«Ripley» auf NetflixEiner der unheimlichsten Mörder ist zurück
Der meisterliche Psychothriller interpretiert Patricia Highsmiths Romanklassiker neu. In der Hauptrolle der Miniserie: «Hot Priest» Andrew Scott.
«Glück», befand die begnadete Schriftstellerin Patricia Highsmith, «ist eine Frage der Vorstellungskraft». Das wichtigste Produkt dieser Philosophie war 1955 «Der talentierte Mr. Ripley», ihr bekanntester Roman. Sie erzählt darin die Geschichte des jungen, mittellosen Amerikaners Tom Ripley, der die Chance bekommt, nach Italien zu reisen, dort zum Mörder und Identitätsdieb wird – und mit all seinen Verbrechen davonkommt.
Der Roman ist stilistisch bestimmt nicht ihr bester. Davor und vor allem danach hat sie als Autorin raffinierter, doppelbödiger geschrieben. Das hat sie auch selbst so eingeschätzt. Aber die Erfindung dieses komplett amoralischen Helden, der entgegen allen damaligen Konventionen der Populärkultur einfach nicht bestraft wird für seine Taten, legte den Grundstein ihres Ruhms als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.
Ihr Ripley ist von einer darwinistischen Grausamkeit beseelt, mit der er sich einfach alles nimmt, was er haben will, ohne dass Autoritäten ihn davon abhalten können. Das machte ihn zur Personifizierung der grössten Macht der jüngeren Menschheitsgeschichte: des amerikanischen Wirtschaftssystems.
«Kein Buch ging mir je leichter von der Hand»
Dieser Held war seiner Erfinderin fast schon unheimlich nah. Highsmith kannte alle Tücken des Autorinnendaseins, über die Qualen des Schreibens hat sie ein ganzes Buch verfasst. Allein beim «Mr. Ripley» soll es anders gewesen sein: «Kein Buch ging mir je leichter von der Hand, und oft kam es mir vor, als hätte Ripley es selbst geschrieben und ich nur die Schreibmaschine betätigt», notierte sie später. Ihr französischer Lektor Alain Oulman erzählte, dass es ihn stets etwas nervös gemacht habe, wie Highsmith von ihrem Ripley sprach, als gäbe es diesen zwanghaften Serienmörder wirklich. Wie prägend diese Figur für sie wurde, zeigt sich allein daran, dass sie noch vier Fortsetzungen schrieb.
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Weil Highsmiths teils karger, fast schon drehbuchhafter Schreibstil einige der berühmtesten Filmschaffenden in ihren Bann zog, bekam sie zahlreiche Anfragen für Verfilmungsrechte, auch über die Ripley-Bücher hinaus. Die meisten Adaptionen fand sie hinterher allerdings furchtbar. Alfred Hitchcock, Claude Chabrol, Wim Wenders: An den grössten Namen liess sie kein gutes Haar, wenn diese ihre Werke umsetzten.
Auch mit der ersten Verfilmung des «Talentierten Mr. Ripley» war sie unzufrieden. Der französische Film «Nur die Sonne war Zeuge» machte 1960 Alain Delon zum Star, wich aber in einem entscheidenden Punkt vom Roman ab. Er liess den Protagonisten nicht davonkommen mit seinen Morden – und das war für Highsmith ja der Witz an der Sache, und nicht nur für sie.
Lieber ein falscher Jemand als ein echter Niemand
Ein Mensch, der lieber ein falscher Jemand als ein echter Niemand sein will: Der Roman vermittle dem Leser «das beklemmende Gefühl, seine Geschichte zu kennen, und sei es auch nur aus einem Albtraum». Das schrieb 1999 der britische Regisseur und Oscarpreisträger Anthony Minghella, und der wusste, wovon er sprach. Er hat das Buch auch verfilmt, mit Matt Damon, Jude Law und Gwyneth Paltrow in den Hauptrollen. Seine Adaption wich ebenfalls an entscheidenden Stellen von Highsmith ab, zählt aber bis heute und vollkommen zu Recht zu den grossen Hollywoodfilmen der Neunzigerjahre. Diese Fassung allerdings hat Highsmith nicht mehr erlebt, sie starb 1995.
In dieser Woche startet nun eine dritte Verfilmung ihres ersten Ripley-Romans auf Netflix, diesmal als achtteilige Serie. Allein durch die Wahl der längeren Form ist Ripley die bislang treueste Adaption der Vorlage, mit vielen Details und Handlungssträngen, die in den vorangegangenen Kinofilmen keinen Eingang fanden. Ob Highsmith diese Serie gefallen hätte? Wahrscheinlich allein aus dem ihr eigenen Trotz nicht. Was aber nichts daran ändert, dass die Serie ganz hervorragend geworden ist, und wäre sie keine Serie, müsste man eigentlich sagen: grosses Kino.
