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Bevorstehender Bergrutsch
Felssturz in Brienz: Brocken werden 20 Meter hoch springen

Gesperrte Strasse in der Gefahrenzone von Brienz GR: Der Berg ist schon lange in Bewegung. Seit Jahren rollen und springen grosse Felsblöcke zu Tal, die mit der Kamera erfasst werden.

Der Berg wird kommen ob Brienz, in drei Tagen, vielleicht erst in zehn. Das sagen die Geologen. Es wird wohl kein Bergsturz sein, der instabile Fels am «Igl Rutsch» wird wohl in mehreren Etappen abreissen. Die Experten rechnen mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent. 

Sicher ist: Wenn es dann so weit ist, wird das Getöse schrecklich sein, der herabstürzende Fels wird einen gigantischen weiss-grauen Staubvorhang verursachen, kleinere und grosse Gesteinsbrocken werden chaotisch den Hang hinunterrollen.

«Die Wirklichkeit zeigt, dass die Modelle recht haben.»

Andreas Huwiler, Geologe

Und was weniger bekannt ist: Manche Brocken werden springen, und zwar richtig hoch, bis zu 20 Meter. Das wissen die Geologen mit grosser Zuverlässigkeit jetzt schon. «Es gibt wohl keinen besseren Ort als Brienz, wo man das Verhalten herabstürzender Steine beobachten kann», sagt Andreas Huwiler, Leiter Projekte Naturgefahren beim Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden.

Der Hang ob Brienz ist schon lange in Bewegung. Die speziell errichteten Radaranlagen erkennen seit mehreren Jahren den kleinsten Rutsch und jeden Sturz einzelner noch so kleiner Steine, sobald sie sich lösen. Gleichzeitig wird jede Bewegung jeweils mit einer Kamera festgehalten. 

200 Tonnen schwere Brocken

«Der grösste Block wird etwa 60 Kubikmeter gross und 200 Tonnen schwer sein», sagt Huwiler. Die Brocken erreichen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 90 Kilometern pro Stunde. Ob Brienz wird das etwa in der Mitte des Abhangs sein.

Was die Geologen in der Natur beobachten, können sie auch mit dem Computer modellieren. «Wir haben in Brienz alle heute verfügbaren Steinschlagmodelle eingesetzt», sagt Huwiler. Blöcke, die bisher heruntergestürzt sind, konnten durchwegs gut simuliert werden. «Die Wirklichkeit zeigt, dass die Modelle recht haben», sagt der Geologe.

Experiment mit 80 genormten Betonblöcken

Dass die Steinschlagmodelle heute so gut sind, ist auch ein Verdienst von Forschenden der ETH Zürich und des WSL-Forschungsinstituts SLF. Sie führten vor wenigen Jahren auf dem Testfeld Chant Sura am Flüelapass ein aussergewöhnliches Steinschlagexperiment durch. Sie liessen über 80 genormte Steinblöcke aus Beton – zwischen 45 und 2670 Kilogramm schwer – einen 40 Grad steilen Hang hinunterrollen. In den verschiedenen geformten Betonwürfeln waren Sensoren unter anderem für die Messung von Beschleunigung und Rotation verpackt. Ein spezielles Barometer mass zudem die Sprunghöhe. 

Dank den Ergebnissen, die im Fachmagazin «Nature Communications» veröffentlicht wurden, konnten die Forschenden eine am SLF entwickelte Simulationssoftware für Murgänge, Lawinen und Steinschläge verbessern. Die Daten des Simulationsprogramms sind heute frei zugänglich und halfen den Geologen in Brienz, die Bedrohungslage für das Dorf abzuschätzen. 

Die Geologen reden von der Insel, die oben am Igl Rutsch bedrohlich hängt. Es ist ein etwa 1,9 Millionen Kubikmeter grosses Gesteinspaket, vorwiegend aus dem kalkähnlichen Mineral Dolomit. Das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von 126 Metern. Wenig wahrscheinlich ist, dass die gesamte Insel als Schuttstrom den Abhang hinunterrutscht. Vielmehr rechnen die Experten in den nächsten Tagen mit mehreren Felsstürzen, bei denen Material von 1000 bis mehreren 100’000 Kubikmetern zu Tal stürzen wird. 

Wenn alles so verläuft, wie es die Geologen erwarten, so werden die Gesteinsmassen kurz vor dem evakuierten Dorf Brienz haltmachen. «Es wäre absolutes Pech, wenn die vorderste Häuserfront trotzdem getroffen wird», sagt Andreas Huwiler. 

Und was ist mit den springenden Gesteinsbrocken? «Wie viele wirklich bis zu 20 Meter hoch springen, wissen wir nicht. Von tausend Blöcken werden es vielleicht 10 bis 20 sein», sagt der Geologe. Für die Häuser seien sie keine Gefahr.

Schäden an den Häuserfronten und Dächern könnten höchstens Splittersteine verursachen. Das sind liegende Gesteine, die an der Front der Felssturzablagerung liegen und von springenden Brocken getroffen werden. Dabei splittern Teile ab, die bis zu 200 Kilogramm schwer sind und mit 180 Kilometern pro Stunde zum Geschoss werden.