Proteste im IranTeheran droht Aufständischen in den Provinzen mit Krieg
Das Mullah-Regime bekommt die landesweiten Demonstrationen nicht in den Griff. Nun will die Regierung mit einem militärischen Angriff auf die kurdischen Städte zumindest das Gebiet an der irakischen Grenze wieder kontrollieren.
Das iranische Regime hat militärische Einheiten in mehrheitlich von Kurden bewohnte Städte im Nordwesten von Iran verlegt und seinen Soldaten dort offenbar einen Schiessbefehl erteilt. Die den iranischen Revolutionsgarden nahestehende Nachrichtenagentur Tasnim meldete am Montag, «Bodentruppen» wären im Einsatz, um die kurdisch geprägten Städte Bukan, Mahabad, Oschnaviyeh und Piranschahr zu «säubern».
Die genannten Städte liegen sämtlich in West-Aserbaidschan, unweit der Grenze zum Irak. Aus der Provinz sickern Augenzeugenberichte durch, wonach das Vorgehen der iranischen Revolutionsgarden an die Methoden erinnert, mit denen der syrische Diktator Bashar al-Assad die Proteste in den ersten Jahren des Bürgeraufstands in Syrien niederschlagen liess.
Auch aus der westiranischen Provinz Kermanschah, die ebenfalls an den Irak grenzt, dringen besorgniserregende Nachrichten. Laut Aktivisten sollen in den Strassen der 43'000-Einwohner-Stadt Javanrud tote Zivilisten liegen, die von Sicherheitskräften erschossen wurden. Wegen des hügeligen Umlands und der Strassensperren sei Javanrud von der Aussenwelt völlig abgeschnitten. Per Telefon berichteten Bewohner, dass Truppen aus Teheran zusammen mit einer in Javanrud stationierten Brigade der Revolutionsgarden auf den Strassen patrouillieren und weiter auf Passanten schiessen.
Flucht in die Grenzregion
Beobachter befürchten, dass Irans Revolutionsführer und religiöses Oberhaupt Ali Chamenei nun grünes Licht für ein rein militärisches Vorgehen gegen die Protestierenden gegeben habe. «Immerhin ist das Umschalten auf das brutale Vorgehen gegen die Protestbewegung das Eingeständnis, dass es tatsächlich um das Überleben des Regimes geht», sagt der kurdische Analyst Rohan al Ameen, der in der kurdischen Universitätsstadt Sulaimaniyya im Irak lebt. In der irakisch-kurdischen Grenzregion sollen seit mehreren Tagen immer mehr Menschen eintreffen, um sich vor der Offensive der Sicherheitskräfte in Sicherheit zu bringen.
Die Nachrichtenagentur Tasnim versucht mit Erfolgsmeldungen zu beweisen, dass die Lage in weiten Teilen Irans wieder unter Kontrolle sei. Doch schon die Nennung der zahlreichen Orte, in denen sich Bürger weiter aus dem Haus trauen und demonstrieren, lässt viele Iraner an den Verlautbarungen zweifeln. In Piranschahr hätten die Artesh-Einheiten der regulären Armee und die Einheiten der Revolutionsgarde zwar die Innenstadt unter Kontrolle, würden aber immer wieder von kurdischen Rebellen angegriffen, meldete Tasnim.
Mehr Menschen auf der Strasse als zuvor
In den Provinzen Sistan und Belutschistan gingen zuletzt sogar mehr Menschen auf die Strasse als zuvor. Menschenrechtsaktivisten zählten alleine am 21. November landesweit 16 Protestmärsche in zwölf Städten. Die tatsächliche Zahl könnte noch weit höher liegen, da Videos, Fotos und Berichte wegen der über viele Provinzen verhängten Internetsperre oft erst nach mehreren Tagen verbreitetet werden.
Am Montag hat Mohammed Kazem Al Sadeq, der iranische Botschafter im benachbarten Irak, der irakischen Regierung ein zehntägiges Ultimatum gestellt. So lange hätten irakische Einheiten Zeit, militante kurdische Einheiten im Irak zu entwaffnen. Das autonome irakische Kurdengebiet ist seit Jahren Zufluchtsort für bewaffnete Gruppen und politisch Verfolgte aus Iran und der Türkei.
Das Parlament verweigert die Diskussion
Die neu gewählte Regierung des irakischen Premierministers Mohammed Shia' al-Sudani liegt mit den kurdischen Autonomiebehörden allerdings wegen der Verteilung der Öleinnahmen Kurdistans im Streit und verfügt nicht über die militärischen Mittel, um die iranischen Kurdengruppen von dort zu vertreiben. Die Drohung Irans könnte einen politischen Konflikt zwischen Kurden und Schiiten im Irak auslösen. Im irakischen Parlament haben proiranische Parlamentarier am Dienstag eine Diskussion über die türkischen Luftangriffe und das iranische Vorgehen auf irakischem Territorium verhindert.
Auch in Sachen Atomabkommen geht das iranische Regime in die Offensive. In einem Brief an die Atomenergie-Organisation IAEA teilten die Behörden mit, von Dienstag an die Produktionskapazitäten für Uranhexafluorid zu erhöhen, einem Ausgangsstoff für die Herstellung atomarer Brennelemente. In der iranischen Atomanlage Fordo hat die Produktion von auf 60 Prozent angereichertem Uran begonnen. Das Atomabkommen von 2015 legte einen Schwellenwert von 3,67 Prozent fest. Zum Bau von Atombomben ist auf rund 90 Prozent angereichertes Uran notwendig.
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