Schwarz-Weiss für Highsmiths unterkühlten Erzählstil
Gemacht hat sie auch einer von Hollywoods versiertesten Kinoveteranen: Steven Zaillian hat «Schindlers Liste» geschrieben, «Mission: Impossible», «Gangs of New York» und «The Irishman». Ripley war ein Herzensprojekt des 71-Jährigen, weshalb er nicht nur alle Folgen geschrieben, sondern auch selbst Regie geführt hat. Weil Zaillians alte, zerlesene Taschenbuchausgabe von «Der talentierte Mr. Ripley» ein Schwarz-Weiss-Bild auf dem Cover hatte, habe er sich diese Geschichte immer in einem brillanten, kalten Schwarz-Weiss vorgestellt. Und so hat er sie auch verfilmt. Das treibt der Story gehörig die farbenfrohe Dolce-Vita-Seligkeit der vorhergehenden Verfilmungen aus. Selbst die heissesten italienischen Strandtage wirken merkwürdig eisig, die Espressi in den kleinen Strassencafés kurz vor dem Gefrierpunkt, und das entspricht Highsmiths unterkühltem Erzählstil ausserordentlich gut.
Für die Hauptrolle des legendären Tom Ripley hat Zaillian einen Star der Stunde bekommen: Andrew Scott wurde als «Hot Priest» in der Serie «Fleabag» berühmt, war zuletzt im gefeierten Kinodrama «All of Us Strangers» zu sehen. Eigentlich ist er mit 47 zu alt für den Ripley, der im Roman gut 20 Jahre jünger beschrieben wird. Aber erstens hat Scott etwas Altersloses an sich; und zweitens macht er sich diese Figur mit einer solch diabolischen Freude am pathologischen Psychopathentum zu eigen, dass man sie sich hinterher kaum mehr anders als mit seinem Gesicht vorstellen kann.
Ripley bewohnt im New York der frühen Sechziger (die Serie setzt ein paar Jahre später ein als der Roman) ein schäbiges Apartment und hält sich mit kleinen Betrügereien über Wasser. Bis er eines Tages einen einmaligen Auftrag bekommt: Der reiche Vater eines flüchtigen Studienfreundes bittet ihn, gegen Bezahlung nach Italien zu reisen, wo sein Sohn in einem kleinen, malerischen Küstenstädtchen das Leben geniesst, anstatt die väterliche Werft zu übernehmen. Ripley nimmt sofort an. In Italien verliebt er sich nicht nur in das Leben des verwöhnten Sohnes Dickie Greenleaf (Johnny Flynn), sondern auch in den Sohn selbst. Aber als dieser ihm eine Abfuhr verpasst, erschlägt Ripley ihn bei einer Bootsfahrt mit dem Ruder, versenkt das Boot – und lebt künftig unter Dickies Identität.
Etwas Morbides unter dem Postkartenidyll
Im Buch wohnt Dickie im fiktiven süditalienischen Dorf Mongibello, was von Highsmith als cleveres Aptronym erdacht war: Mongibello ist der Spitzname der Italiener für den Ätna – und die Protagonisten bewegen sich in der Tat auf einem Vulkan. Für die Serie hat Zaillian die Geschichte in die echte italienische Gemeinde Atrani an der Amalfiküste verlegt, die für eine Verfilmung aber in der Tat die perfekte Kulisse bildet. Wie so oft in Italien lauert auch hier hinter den alten Gemäuern an der Steilküste mit ihren vielen, vielen Treppen und verwinkelten Gassen etwas Morbides unter dem Postkartenidyll. Die Einzige, die durchschaut, dass sich eine Katastrophe anbahnt, ist Dickies Freundin Marge (Dakota Fanning) – aber verhindern kann auch sie die Ereignisse nicht.
Der erste Mord bleibt nicht der letzte. Und Ripleys Flucht in ein neues Leben, die ihn nach Rom, Palermo und Venedig führt, wird durch die misstrauische Marge und einen cleveren italienischen Kriminalpolizisten, der eine filterlose Zigarette nach der anderen raucht, mehr als erschwert. In der Moral von der Geschicht’ erlauben sich die Macher auch diesmal einen etwas anderen Ausgang als bei Patricia Highsmith. Aber eine gar nicht mal so kleine Hintertür, um die Folgeromane auch noch zur Serie zu machen, bleibt durchaus offen.
«Ripley» (2024), acht Folgen, jetzt auf Netflix.
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