Umstrittenes Sit-in an Uni BernRektor wirft den Besetzenden Zensur vor
Seit Sonntag ist auch ein Teil der Uni Bern besetzt. Die Unileitung findet das inakzeptabel, einige unbeteiligte Studierende fühlen sich unwohl.
Um 15 Uhr betrat Rektor Christian Leumann die Mensa der Unitobler. Den Ort, den rund 300 Studenten und Aktivistinnen seit Sonntagabend besetzen. Sie werfen der Universität Bern Komplizenschaft mit Israel und eine interne Zensur der solidarischen Stimmen mit Palästina vor.
Rektor Leumann machte vor Ort unmissverständlich klar, was er von dem Protest hält. «Diese Besetzung ist inakzeptabel», sagte er vor der versammelten Menge. Die Uni müsse ihren Lehrauftrag erfüllen, und wem die wissenschaftliche Ausrichtung der einzelnen Institute nicht passe, der solle etwas anderes wählen. «Wir lassen uns nicht erpressen und fordern die Besetzerinnen und Besetzer dezidiert dazu auf, die Räumlichkeiten umgehend freizugeben.»
Allerdings vermied Leumann, den Aktivistinnen ein Ultimatum zu setzen, auch nicht, als ein Student danach fragte. Die Uni habe noch nicht entschieden, wie sie weiter vorgehe, antwortete der Rektor. «Aber wir halten uns alle Optionen offen.»
Die Universität Bern ist mittlerweile die fünfte Schweizer Hochschule, die von Pro-Palästina-Aktivisten besetzt wird. Am Montag wurden auch jene in Basel und Freiburg in Beschlag genommen, in Genf und Lausanne gingen die Besetzungen weiter.
In Bern lief der erste Tag mit Ausnahme des Auftritts des Rektors wenig spektakulär ab. Die Besetzer und Besetzerinnen hatten sich in der Mensa und im Platanenhof eingerichtet. Dort verpflegten sie sich, gaben Interviews oder hielten Lese- und Diskussionsgruppen ab.
Gemäss Leila, der Mediensprecherin der Besetzenden, sind alle Beteiligten Studierende der Universität Bern. Etliche von ihnen sind aber auch beim Kollektiv Bern for Palestine aktiv, das immer wieder zu Demonstrationen aufruft. Zudem haben sie sich mit anderen Uni-Besetzenden in der Schweiz und im Ausland vernetzt.
Austauschprogramm mit Israel
Wie an anderen Universitäten auch, fordern die Aktivistinnen und Aktivisten in Bern «einen akademischen Boykott israelischer Institutionen» sowie «eine sofortige Beendigung des Genozids an der palästinensischen Bevölkerung».
Insbesondere auf den ersten Punkt will die Unileitung aber keinesfalls eintreten. «Damit fordern die Besetzerinnen und Besetzer eine massive Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit», sagte Leumann und warf den Besetzenden somit ebenfalls Zensur vor.
Aktuell existiert laut Medienstelle ein Abkommen mit der Hebrew University of Jerusalem und der palästinensischen Birzeit University bezüglich Studierendenaustausch. In den Bereichen der biomedizinischen Forschung, klinischen Forschung, Biologie, Erdwissenschaften oder den historischen Wissenschaften gebe es zudem gemeinsame Publikationen.
Stereotype Schuldzuweisungen
Unhaltbar ist für Leumann auch der Vorwurf, dass die Unileitung eine klare Position im Gazakrieg bezogen habe. Die Aktivisten führen als Argumente die Auflösung des Instituts für Nahoststudien an sowie den Umgang mit einem Professor, der ein Mitglied der kommunistischen Bewegung Der Funke geschubst hat. Dieser sei «nahezu frei von Konsequenzen» geblieben, schreiben die Aktivisten.
Die Uni hält dem entgegen, dass der betroffene Professor eine Abmahnung erhalten habe. Das Institut sei zudem aufgelöst worden, nachdem ein Dozent die Gewalt der Hamas in einem Tweet verherrlicht und seine Frau, die Institutsleiterin, nicht klar Stellung gegen ihn bezogen habe. Nun sei vorgesehen, das Institut in den nächsten Monaten in einen grösseren Fachbereich zu integrieren.
Schulze kritisiert Besetzer
Bekannt geworden ist das Institut durch den einstigen Vorsteher und Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Der emeritierte Professor sagt nun zu den Protesten, dass die Universität darauf beharren müsse, dass akademische Tugenden nicht verletzt würden.
Schulze kritisiert die stereotypen Schuldzuweisungen der Protestierenden. Sie kämen in den Parolen und Argumenten der Besetzenden zum Ausdruck. «Insofern wirkt der studentische Protest weitgehend unakademisch», sagt er. Schulze ruft zu einem Verzicht auf plakativen Dogmatismus auf und fordert die Absage an jede Diskriminierung und die Bereitschaft, das politische Anliegen einer sachgerechten wissenschaftlichen Debatte zu unterstellen.
«Wenn Proteste einen antisemitischen Charakter annehmen und zum Resonanzraum für solche Ressentiments zu werden drohen, müssen diese sanktioniert und unterbunden werden», sagt Schulze.
Ist der Protest antisemitisch?
Die Besetzer und Besetzerinnen selbst forderten auf einem Transparent, sowohl von Antisemitismus als auch von Antiislamismus abzusehen. Gleichzeitig hatten sie zahlreiche Plakate mit dem als antisemitisch geltenden Slogan «From the River to the Sea, Palestine Will Be Free» aufgehängt. Auch der Apartheits- und der Genozidvorwurf gelten als antisemitische Dämonisierung Israels. Die Sprecherin Leila will den Slogan aber nicht antisemitisch verstanden haben. «Er bedeutet Freiheit für alle», sagt sie.
Grundsätzlich gelte auch für die Pro-Palästina-Proteste an der Uni das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, solange sie gewaltfrei blieben, sagt derweil Sozialanthropologe Jevgeniy Bluwstein.
Doch die Pro-Palästina-Besetzungen lösen bei jüdischen und auch anderen Studierenden teilweise Unbehagen aus. Erste Universitätsangehörige hätten aus Sorge bereits ihren Arbeitsplatz verlegt und Studierende und deren Angehörige fühlten sich verunsichert, schreibt die Uni in ihrer Medienmitteilung.
Auch bei der Jüdischen Gemeinde Bern zeigt man sich kritisch: «Wir sind besorgt über die zunehmende Radikalisierung und die teilweise unreflektierte Rhetorik.» Man erwarte von der Universität Bern, dass sie für die Sicherheit ihrer jüdischen Studierenden und Mitarbeitenden sorge.
Schliesslich bezogen auch erste politische Parteien Haltung. Die GLP Kanton Bern schreibt: «Alle Studierenden und das gesamte Personal sollen sich sicher und angstfrei an der Uni bewegen können, und der Unibetrieb darf nicht gestört werden.»
Zwei jüdische Mitarbeitende der Uni, die sich mit ihren Laptops in der Mensa installiert hatten und gleichzeitig die Proteste beobachteten, betonten jedoch, die Stimmung sei weder antisemitisch aufgeladen noch empfänden sie diese als bedrohlich.
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