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Warum er dem SCB zuletzt fernblieb
Vincent Praplans Schicksalsschlag beim traurigen Abschied aus Bern

Abschied aus Bern: Vincent Praplan wird zu Servette wechseln, hier freut er sich über seinen Siegtreffer zum 2:1 im Spiel gegen Ajoie am 28. Februar 2022.
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Als Vincent Praplan am Montagabend nach dem letzten Spiel des SCB in der Garderobe sass, überkamen ihn die Emotionen, er liess den Tränen freien Lauf. Sie hatten nichts mit der Niederlage seiner Mannschaft gegen Lausanne und dem damit feststehenden frühen Saisonende zu tun. Es war das erste Spiel Praplans gewesen seit dem Tod seines Vaters Gérard. Exakt eine Woche war vergangen, seit er im Spital in Bern eingeschlafen war.

In diesem Moment in der Kabine kam beim Stürmer alles wieder hoch. «Zum Spielen auf dem Eis ging es. Wenn ich auf der Bank sass, dachte ich aber nur an ihn», sagt Praplan. In diesen Momenten blickte er nach links unten auf der Tribüne gegenüber, wo an den Heimspielen jeweils Walliser Wappen, Plakate mit der Nummer 29 oder seinem Namen hochgehalten wurden. Es war in Bern in den letzten drei Jahren «seine» Ecke gewesen, mit Bruder Philippe, den Neffen – und häufig mit Gérard. Doch an diesem Montagabend war der Vater nicht mehr da.

Praplan hatte zwei Wochen lang nicht mehr gespielt, vierzehn ewige Tage, die er nie mehr vergessen wird. Der erste Tag, es war ebenfalls ein Heimspiel, dieses 2:5 gegen Biel. Philippe und Gérard waren da, wie immer winkten sie Praplan am Ende des Spiels von ihren Plätzen zu. Eine gute Viertelstunde später, als er bereits auf dem Hometrainer in der Kabine sass, kamen Anrufe von Familienangehörigen. «Sie wissen eigentlich, dass sie mich unmittelbar nach Spielen nicht anrufen sollen», erzählt Praplan. «Ich wusste also, dass etwas nicht stimmte.» Als er dann Philippe am Telefon hatte, sagte ihm dieser, vor dem Stadion stehend: «Ich glaube, es ist vorbei, Papa ist gegangen.»

Die ganze Familie kam zusammen

Gérard Praplan war auf dem Weg in die Tiefgarage zusammengebrochen, ein Herzinfarkt und ein Hirnschlag, wie sich später herausstellte. Als Praplan aus der Garderobe angerannt kam, sah er seinen Vater, den Bruder, er sah den Krankenwagen, in dem die Sanitäter Gérard mit einer Herzmassage zu reanimieren versuchten. Und er musste gleich eine Frage beantworten: «Sollen wir weiter versuchen zu reanimieren?» Da die beiden Schwestern Isabelle und Pauline nicht dabei waren, war es für Philippe und Vincent klar: natürlich. Nach 30 Minuten war Gérard wieder zurück.

Es folgte eine Woche des Hoffens und Bangens, «eine emotionale Achterbahnfahrt», wie es Praplan heute beschreibt. Beide Schwestern kamen nach Bern, die eine flog aus den Ferien zurück, die andere aus Afrika, wo sie seit einem Jahr lebt, auch Praplans Mutter Catherine reiste an. Philippe war sowieso die ganze Zeit da. «Für ihn war es am schlimmsten», sagt Praplan, «er hatte meinen Vater beim Zusammenbruch aufgefangen, diese Bilder gehen nicht mehr weg.»

Die Familie besuchte Gérard täglich im Spital, sie redeten mit ihm, obwohl er nur noch höchstens die Augen öffnete und sie anschaute. «Du weisst zunächst gar nicht, was sagen. Irgendwann erzählst du ihm einfach, was du alles an diesem Tag gemacht hast», sagt Praplan.

In der letzten SCB-Saison ein seltenes Bild: 
Vincent Praplan feiert eines seiner Tore, hier gegen Langnau am 17. September 2021.

