Ein Jahr nach Ibiza-AffäreStrache mit wenig Reue
Der einst führende Rechtspopulist Österreichs sieht sich an der Spitze einer – wie er es nennt – neuen Bürgerbewegung und wittert dank der Corona-Krise seine Chance.
Ausgerechnet Heinz-Christian Strache will «Hüter der Verfassung» sein. «Wir passen darauf auf, dass die momentan Mächtigen in diesem Land es nicht zu weit treiben.»
Der Absturz der Wirtschaft und die Rekordarbeitslosigkeit in der Alpenrepublik könnten für den 50-Jährigen ein ideales Umfeld werden, um bei der Landtagswahl in Wien im Oktober ein Ausrufezeichen zu setzen. «So wie die Rechtspopulisten Modernisierungs-Verlierer an sich gebunden haben, kann das auch bei besonders schlimm getroffenen Corona-Verlierern gelingen», sagt der Politologe Peter Filzmaier. Straches Comeback auch unter dem Vorzeichen eines Aufpassers ist bemerkenswert.
«Genug ist genug»
Der Ex-Vizekanzler selbst hat das Vertrauen der Bürger in den verantwortungsvollen Umgang der Politiker mit der Macht in spektakulärer Weise beschädigt. Am 17. Mai 2019 wurde von «Spiegel» und «Süddeutscher Zeitung» das Ibiza-Video veröffentlicht. Ein mehrminütiger Zusammenschnitt aus vielen Stunden heimlich gefilmten Materials, das den damaligen FPÖ-Chef im Sommer 2017 in einem verhängnisvollen Gespräch zeigt.
Einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte scheint er im Gegenzug für Geldspenden an die Partei Staatsaufträge zu versprechen. Missliebige Redakteure des einflussreichen Boulevardblatts «Kronen Zeitung» gehörten – «zack, zack» – ausgetauscht. Unter diesen Vorzeichen sei bei Wahlen ein hohes Ergebnis für die FPÖ sicher, so Strache. Er selbst tut bis heute seinen Auftritt als «bsoffene G'schicht» ab. Die Entstehungsgeschichte des Videos ist offiziell noch ungeklärt.
«So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.» Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen übte sich nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos in Schadensbegrenzung. Das Video hatte ein politisches Beben ausgelöst. Mit den Worten «Genug ist genug» beendete Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz das seit 18 Monaten regierende Bündnis von Konservativen und Rechtspopulisten.
Nach zehn Tagen Dauerkrise war aber nicht nur die ÖVP-FPÖ-Regierung am Ende, sondern auch Kurz durch das erste Misstrauensvotum der österreichischen Geschichte seines Amtes enthoben. Sozialdemokratische SPÖ und die auf die Seite der politischen Gegner der ÖVP gewechselte FPÖ hatten den damals 32-Jährigen gestürzt.
Die SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner brachte es fertig, einen politischen Penalty in den Nachthimmel von Wien zu donnern. Am Abend der EU-Wahl am 26. Mai 2019 kündigte eine schlecht ausgeleuchtete Rendi-Wagner das Misstrauensvotum für den nächsten Tag an. Dabei hatten die Sozialdemokraten bei der EU-Wahl gerade einmal ihr Ergebnis gehalten, die ÖVP aber deutlich zugelegt.
Die Verkündung des Misstrauensvotums am Abend einer verlorenen EU-Wahl habe sofort den Beigeschmack des schlechten Verlierers gehabt, meint Filzmaier. «Da platzt die Regierung aufgrund des bisher grössten Polit-Skandals und die grösste Oppositionspartei stürzt ab», so der Politologe angesichts des folgenden Sinkflugs der SPÖ.
Rückkehr der Grünen
Ein Jahr nach dem Skandal ist die politische Landschaft in Österreich neu sortiert. Die ÖVP bildete nach den Wahlen ein Bündnis mit den Grünen. Kurz wurde aus Sicht vieler internationaler Medien damit von einem, der die Rechtspopulisten hoffähig gemacht hatte, zu einem, der in Europa eine Koalition mit Vorbildcharakter geschmiedet hat. Die Grünen, 2019 gar nicht im Parlament, konnten ihre triumphale Rückkehr ins politische Rampenlicht feiern.
Die FPÖ ist vom stolzen Regierungspartner zu einer Partei mit nur noch zehn Prozent in Umfragen abgestiegen. Der Streit mit dem wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossenen Strache zersplittert das Lager am rechten Rand. In altem Selbstbewusstsein verkündete Strache am Freitag den Start seiner Partei Team HC Strache, Allianz für Österreich. «Wir sehen uns als Gegengewicht und Gegenbewegung zu einer völlig aus dem Ruder laufenden Globalisierung der Welt und einer Gesellschaft, die immer mehr entwurzelt wird.» Strache will mit der Partei im Oktober bei der Landtagswahl in Wien antreten und setzt dabei auf die Sorge vor Armut in der Corona-Krise. Auch die FPÖ hat erkannt, dass die Angst vieler Menschen weniger dem Virus als dem sozialen Abstieg gilt und hat eine Petition gegen den «Corona-Wahnsinn» gestartet.
Im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue gegen Strache. Wegen eines im Herbst 2019 aufgekommenen Spesen-Skandals – der Spitzenpolitiker mit üppigem Gehalt soll private Rechnungen auf Kosten der Partei abgerechnet haben – ermitteln die Behörden ebenfalls wegen des Verdachts der Untreue. Am 4. Juni muss Strache «zur mutmasslichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung» vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss aussagen, der etwaigen Postengeschacher zur Zeit der ÖVP-FPÖ-Koalition untersuchen soll.
Strache streitet ein Fehlverhalten ab. «Mit Sicherheit war ich zu unvorsichtig. Und ich ärgere mich masslos über mich selbst, damals in diese Falle gegangen zu sein. Aber ich habe ein reines Gewissen», sagte er dem Sender OE24. Sein Auftreten auf Ibiza sei im Sinne einer Selbstreflexion teils sehr kritisch zu sehen, aber er habe nichts Rechtswidriges gemacht. Das Einzige, was er sich nach eigenen Worten als Fehler ankreidet, ist sein Rücktritt als FPÖ-Parteichef. «Er hatte nur sehr kurze, punktuelle Phasen der Reue», so Filzmaier.
SDA
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