Interview zum Ramadan«Wenn ich um 5 Uhr morgens aufstehe, denke ich an all die anderen Gläubigen auf der Welt, die das Gleiche tun»
Der Fastenmonat Ramadan hat begonnen. Wir haben bei einem jungen Muslim nachgefragt, wie er diese Zeit erlebt.

- Sercan Emek will durch den Ramadan seine Beziehung zum Islam stärken.
- Er wird einen Monat lang fasten und auf Gewohnheiten wie das Rauchen verzichten.
- Emek hofft auf mehr Offenheit für religiöse Bedürfnisse am Arbeitsplatz.
Am Abend des 28. Februar hat für Musliminnen und Muslime die Fastenzeit, der Ramadan, begonnen. Einer von ihnen ist Sercan Emek. Er ist 29 Jahre alt, arbeitet im Verkaufsaussendienst und lebt gemeinsam mit seiner Freundin im Kanton Aargau.
Wir haben mit ihm darüber gesprochen, worauf er die nächsten vier Wochen verzichten wird, worauf er sich besonders freut und wie sich der Ramadan in der Schweiz mit dem Arbeitsleben vereinbaren lässt.
Worauf werden Sie in den nächsten vier Wochen verzichten, Herr Emek?
Solange es hell ist, esse und trinke ich nichts. Ich verzichte tagsüber auch darauf, die Zähne zu putzen – denn da nimmt man Flüssigkeit zu sich. Ich werde ausserdem nicht rauchen und versuchen, die Chance zu nutzen, um gleich ganz damit aufzuhören.
Früher haben Sie den Ramadan nicht gefeiert. Was ist dieses Jahr anders?
Ich möchte meine Beziehung zum Islam und zu Allah stärken und mehr über die Religion und meine Kultur lernen. Ich habe die Religion in meinem Leben lange Zeit vernachlässigt und möchte das ändern.
Gab es einen bestimmten Auslöser für diesen Wandel?
Ich bin schon mein ganzes Leben lang Muslim, aber nicht streng gläubig. Ich litt vor einigen Jahren unter Panikattacken – da habe ich begonnen, mein Leben zu hinterfragen. Dabei kam immer wieder das Thema Religion auf.
Inwiefern hilft Ihnen die Religion?
Seit ich mich mehr mit meinem Glauben auseinandersetze, verspüre ich eine gewisse innere Ruhe, die ich vorher nicht kannte. Das führt dazu, dass ich viel seltener Panikattacken erleide.
Welche persönlichen Ziele haben Sie sich für dieses Jahr gesetzt?
Ich möchte die vollen vier Wochen durchziehen. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal Ramadan gemacht und gefastet – und nach zwei Wochen leider aufgegeben, weil ich nicht mehr konnte.
Was ist passiert?
Ein guter Freund, mit dem ich gemeinsam Ramadan machte, hat frühzeitig abgebrochen, und dann fiel es mir schwer, allein motiviert zu bleiben.
Wie wollen Sie das dieses Jahr verhindern?
Ich will dieses Jahr disziplinierter sein und nicht so darauf achten, was die Menschen um mich herum machen. Und ich habe dieses Mal Arbeitszeiten, die es mir angenehmer machen, den ganzen Tag zu fasten. Weil mein Arbeitstag jetzt erst um acht Uhr beginnt, kann ich mich am Morgen nach dem Essen nochmals hinlegen. Hinzu kommt, dass ich mich gut vorbereitet habe.
Was meinen Sie mit gut vorbereitet?
Ich esse bereits in den Tagen vor Beginn des Ramadans weniger und faste beispielsweise einen Halbtag, um meinen Körper auf den kommenden Monat vorzubereiten.
Machen auch andere in Ihrem Umfeld Ramadan?
Ich habe ein paar wenige Freunde, die auch Ramadan feiern. Und ich möchte am Freitagabend jeweils zum gemeinschaftlichen Fastenbrechen mit anderen Muslimen aus der Umgebung in die Moschee gehen.
Inwiefern macht das einen Unterschied?
Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass man nicht allein ist. Wenn ich um 5 Uhr morgens aufstehe, denke ich an all die anderen Gläubigen auf der ganzen Welt, die das Gleiche tun. Das macht es einfacher, motiviert zu bleiben.
Ist Sexualität auch ein Thema?
Um einen klaren Kopf zu bekommen, verzichtet man während des Ramadans auch auf Sex. Ich lebe mit meiner Freundin zusammen, und wir küssen uns dann beispielsweise tagsüber auch nicht.
Macht das Sinn für Sie?
Beim Ramadan geht es auch darum, seinen Geist zu reinigen. Das bedeutet, dass man niemandem etwas Böses wünscht, nicht lügt und versucht, möglichst positiv zu denken und ein guter Mitmensch zu sein. Dazu gehört auch, dass man versucht, sexuelle Gedanken zu vermeiden.
Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn Sie abends wieder essen dürfen?
Ich möchte dieses Jahr verstärkt auch darauf achten, was ich beim Fastenbrechen esse. Ich werde mich gesund und ausgewogen ernähren und mich nicht überessen, sondern nur so viel zu mir nehmen, wie mein Körper braucht.
Haben Sie sich sonst noch etwas vorgenommen?
Ich will mehr im Koran lesen. Beziehungsweise hören, denn ich höre ihn als Hörbuch auf Deutsch, weil ich kein Arabisch spreche. Und ich werde versuchen, fünfmal am Tag zu beten. Dafür habe ich eine App, die mir zeigt, wie ich mich ausrichten muss, um in Richtung der Kaaba in Mekka – dem grössten Heiligtum des Islam – zu beten. Und ich werde vermehrt spenden, denn auch das gehört zum Ramadan.
«Ich freue mich darauf, mir mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen.»
Wie spenden Sie?
Es muss nicht immer Geld sein. Es geht einfach darum, der Gemeinschaft einen Dienst zu erweisen. Ich koche beispielsweise Abendessen und lade meine Freunde zu mir nach Hause ein. Und ich sende meiner Mutter, die im türkischen Bodrum wohnt, Geld, damit sie Tierfutter für die Strassenhunde kaufen kann.
Weiss Ihr Arbeitgeber, dass Sie Ramadan machen?
Ja, er hat verständnisvoll reagiert. Ich kann mir meine Arbeitszeit im Verkaufsaussendienst relativ frei einteilen und bin deshalb nicht eingeschränkt, wenn ich zweimal am Tag eine Viertelstunde beten will.
Ist das überall so unkompliziert?
Ich glaube, es geht sogar noch besser. Ich habe Freunde in Deutschland, deren Arbeitgeber einen Gebetsraum eigens für ihre Mitarbeiter anbieten. Wenn ich das höre, wünschte ich mir, dass man in der Schweiz auch etwas offener mit den verschiedenen Religionen seiner Angestellten umgehen würde. Es gibt Menschen, die jeden Tag siebenmal Pause machen, um eine Zigarette zu rauchen – und da sagt auch niemand etwas.
Wie könnte man es noch besser machen?
Der Vorgesetzte könnte beispielsweise kurz vor der Fastenzeit abklären, wer Ramadan macht.
In vielen arabischen Ländern sind die Arbeitstage während Ramadan kürzer …
So etwas erwarte ich in der Schweiz nicht, denn es funktioniert auch ohne kürzere Arbeitszeiten, wenn man die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Davon kann auch das Unternehmen profitieren, weil sich die Mitarbeiter wertgeschätzt und unterstützt fühlen und sich dementsprechend umso mehr anstrengen, wenn sie wieder 100 Prozent geben können.
Was wünschen Sie sich von Ihren nicht muslimischen Mitmenschen während dieser Zeit?
Wer kann und will, soll selbst mal ausprobieren zu fasten. Und ich weiss es zu schätzen, wenn jemand interessiert ist und Fragen stellt.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf das Gefühl von Stolz, wenn ich am Zuckerfest Ende März den Ramadan erfolgreich abschliesse. Ich habe Mitte März Geburtstag und mein Fest nun auf den letzten Tag des Ramadan verlegt, damit ich gemeinsam mit meinen Freunden feiern kann. Und ich freue mich darauf, mir mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen.
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