Kimi Räikkönen und der Versuch eines Gesprächs
Der Finne ist im Oktober 40 geworden – und hat noch nicht genug vom Rennfahren. Er ist meist kurz angebunden und doch der beliebteste Pilot überhaupt. Ein Treffen mit dem Iceman.
Lewis Hamilton stand hin. Und polterte. «Schockiert» war der Weltmeister, dass der Formel-1-Tross nach Australien gereist war, wo der erste Grand Prix hätte stattfinden sollen.
An einem anderen Tisch redete Kimi Räikkönen, Weltmeister von 2007, Pilot des Schweizer Alfa-Romeo-Teams. Er sagte: «Ich weiss nicht, ob es das Richtige ist, hier zu sein – wohl nicht. Aber die Entscheidung liegt nicht bei uns. Könnten die Teams entscheiden, wären wir vermutlich alle nicht in Australien.» Es klang nüchtern. Es klang nach Kimi Räikkönen.
Zwei Wochen vor der Absage und der Verschiebung der ersten vier Rennen und jüngst auch der ersten Europarennen wegen des Coronavirus lief noch alles in gewohnten Bahnen. Es waren die Testtage in Montmeló.
Dort fährt die Formel 1 ihren Betrieb hoch, sitzen die Fahrer in ihren Cockpits und haben auch allerlei anderes zu erledigen. Fragen zu beantworten etwa. Eine knappe Viertelstunde hat Räikkönen im Sessel vis-à-vis verbracht. Dann stösst er sich heraus. Daumen hoch, alles gut? Alles gut. Für ihn. Er schlendert zu einer Kamera, die ein paar Schritte weiter aufgestellt ist, murmelt in das Mikrofon, das eine junge Frau vor sein Gesicht streckt. Er hat die Sätze wohl schon tausendmal gesagt.
Räikkönen mag das noch immer nicht, diese Fragen, diese Antworten. Er redet aber ausführlicher als auch schon. Was bei ihm heisst: in ganzen Sätzen. Viel mehr als der Versuch eines Gesprächs ist es dennoch selten.
Sie sind 40, starten in Ihre 18. Saison. Woher nehmen Sie noch die Motivation?
Es ist nicht anders als in anderen Jahren. Es ist so, wie es immer läuft. Es wird ein langes Jahr, aber so ist das nun einmal.
Sie haben viel Geld verdient, eine Familie, könnten ein ruhiges Leben führen. Weshalb tun Sie sich das noch an?
Weil ich das Rennfahren mag.
Ist das Cockpit der Ort, an dem Sie sich am wohlsten fühlen: Nur Sie und Ihr Auto?
Zu Hause ist es noch besser. Aber ich bin hier, weil ich es geniesse, Rennen zu fahren. Rund um die Formel 1 gibt es auch verschiedene andere Interessen, das geniesse ich weniger. Aber es war schon immer Teil der Formel 1 und wird es auch immer sein.
«Rund um die Formel 1 gibt es auch verschiedene andere Interessen, das geniesse ich weniger»
Können Sie mittlerweile einfacher damit umgehen?
Das macht keinen Unterschied.
Können Sie den Rummel besser ausblenden?
Ich bin nicht wegen des Zirkus hier. Ich bin hier, weil ich Rennen fahren will, das ist der Grund.
Manchem würden derlei Antworten vielleicht als Arroganz ausgelegt werden. Beim Mann, der als Fünfjähriger von den Pedalen seines Velos rutschte und mit dem Hals derart hart auf die Gabel prallte, dass sich die Stimmbänder bis heute nicht erholt haben, ist es Markenzeichen, ist es Kult.
«Iceman» hat er sich auf den linken Unterarm tätowieren lassen, den Übernamen, den ihm einst McLaren-Teamchef Ron Dennis verpasste. Als solcher wandelt er durch die Formel 1: Die Baseballmütze tief ins Gesicht gezogen, sprintet er zwischen Garage und Motorhome hin und her. In der Hoffnung, es spreche ihn keiner an – und doch ist er bei Fan-Umfragen oft der beliebteste Pilot.
Sind Sie zu Hause ganz anders?
Jeder ist anders im Privatleben als bei der Arbeit.
Sie haben einen fünfjährigen Sohn und eine zweijährige Tochter. Wie sehr sind Sie noch Festbruder?
Das war ich nie.
Sie feierten stets ausgelassen.
Wenn ich ausgehen will, gehe ich aus, da muss ich nicht fragen. Ich vermisse gar nichts.
Wie wichtig ist Ihnen die Zeit mit Ihrer Familie?
Das ist die normale Zeit in meinem Leben. Kann ich bei ihr sein, geniesse ich das. Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen. Bin ich nicht bei ihr, reise ich von Rennen zu Rennen.
«Ich vermisse gar nichts»
Ist dieses Leben schwieriger geworden als Vater?
