Skandal um rosarote SilberpfeileÜber dieses Team flucht die halbe Formel 1
Dritter in der WM, Aufsteiger der Saison: Doch am Erfolg von Racing Point erfreuen sich nur wenige. Mit einer Kopie von Mercedes eckt das Team an – und mit ihm der Dominator.
Die Gegner schreien «Bullshit» und «Betrug», sie toben angesichts des Wunders, das sich in der Formel 1 gerade zuträgt. Weil sie nicht an ein Wunder glauben.
Da fährt Racing Point, vormals als Force India ein durchschnittliches Mittelfeldteam mit den durchschnittlichen Fahrern Lance Stroll und Sergio Pérez, plötzlich ganz vorn mit. Kämpfen die beiden Piloten in ihrem rosaroten RP20 tatsächlich und ernsthaft um die Podestplätze, von denen zwei schon reserviert sind für die Fahrer im pfeilschnellen Mercedes. Als dritte Kraft steigt das Team aus Silverstone am Sonntag in den Grand Prix von Belgien. Vor ihm in der WM-Wertung liegen einzig Mercedes, das Überteam, und Red Bull. Hinter ihm: die stolzen Traditionsrennställe McLaren und Ferrari.
Sie sind es denn auch, die besonders laut ausrufen in der umstrittenen Angelegenheit, die längst einen eigenen Namen hat: «Copygate»-Skandal. Dabei geht es darum, dass der RP20 – bis auf die Lackierung – auf verblüffende Weise dem Mercedes von 2019 ähnelt, wenn er nicht gar deckungsgleich ist.
«Es gibt die, die abschreiben, und die, die dem anderen den Test geben, damit er abschreiben kann.»
Von den Besten zu lernen, schien den Ingenieuren von Racing Point nicht genug. Sie wollten sie kopieren. Das gelang in Perfektion. Und genau das sei schlicht unmöglich ohne Mithilfe von Mercedes, sagen die Ankläger. «Es gibt die, die abschreiben, und die, die dem anderen den Test geben, damit er abschreiben kann», sagt etwa Mattia Binotto, Teamchef von Ferrari.
Racing Point stellt sich derweil auf den Standpunkt, das Auto anhand legaler 3-D-Fotografien nachgebaut zu haben. Die Gegner lachen höhnisch. James Key, Technikchef bei McLaren, sagt: «Die Aerodynamik macht nur 30 Prozent des Gesamtpakets aus. Wie man diese Oberflächen zum Funktionieren bringt, welche Rolle da die kleinsten Details spielen, kann von aussen gar keiner erkennen.» Auch nicht mit 3-D-Kamera. Mercedes muss also Racing Point illegal geholfen haben, so sein unausgesprochenes Fazit.
2019 noch legal, 2020 nicht mehr
Racing Point bezieht die Motoren von Mercedes, der Austausch ist ziemlich rege, und die Teams sind auf politischer Ebene eng verzahnt. Doch mit ihrer Kopie sind die Briten zu weit gegangen – finden viele. Es geht auch um einen Präzedenzfall.
Renault schritt voran, legte nach dem zweiten Rennen im österreichischen Spielberg Protest ein. Konkret beanstandeten die Franzosen die Bremsbelüftung an den hinteren Achsen, ein enorm komplexes Konstrukt, das kaum zum Nachbau geeignet ist. Weder Mercedes noch Racing Point bestritten denn auch, dass mehr als nur Fotos zur Konstruktion des Teils beitrugen, dass Daten flossen, vielleicht erhielt das vormalige Mittelfeldteam gar eine Bremsbelüftung von Mercedes, um sie detailgetreu rekonstruieren zu können. Das alles aber wäre 2019 geschehen. Und damals war dieses Element noch ein «nicht gelistetes Teil», sprich: Es durfte zwischen den Teams weitergereicht werden; nicht jeder Rennstall musste es selbst designen und herstellen. Das Problem: Seit 2020 gehört die Bremsbelüftung zu den gelisteten Teilen, ein Austausch ist verboten.
Doch noch am 6. Januar 2020 hatte Racing Point einen ganzen Satz davon von Mercedes erhalten, um ihn bei den Wintertests einzusetzen. Dazu kam es zwar nicht, weil die Briten ihre Kopie rechtzeitig fertigkriegten, trotzdem war diese Übergabe regelwidrig. Und das ist auch der Einsatz des Abbilds in dieser Saison, weil es zu grossen Teilen von Mercedes designt wurde. Zu diesem Schluss kam der Automobilweltverband FIA nach einer Untersuchung. Bei einem Werksbesuch im März hatten die Verantwortlichen noch nichts zu beanstanden gehabt. Anfang diesen Monats aber straften sie Racing Point mit einer Busse von 400’000 Dollar und 15 Punkten Abzug in der Konstrukteurswertung.
Trotz minus 15 Punkten noch Dritter
Dennoch ist das Team noch Dritter. Und fährt weiter unbekümmert mit den zumindest halb legalen Teilen um die Wette. Die FIA begründet das damit, dass Racing Point ja nun über das Wissen verfüge, wie das Teil hergestellt werde – und das nicht mehr hergeben könne. Zwar wurde das Team für weitere Rennen noch verwarnt, einige Kontrahenten aber geben sich damit nicht zufrieden und poltern lauthals gegen das Urteil. Sie zweifeln mitunter auch an, dass der Rest des Autos regelkonform hergestellt wurde. Fachportale schreiben von einem «Krieg in der Formel 1».
An vorderster Front: Zak Brown, Chef von McLaren. «Racing Point hat ja behauptet, dass es das Auto mit Fotos kopiert habe. Wenn man das Urteil der FIA liest, wird klar, dass das Bullshit ist.» Und: «Jetzt müssen wir dieses Auto auch insgesamt infrage stellen.» Allerdings gingen letztlich nur Renault und Ferrari in Berufung gegen das Urteil – und Racing Point selbst. Es fühlt sich ungerecht behandelt. Lawrence Stroll, Vater von Pilot Lance Stroll, Mode-Milliardär und Besitzer des Teams, legte seine Scheu vor der Öffentlichkeit für einmal ab und gab sich in einem Statement «entsetzt» darüber, dass Berufung eingelegt wurde. Er nannte das «unsportlich» und sah seine Integrität infrage gestellt. «Ich habe in meinem Leben noch nie bei irgendetwas betrogen.»
Immerhin ist seit Donnerstag nur noch Ferrari geblieben als öffentlicher Ankläger. Renault zog sich zurück, weil die FIA signalisierte, auf 2021 hin das entsprechende Reglement zu verschärfen. Ferrari dagegen geht es wohl vor allem darum, zu ergründen, wie sehr Dominator Mercedes verstrickt ist in diese Sache. Dabei hätte die Scuderia derzeit zuhauf eigene Probleme, die sie zu lösen hätte.
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