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Treffen mit Regisseur Radu Jude
«Manche Leute in Mitteleuropa sind intellektuell faul geworden»

Die frauenfeindliche Kunstfigur Bobiță auf Tiktok ist Teil des Spielfilms «Don’t Expect Too Much from the End of the World» aus Rumänien.
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Bobiță spuckt auf Frauen und redet nur von «Mösen». Sie verbreitet auf Tiktok so vulgäre Ansichten, als wolle sie sogar einen Typen wie Andrew Tate übertreffen. Aber im Gegensatz zu Tate gibt es Bobiță nicht wirklich.

Der Tiktok-Avatar ist die Erfindung der rumänischen Theaterschauspielerin Ilinca Manolache. Mit der bösen Bobiță vertrieb sie sich in der Pandemie die Zeit. Der Regisseur Radu Jude fand diese feministische Macho-Karikatur sehr komisch und lud Manolache und ihre Schöpfung darum in seinen Film «Don’t Expect Too Much from the End of the World» ein.

Romanian film director and jury member Radu Jude attends the Opening Gala of the Berlinale, Europe's first major film festival of the year, in Berlin on February 16, 2023. (Photo by Ronny Hartmann / AFP)

Der Film ist eine wilde Fahrt durch das heutige Rumänien. Ilinca Manolache spielt eine Produktionsassistentin, die ihren Wagen übermüdet durch Bukarest lenkt. Eine österreichische Firma lässt ein Video drehen, das für Sicherheit am Arbeitsplatz wirbt. Doch wenn die Angestellten interviewt werden, wird klar, dass sie selber für die Unfälle aufkommen müssen. Zwischendurch nimmt die Assistentin ihr Handy hervor, schaltet den Bobiță-Tiktok-Filter ein und beleidigt ein paar «Schlampen».

Bobiță hat auch schon reale Probleme verursacht: Eine deutsche Förderanstalt wollte den Film wegen der unflätigen Aussagen nicht unterstützen. Die Förderer hielten Bobiță für gefährlich: Was, wenn die Leute denken, in den Beschimpfungen stecke die Botschaft des Films? Sie forderten das Unmögliche: dass die Übertreibung abgeschwächt wird.

«Rumänien gilt noch immer als unsexy»

Beim Gespräch in Zürich wundert sich Radu Jude über die Kritik: Gerade eine mildere Form wäre das höchste Risiko – weil man sie dann tatsächlich ernst nimmt.

Rumänien mit seiner «kleinen Kultur und kleinen Sprache» gelte noch immer als unsexy, sagt der 46-jährige Regisseur und Drehbuchautor. Die grösste Gefahr sei der erstarkte Rechtsextremismus und seine EU-Feindlichkeit. Noch mehr Sorgen macht er sich nur, wenn seine Kinder einen Schulausflug mit dem Bus machen – wegen der vielen Verkehrstoten.

Radu Jude setzt sich in seinen Filmen mit den blinden Flecken der Geschichte Rumäniens auseinander. Mit dem Antisemitismus zum Beispiel oder der Beteiligung am Holocaust. «Bad Luck Banging or Loony Porn» trug ihm den Goldenen Bären der Berlinale ein. Eine Lehrerin versucht im Film, die Macht über viral gegangene Bilder zu gewinnen, die sie beim Sex zeigen.

Die Peripherie als Vorteil

Eine Story über eine Frau und ihr Recht am eigenen Körper – in Rumänien gelte er wegen solcher Themen als «woker» Filmemacher, sagt Jude. Nicht nur politische Feinde würden das behaupten, sondern eine Mehrzahl von Kritikern, Journalistinnen und Akademikern im Land.

Jude kennt auch die europäischen Filmfestivals und lebte eine Zeit lang in Berlin. Wer von der Peripherie komme, müsse sich stärker anstrengen, um nicht unterzugehen. «Im Gegenzug sind manche Leute, die sich zum europäischen Zentrum zählen, intellektuell faul geworden.» Die Rumänen müssten erst mal zwei Fremdsprachen lernen, wenn sie sich im Ausland behaupten wollten. Aus künstlerischer Sicht sei die rumänische Position ein Vorteil.

Der Tiktok-Avatar Bobiță ist die Erfindung der rumänischen Theaterschauspielerin Ilinca Manolache.

Und es gab ja auch die rumänische neue Welle im Kino, diese gnadenlosen Diagnosen der Ceaușescu-Zeit wie «4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage». Aber das ist nun fast zwanzig Jahre her. Radu Jude kam etwas später zu dieser Aufbruchsbewegung hinzu und entwickelte einen ungestümen Stil, etwas viel weniger Strenges. Sicher fünf Bildebenen gibt es in «Don’t Expect Too Much from the End of the World». Oder mehr?

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Wieso aber zieht Rumänien heute einen Frauenhasser wie Andrew Tate an? Weil er hier habe machen können, was er gewollt habe, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, sagt Jude. Das pornografische Webcam-Geschäft, das Tate betrieben habe, sei heute ein riesiges Business in Rumänien.

Trotz verordneter kommunistischer Modernisierung habe in Rumänien eine konservative ländliche Mentalität überlebt. Und damit verbunden eine Ablehnung von vielem, was mit Frauenrechten zu tun hat. «Heute wohnen die Bauern einfach in Hochhäusern», sagt Jude.

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Auf Tiktok ist Jude zwar nicht, dafür postet er auf Instagram gern unglamouröse Bilder von Bukarest. Zu einer Aufnahme einer Baustelle im Sonnenuntergang schreibt er: «Landschaft».

«Don’t Expect Too Much from the End of the World» und weitere Filme von Radu Jude sind derzeit im Filmpodium in Zürich und in Kinos in Bern und Basel zu sehen.