Diese gemeinsame Zeit mit Schwestern und Mutter, sie sei das Schöne an dieser Woche gewesen. Sie redeten tagelang, gingen gemeinsam essen, tauschten Erinnerungen aus. So nahe waren sie sich schon lange nicht mehr gewesen. Seiner Tochter Isabelle hatte Gérard noch während des Spiels gegen Biel die üblichen Nachrichten aufs Handy geschrieben. «Er tat das seit Jahren, obwohl sie kein Eishockeyfan ist», erzählt Praplan, «aber so bekam sie auch immer mit, was ich tat.»

Gérard, er war Vincents grösster Fan. Er schaute jedes Spiel zumindest am Fernsehen. Er tat dies 2018 jeweils mitten in der Nacht, als Praplan in San Jose in Kalifornien am anderen Ende der Welt spielte. «Und er tat es bereits 2013, als ich in der kanadischen Juniorenliga war und du noch nicht viel mehr als unscharfe Bilder am Computer schauen konntest und kaum was vom Spiel erkanntest», sagt Praplan und lacht. Wie sehr Gérard seinen Sohn bewundert hatte, erlebte Praplan auch nach der Beerdigung letzten Donnerstag.

«Wir gingen gemeinsam in seine Wohnung, in einer Schublade fand ich einen riesigen Stapel Zeitungen.» Es waren Artikel über Vincent, die sein Vater über all die Jahre gesammelt und aufbewahrt hatte. «Ich hatte das nicht gewusst», sagt Praplan. Es war so ein Moment wie in der Garderobe nach dem Lausanne-Match, die Tränen kamen einfach. «Es passiert seit Tagen in Wellen», erzählt er. «Mal schaffe ich es, kurz nicht an ihn zu denken, mal überkommt es mich, und dann lasse ich alles zu.» Die Zeitungsartikel nahm er heim, «auch sie sind eine Art Erinnerung an ihn». 

Das letzte Spiel im SCB-Dress letzten Montag: Vincent Praplan vor Lausannes Goalie Tobias Stephan.

Andere sind die Whattsapp-Mitteilungen. Denn auch ihm schrieb Gérard nach jedem Match Nachrichten. Tipps, Aufmunterungen, Gratulationen – je nach Spiel. Er werde diese auch speichern, behalten und irgendwann wieder lesen. «Im Moment schaffe ich das aber noch nicht.» Am Montag nach dem Lausanne-Match hatte er aus Gewohnheit aufs Handy geschaut, um die Nachricht des Vaters zu lesen. Es war keine da.

«Ich habe mich mehrmals gefragt, ob es vielleicht so sein musste, ob es für ihn in Ordnung war, so zu gehen.»

Vincent Praplan

Zwei Wochen blieb Praplan der Mannschaft fern, es war mit dem SCB abgemacht, dass er selber entscheiden kann, wann er wieder bereit sein würde. Offiziell war er als «abwesend» gemeldet. Den ersten Versuch brach er sofort wieder ab. Es war der Samstag vor dem Auswärtsmatch in Ambri, Praplan kam ins Stadion, wollte mit den Kollegen beim Warm-up am Morgen mit aufs Eis. «Ich konnte aber kaum einen Pass spielen.» Also ging er wieder heim.

In der ersten Woche fand er kaum Zeit zum Verarbeiten. Es gab vieles zu erledigen und keine Gelegenheit, in sich zu gehen. Die vielen Gespräche mit den Geschwistern und der Mutter halfen aber auch, um positive Gedanken zu haben. «In dieser Saison kam mein Vater nur selten an die Spiele in Bern, ich glaube, sein letztes war erst das dritte Mal», sagt Praplan. «Ich habe mich darum mehrmals gefragt, ob es so sein musste, ob es für ihn vielleicht in Ordnung war, so zu gehen. Er konnte mich zusammen mit Philippe noch einmal spielen sehen, und er hatte mit allen vier Kindern Kontakt an diesem Tag.» Isabelle hatte er ja wie immer vom Spiel geschrieben, Pauline hatte an jenem 1. März Geburtstag.

Ein Bild aus gemeinsamen Tagen in der Nationalmannschaft: Vincent Praplan (rechts) und Thomas Rüfenacht vor einem Testspiel in Basel gegen Dänemark am 28. April 2017.