Sie vermissen mich, ich vermisse sie. Aber so ist das halt. Es wäre auch nicht viel anders, hätte ich eine normale Arbeit. Dann wäre ich zwar am Abend zu Hause, aber am Morgen auch wieder weg. Ich bin eine Woche fort, dann wieder eine zu Hause – so gross ist der Unterschied nicht.
Wie sind Sie als Vater? Geduldig? Spielen Sie gerne Spiele?
Jeder macht es so, wie er es für richtig hält. Das Wichtigste ist, dass ich bei allem, was die Familie betrifft, involviert bin.
Welche Wünsche und Ziele haben Sie privat und im Sport?
Hoffentlich bleiben wir gesund und können unser Leben geniessen. Und im Sport versuche ich immer, das Beste zu geben und hoffe, dass wir im Vergleich zum Vorjahr Fortschritte machen.
2019 startete Räikkönen stark in sein Premierenjahr bei Alfa Romeo: In den ersten vier Rennen holte er immer Punkte, bis zur Sommerpause lag er auf Rang 8. Dann geriet die Maschinerie ins Stocken, die neuen aerodynamischen Teile funktionierten nicht wie erhofft. Trotzdem kam der Höhepunkte kurz vor Schluss, beim Chaos-Rennen von Brasilien: Räikkönen Vierter, Teamkollege Antonio Giovinazzi Fünfter.
Wie war es für Sie, nach Jahren bei Ferrari in ein Auto zu steigen, das keine Siegchancen hat?
Das kümmert mich nicht. Es gibt ein Team, das fast das ganze Jahr über dominiert, da ist es egal, wo du sonst fährst: Die Chancen, zu gewinnen, sind klein. Als Fahrer macht das für mich keinen Unterschied, ich spüre nicht, dass sich irgendetwas ändert.
Trafen Sie bei Alfa Romeo an, was Sie erwartet hatten?
Ich hatte nicht wirklich Erwartungen. Wir können nur das Beste geben – und hoffentlich bekommen wir die Resultate, mit denen wir glücklich sind. Aber wir haben gewisse Limitierungen im Vergleich zu den ganz grossen Teams.
«Die Chancen, zu gewinnen, sind klein»
Sie werden Ihre Karriere wohl mit einem WM-Titel als Ausbeute beenden. Ist das genug für einen Rennfahrer wie Sie?
Ich hab es immerhin geschafft. Das ist besser als nichts.
Kimi Räikkönen lacht. Auch das kann er. Er soll offener geworden sein, erzählen sie bei Alfa Romeo, in regem Austausch stehen mit allen. Einige Mitarbeiter kennt er noch von 2001, als er bei Sauber seine Karriere lancierte, das nun Alfa Romeo heisst. Es sei zwar grossartig, habe er damals eine Chance bekommen, «aber deshalb bin ich nicht hier». Es habe nach seinem Abgang bei Ferrari schlicht am meisten Sinn ergeben. Zumal er in Baar lebt, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt vom Werk in Hinwil.
Weshalb entschieden Sie sich für die Schweiz als Wohnort?
Ich lernte die Schweiz kennen, als ich hier meine Formel-1-Karriere startete. Es ist ein guter Ort, zentral in Europa für all die Reisen, es ist ruhig, ich geniesse das.
Ebenso wie die tiefen Steuern.
Das ist Teil des Spiels, da braucht sich niemand zu beschweren. Monaco hat auch tiefe Steuern, nur würde ich dort nicht leben wollen. Es ist wichtig, einen Ort zu haben, an dem ich mich zuhause fühle und gerne Zeit verbringe.
Wie sehr sind Sie in die Gemeinde integriert?
Ich lebe dort schon seit vielen Jahren, aber ich bin nicht involviert in die Geschäfte anderer, ich mache mein Ding. Für uns ist es das Zuhause, und dieses Gefühl ist das Entscheidende.
«Nein»
Sind Sie noch Fan des EV Zug?
Ja, und das seit vielen Jahren.
Ihnen wurden die reservierten Sitzplätze weggenommen. Besuchen Sie wieder Spiele?
Gerade im Februar war ich an einer Partie.
Bei aller Knappheit der Antworten, bei all dem Stakkato: Räikkönen ist zufrieden mit seinem Leben, mit seiner Situation als Rennfahrer. Warum sollte es auch anders sein? Er ist in einem Team, in dem er nicht mehr dem ständigen Hochdruck ausgesetzt ist wie bei Ferrari, er muss nicht mehr fliegen ins Werk. Es scheint, als habe Räikkönen auch mit 40 noch Lust auf mehr. Daher:
Haben Sie Angst vor der Zeit nach Ihrer Karriere?
Warum sollte ich Angst haben?
Weil es für Sportler ein grosser Schritt ist in ein neues Leben.
Nicht für mich.
Haben Sie Zukunftspläne?
Nein.
Daumen hoch. Und auf zum nächsten Pflichttermin.
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