockband Muse, im Starkregen von Bern.
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Am Anfang war die Wucht. «Will of the People» heissen sowohl die aktuelle Tournee als auch das aktuelle Album und die aktuelle Revolutionshymne für den Konzerteinstieg. Die Musiker von Muse tragen diesen Volkswillen in grusligen Masken vor, hinter der Bühne brennen riesige Lettern. Matthew Bellamy singt unter anderem, dass er das Kind mit dem Bade ausschütten wolle. Was für eine Ansage zum Auftakt – und wie recht die Band damit behalten sollte.

Bern wird dieser Tage von allen Seiten beschallt. In fünf Kilometer Entfernung spielt auf der Hauptbühne des Gurtenfestivals gleichzeitig ein gewisser J Balvin, der «Prinz des Reggaeton», in etwa das Gegenprogramm von dem, was sich im Open-Air-Gelände auf Zeit am nördlichen Stadtrand abspielt. Muse ist vieles, für manche Fans fast alles – aber sicher nicht ein «Garant für Partylaune», wie der kolumbianische Latinstar auf dem Hügel über Wabern angekündigt worden ist.

Düstere Grosswetterlage

Muse ist vielmehr ein Phänomen von beachtlicher Beständigkeit: Hardrock, der auch Klassikfans gefällt. Dringlichkeit, Dramatik und Dynamik sind die Pfeiler des massiven Muse-Klanggerüstbaus. Wobei sich die Songs trotz aller Eingängigkeit und dem Hang zur Hymne nie dem Verdacht aussetzen, für Chilbistimmung zu sorgen. Zu düster ist die Grosswetterlage, die die drei Herren aus der englischen Kleinstadt Teignmouth heraufbeschwören.

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Und damit zum Wetterbericht: «Erst Hitze, dann Blitze», das Motto der Woche (SRF Meteo) macht aus der Ankündigung vom Bühnenrand wörtlich ernst: Es schüttet bisweilen wie aus Badewannen. Nachdem das Bühnenbaupersonal einen neuen rutschfesten Teppich auf den Bühnenrand und auf den Steg geklebt hat, beginnt das Konzert mit 20 Minuten Verspätung. Und mit den ersten Takten fallen die ersten Tropfen. Bald darauf stehen gut 20’000 Menschen im anhaltenden Starkregen.

Mit Kutten, Feuershow und mit Spiegelmasken: Muse auf der Bühne.

Und so nicken Tausende Arcteryx-Kaputzen und Pellerinen zum Takt von «Hysteria» – ein fast gespenstisches Bild, das aber perfekt in die Dramaturgie des Abends passt, an dem auf Bildschirmen und Bühnenbildern eine dystopisch-kaputte Welt um Hoffnung bangt. Doch das Hadern mit den Wettergöttern und der begrenzt wasserabweisenden Multifunktionskleidung weicht sehr bald einer bemerkenswerten Euphorie. Die ist der Musik geschuldet, aber nicht nur: Das bis auf die Haut nasse Publikum feiert auch sich selbst.

Dann die Zäsur. Mit «Compliance» schlägt Muse einen anderen Weg ein. Der New-Wave-Song ist leichter und verspielter als das bisher Gehörte. Ein neues Bühnenbild erscheint, eine riesige Gestalt unter einer Kutte und mit Spiegelmaske. Grossartig. Und dann reisst der Himmel auf.

Ja, dieser Muse-Kuss ist fiebrig, bebend und ungestüm. Und das alles lässt sich noch immer steigern.

Und von da an spielt sich das Gewitter auf der Bühne ab, in den Händen des Trios, das seit seiner Gründung vor bald 30 Jahren zusammengehalten hat: Matthew Bellamy (Gitarre und Gesang), Chris Wolstenhome (Bass) und Dominic Howard (Schlagzeug). Seit dieser Tournee ergänzt mit Dan Lancaster ein Multiinstrumentalist die drei und bedient unter anderem den Synthesizer. 

Es folgen grosse Songs, Muse hat so viele davon. Ein Höhepunkt ist der unzimperlich betitelte Song «We Are Fucking Fucked», der trotz seiner Härte und der besungenen Furcht, ein schwarzes Loch werde uns alle verschlingen, etwas Opernhaftes hat in seiner Opulenz. Ohne grosse Gesten wäre Muse nicht Muse. Bei all der heraufbeschworenen Apokalypse blendet immer ein Scheinwerfer der Hoffnung vom Horizont.  

Durchnässt: Matthew Bellamy, Sänger und Gitarrist von Muse, auf dem Expo-Gelände.

Ja, dieser Muse-Kuss ist fiebrig, bebend und ungestüm. Und das alles lässt sich noch immer steigern. Mit Hits wie «Supermassive Black Hole», «Plug In Baby» und «Starlight». Schliesslich entlässt die Band ihre Fans nach zweieinhalb Stunden und den Zugaben «Kill or Be Killed» und «Knights of Cydonia» in die Nacht.  

Es sind Hymnen, die das Weite suchen, aber nie entfliehen. Denn es hallt nach dem Konzert nach, dieses Muse-typische Gefühl, einer Ausdehnung von Raum und Zeit beigewohnt zu haben. Und dann regnet es wieder.