«The Lost King» im KinoNach jahrelanger Suche findet sie den toten König unter einem Parkplatz
Stephen Frears verfilmt die Geschichte der Frau, die den Leichnam von Richard III. fand. Er scheitert ausgerechnet an jenem Mann, den sein Film doch widerlegen möchte: William Shakespeare.
Und dann, plötzlich auf dem Schlachtfeld, sieht sich der König von feindlichen Soldaten umstellt. Einer von ihnen rammt ihm den Dolch in den Kopf, sticht mehrmals auf ihn ein. Der König von Britannien fällt und stirbt sofort. Es ist der 22. August 1485. Richard III. ist 32 Jahre alt. Sein Bezwinger steigt auf den Thron, die Tudors übernehmen die Macht.
Richards Leichnam wird verscharrt, bleibt namenlos dem Vergessen preisgegeben. Trotzdem wird er weltberühmt. Weil nämlich ein englischer Dramaturg Richard III. ein gutes Jahrhundert später zu einem sadistischen Intriganten hochschreiben wird, dem Inbegriff eines Tyrannen. Dieser Dramaturg, er heisst William Shakespeare, bleibt noch über 400 Jahre später der meistgespielte Theatermann der Welt.
Selbst Richards Leiche überlebt. Am 25. August 2012, über 500 Jahre nach seiner Geburt, wird sein Skelett unter einem Parkplatz in Leicester hervorgezogen. Worauf der Tote in der Kathedrale der Stadt in allen Ehren bestattet und sein Ruf, den Shakespeare ruiniert hatte, wiederhergestellt wird.
Die Frau, die nicht aufgab
Zu verdanken hat das Richard einer Frau, die weder Historikerin ist noch Archäologin. Und es trotzdem nach einer achtjährigen, an Besessenheit grenzender, von fast allen Fachleuten ignorierter Suche fertigbrachte, Richards Skelett zu finden und dem Toten zurückzugeben, was sie als ihr wichtigstes Ziel nannte: seine Ehre.
Philippa Langley heisst die Unermüdliche, eine zweifache Mutter, die im schottischen Edinburgh lebt, seit Jahren am chronischen Erschöpfungssyndrom leidet und von John Langley, der vom Komiker und Drehbuchautor Steve Coogan verkörpert wird, geschieden ist, ihm aber in Freundschaft verbunden bleibt.
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Ihre Suche nach dem Leichnam von König Richard III. ist die Ausgangslage für «The Lost King» von Stephen Frears, diesem so vielseitigen englischen Regisseur, dem wir Filme zu verdanken haben wie «Dangerous Liaisons», «Philomena» oder «High Fidelity». Mit dem Drama «The Queen» von 2006 hatte sich Frears erstmals mit den britischen Royals auseinandergesetzt. Helen Mirren bekam für ihre Darstellung von Königin Elizabeth II. den Oscar.
Vom Tyrannen zum Reformer
In «The Queen» ging es um die öffentliche Krise der königlichen Familie nach dem Tod von Lady Diana. In «The Lost King» macht sich Frears an eine Korrektur der britischen Geschichte. Denn der unermüdlichen Philippa Langley gelang es nicht nur, das Skelett von Richard III. zu finden. Sondern gleich noch den von Shakespeare diffamierten König von einem Mörder zu einem Frommen, von einem Tyrannen zu einem Reformer, von einem Intriganten zu einem Unerschrockenen umzudeuten. Dass Langley eine überzeugte Royalistin ist, passt in die heutige Zeit, die mit dem Tod von Queen Elizabeth und der Krönung von Charles einen neuen adligen Schub erlebte.
Die Schauspielerin Sally Hawkins, die schon in Filmen von Woody Allen wie «Blue Jasmine» überzeugte, macht eindringlich vor, wie es einer körperlich beschädigten, psychisch überforderten und lange nicht ernst genommenen Amateurin ohne akademische Ausbildung gelingt, Weltgeschichte umzuschreiben. Hawkins spielt die Philippa als fragile, aber willensstarke Person, die in ihrer Suche nach der Leiche von Richard III. einen Lebenszweck findet. Und sich von Widerständen, Spott und Ablehnung nicht abschrecken lässt, sondern diese als Bestätigung ihrer «mission impossible» interpretiert.
Um den toten König präsenter zu machen, lässt Stephen Frears ihn als Fantasie von Philippa live auftreten.
Auch Steve Coogan, der das Drehbuch zu «The Lost King» mitgeschrieben hat, überzeugt im Film als skeptischer Ex-Mann, der seine Frau erst auslacht, dann kritisiert und sich ihr schliesslich anschliesst. Der Film ist als unterhaltsames Detektivspiel angelegt und variiert gekonnt den Konflikt von der Kleinen gegen die Grossen.
Beide Seiten, die Amateurforscherin und die Akademie, haben über ungenaue Details der Verfilmung geklagt, aber das ist bei einer so umstrittenen Ausgangslage unvermeidlich. Klar ist immerhin, was DNA-Spuren späterer Nachkommen belegt haben: Der Tote unter dem Parkplatz war wirklich Richard III.
Wenn also eine Geschichte stimmt und mit guten Schauspielern von einem exzellenten Regisseur erzählt wird: Warum vermag Stephen Frears’ Film trotzdem nicht zu überzeugen? Weil der Regisseur, man wagt es fast nicht zu sagen, einen Anfängerfehler begangen hat. Denn um den toten König präsenter zu machen, lässt er ihn als Fantasie von Philippa live auftreten und mit ihr reden.
Der eingebettete Shakespeare
Das Problem dabei ist nicht nur, dass das unbeholfen aussieht. Sondern dass der Regisseur dabei auf den falschen Schauspieler gesetzt hat. Dass Richard III. nicht der Sadist und Berserker war, wie Shakespeare ihn charakterisierte und wie ihn Al Pacino, Kevin Spacey oder Benedict Cumberbatch so hinreissend dargestellt haben: Man kann es nachvollziehen. Denn sehr wahrscheinlich hat Philippa Langley recht mit ihrer Behauptung, Shakespeares Königsdrama sei nichts anderes als ein mitreissend getextetes Stück Propaganda für den Tudor-Clan. Deren letzte Vertreterin war Elizabeth I., die ja Shakespeares Stücke förderte; der war ein gewissermassen eingebetteter Dramaturg.
Aber etwas Charakter und Autorität müsste auch ein netter König Richard zeigen können. Stattdessen spielt ihn Harry Lloyd als bleichen Langweiler, der verloren auf den Strassen von Sheffield herumsteht oder auf seinem Ross sitzt und gedankenschwer in die Ferne schaut. Wenn dieser Richard tatsächlich die Fantasien der Philippa Langley verkörpert, fragt man sich, wieso sie sich dermassen lange mit ihm befasst hat.
Möglicherweise war Richard III. besser als sein Ruf. Aber Shakespeare machte den König interessanter, indem er seinen Ruf ruinierte. Die Bösen bleiben die Besten.
Ab 31. August im Kino.
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