Sie nennen ihn «Hitman»Der unbekannte Superstar setzt sich für Nashörner ein und verzückt 900 Millionen
Der Inder Rohit Sharma setzt als Weltklasse-Schlagmann im Cricket Massstäbe. Sogar einen ziemlich schrägen Federer-Vergleich muss er aushalten.
Es sind Zahlen, die einen überfordern können. 1,4 Milliarden Einwohner zählt Indien, und für die Mehrheit davon ist Cricket der bevorzugte Sport. Etwa 900 Millionen Cricket-Fans gibt es auf dem Subkontinent, jedenfalls hat das der Weltverband einmal ausgerechnet. Es entspricht zweieinhalbmal der Bevölkerung der USA. Oder hundertmal jener der Schweiz.
Ähnlich schwierig vorstellbar aus der Ferne: Für welchen Hype die Cricket-WM sorgt, die in Indien derzeit gerade in ihre entscheidende Phase geht. Hinter der Fussball-WM und den Olympischen Sommerspielen gilt das sechswöchige Turnier als drittgrösster Sportanlass der Welt. Unter anderem, weil drei der acht bevölkerungsreichsten Staaten daran teilnehmen: Indien, Pakistan, Bangladesh. Geschätzte 2,6 Milliarden Menschen schauen zu.
Am Sonntag ging die WM-Vorrunde zu Ende mit einem unbedeutenden Spiel für den Gastgeber: Er ist schon lange vor dem Duell mit den Niederlanden für den Halbfinal qualifiziert. Das indische Team ist makellos durch die Vorrunde gekommen und seiner Vormachtstellung in diesem Sport bislang gerecht geworden. Indien ist die Weltnummer 1 in allen drei Cricket-Varianten (Test, One Day International, T20). Indien hat die wichtigste und lukrativste Liga der Welt, die jährlich 11 Milliarden US-Dollar umsetzt. Indien hat auch die grössten Stars dieses Sports – auch wenn die hierzulande kaum oder gar nicht bekannt sind.
Zum Beispiel Rohit Sharma. «Hitman» nennen sie den 36-jährigen Captain, weil nur wenige ihren Schläger so kraftvoll schwingen wie er. Sharma wird in der Regel als einer der beiden ersten Schlagmänner eingesetzt, von denen erwartet wird, dass sie für ihr Team früh möglichst viele Punkte erzielen und lange auf dem Feld bleiben. Und darin ist Sharma gut: Mit 264 Punkten in einem einzigen Spiel hält er den Weltrekord im WM-Format One Day International (ODI). Zudem hat er als weltweit einziger Spieler in drei ODI-Partien mehr als 200 Punkte erlaufen.
Im Gegensatz zum anderen Superstar des Teams, Virat Kohli, der aus vermögender Familie stammt, hat sich Sharma allein mit seinem Cricket-Talent aus schwierigen Verhältnissen emporgearbeitet. Was ihn umso mehr zum Vorbild in der (jüngeren) indischen Gesellschaft macht. Auf umgerechnet knapp 30 Millionen Franken wird sein Vermögen heute geschätzt. Er wird unter anderem von der Schweizer Uhrenmarke Hublot gesponsert.
Sharmas Vater war Hausmeister bei einem Transportunternehmen und verdiente zu wenig, um Rohit zu ernähren. So wuchs dieser zusammen mit seinem Bruder Vishal bei den Grosseltern und einem Onkel auf. Dieser Onkel war es, der dem damals 12-jährigen Rohit das Geld für ein Cricket-Lager lieh. Einer der Trainer erkannte dessen Gabe sofort und setzte sich persönlich dafür ein, dass er ein Stipendium an einer internationalen Schule erhielt, wo er im Sport besser gefördert werden konnte. Beim ersten Turnier schlug Rohit Sharma gleich mehr als 100 Punkte. «Century» wird dies im Cricket genannt.
Mit 20 bestritt er seine ersten Länderspiele, mit 21 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag in der Indian Professional League. Später wurde er für umgerechnet rund drei Millionen Franken zum Grossclub Mumbai Indians transferiert, dem er seit zwölf Jahren treu bleibt. Vor allem im ODI-Format, das auf 50 Overs und damit 300 Schläge pro Team limitiert ist, gilt Sharma als bester Spieler der Welt. Er ist aber auch im traditionellen Test-Cricket Sonderklasse. 2022 übernahm er von Virat Kohli die Captainehre.
Ein Fachblatt hat Sharmas Stil als Schlagmann einmal als «aggressiv und trotzdem stilvoll und elegant» beschrieben, sein Spiel gar als «Symphonie» gelobt. Es zog bei dieser Gelegenheit einen interessanten Vergleich: «Wenn ein Tennisspieler von Rafael Nadal geschlagen wird, sieht es so aus, als hätte er am Ende schwere Prellungen und Schnittwunden. Aber wenn Roger Federer einen Gegner schlägt, spürt dieser keine blauen Flecken, sondern bewundert nur die Kunstfertigkeit und Eleganz der ausgeführten Schläge.»
Rohit Sharma ist kein gewöhnlicher Sportler, so viel ist schon klar, wenn derart viel Pathos ausgepackt wird. Das gilt auch für sein Privatleben. Der 36-jährige Vater eines vierjährigen Mädchens, verheiratet mit seiner eigenen Beraterin, tritt als Philanthrop in Erscheinung und setzt sich vor allem für das Tierwohl ein. Er ist Vegetarier, und Einnahmen aus dem Verkauf von Merchandising-Artikeln kommen regelmässig Organisationen zugute, die sich für diese Anliegen einsetzen.
Besondere Sympathien hegt Sharma für den World Wildlife Fund (WWF) sowie die Organisation Peta, die unter anderem Pelztierhaltung und Tierversuche bekämpft. Für den WWF stellte er sich einmal als Rhinozeros-Botschafter zur Verfügung. Mit den Schauspielern Matt LeBlanc und Salma Hayek protestierte er 2015 in Kenia gegen Wilderei, vor allem am akut vom Aussterben bedrohten Breitmaulnashorn.
In einer weiteren Peta-Aktion setzte sich Sharma 2014 für ein Verbot von Zirkustieren ein. «Tiere verdienen Respekt und sollten nicht in kleinen Käfigen eingesperrt sein und gezwungen werden, herabwürdigende und unbedeutende Tricks zu zeigen. Wir Cricket-Spieler lieben unseren Sport und nehmen freiwillig daran teil. Tiere im Zirkus werden gezwungen, entgegen ihrem Willen aufzutreten.» In über 40 Ländern wurden Auftritte von Wildtieren in den letzten Jahren verboten. In Indien gilt das für Raubkatzen oder Bären. Elefanten dagegen dürfen weiterhin vorgeführt werden.
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Als Cricket-Ass ist Sharma schon dreimal Weltmeister geworden (zweimal im ODI, einmal im Kurzformat T20). Läuft weiter alles nach Plan, kommt in den nächsten Tagen der vierte Titel hinzu. Im Halbfinal vom Mittwoch ist erst einmal Neuseeland der Gegner. Grob geschätzte 900 Millionen Inderinnen und Inder werden auf das Spiel brennen.
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