Vorletzten Sonntag, als nach Stabilisierung und kleinen Hoffnungen der Zustand Gérards sich wieder drastisch verschlechtert hatte, habe die Familie den Entscheid getroffen, keine weiteren Operationen mehr machen zu lassen, sagt Praplan: «Am Montag schlief mein Vater dann ein.»

«Rüfi musste nichts sagen. Ich wusste alles, was er meinte.»

Vincent Praplan

Kraft gaben ihm seither auch die Berner Mitspieler. «Ich merkte, wie jene, die ähnliche Schicksale schon erlebt hatten, anders reagierten», sagt Praplan. Als er letzten Samstag in die Garderobe eintrat, um erstmals wieder zu trainieren, kam ihm Thomas Rüfenacht entgegen und umarmte ihn wortlos. «Er musste nichts sagen, ich wusste alles, was er meinte: Auch Rüfi hat seinen Vater verloren, er weiss, wie das ist, aber auch, dass es irgendwann besser wird und dass er für mich da ist, wenn ich etwas brauche.»

Der sofortige Wechsel zu Servette

Rüfenacht wird nicht zu Praplans Teamkollegen gehören nächste Saison. Genauso wenig wie die anderen SCB-Spieler. Schon seit Tagen hatten der Stürmer und der Club über ein vorzeitiges Ende Praplans in Bern diskutiert, obwohl er noch für 2022/23 einen Vertrag gehabt hätte. Praplan war vor drei Jahren aus Nordamerika als Hoffnungsträger zum SCB gestossen, er erlebte aber durchwegs schwierige Saisons. Beide Seiten hätten gefunden, dass ein Neustart für alle gut wäre, sagt Praplan. Am Mittwochmittag wurde es offiziell, dass er nächste Saison für Genf-Servette spielen wird.

Der Schicksalsschlag beschert Praplan nun in mehrfacher Hinsicht einen Neustart. «Es ist gut so», sagt Praplan. Beim Gespräch in der leeren Postfinance-Arena schaut er auf die andere Seite, in «seine» Ecke unten links. Jedes Mal in den letzten Tagen, wenn er in die Halle gekommen war, seien die Gefühle hochgekommen. Es ist das Stadion, wo es passierte. Der Ort, wo er seinen Vater das letzte Mal vom Spielfeld aus sah. Der Ort, wo er danach zusammenbrach. «Wenn ich nächste Saison mit Servette erstmals hier spielen werde, wird das sicher sehr speziell sein», sagt Praplan.

«Ich werde nun einen Artikel über meinen Vater haben und diesen aufbewahren. Ich kann ihn dann immer anschauen, danach weinen, lachen und mich an ihn erinnern.»

Vincent Praplan

Die letzten vierzehn Tage seien hart gewesen, sagt Praplan. Mittlerweile gibt es auch Momente, in denen er dankbar ist, dass sein Vater nicht mehr leiden muss. Er weiss auch, dass sich die Gefühle mit der Zeit einpendeln werden und er irgendwann wirklich begriffen haben wird, dass Gérard nicht mehr da ist. Noch ist er nicht so weit. Die Zeit hilft, darüber reden auch. Auch darum wollte er dieses Interview geben, hat in den letzten knapp 45 Minuten viel geredet, nachgedacht, aber auch gelacht. «Ich wollte all das erzählen, weil andere Leute in einer ähnlicher Situation vielleicht etwas davon mitnehmen können.»

Es sei für ihn auch okay, wenn in Eishockeykreisen die Leute seine Geschichte kennen lernen würden. Am Montag, beim Warm-up auf dem Eis, hatte ihn ein Lausanner Gegner aus harmlosem Trash-Talk-Spass gefragt, ob er denn zuletzt überzählig gewesen sei. Seine ehrliche Antwort habe den Spieler baff gemacht.

Praplan hat aber auch einen ganz persönlichen Grund, warum er an diesem Mittwochmittag so viel erzählte: «Ich werde nun einen Artikel über meinen Vater haben und diesen aufbewahren. Ich kann ihn dann immer anschauen, danach weinen, lachen und mich an ihn erinnern.»

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