Rückkehrberatung nach LandesverweisungIm August sass Herr R. noch im Gefängnis, jetzt züchtet er Schafe in Bosnien
Seit zwei Jahren unterstützt der Kanton Zürich Straftäter, die die Schweiz verlassen müssen, bei der Rückkehr. Die erste Bilanz des Pilotprojekts ist positiv.

- Im Kanton Zürich erhalten jährlich rund 300 Personen nach einer Straftat eine Landesverweisung.
- Die neue Rückkehrberatung unterstützt Betroffene bei der Wiedereingliederung im Heimatland.
- Bisher haben über dreihundert Personen das Angebot in Anspruch genommen. Die Bereitschaft zur Rückkehr stieg markant.
- Das Projekt kostet 240’000 Franken jährlich, spart aber unter dem Strich sehr viel mehr Geld.
Das Urteil dürfte für Herrn R. ein Schock gewesen sein. Der Bosnier, in der Schweiz aufgewachsen, erhielt nach einer Straftat eine Landesverweisung. Das heisst: Er sollte in eine Heimat zurückkehren, deren Pass er zwar besass, deren Sprache er aber nicht sprach und mit der ihn kaum etwas verband.
Herr R. ist kein Einzelfall. Pro Jahr erhalten im Kanton Zürich zwischen 250 und 300 Personen eine Landesverweisung. Viele müssen wie Herr R. in ein Herkunftsland ausreisen, das ihnen fremd geworden ist und in dem sie zunächst keine Perspektive sehen. Die Folgen: Die Betroffenen wehren sich oft mit allen Mitteln gegen die Ausreise.
Das soll die Rückkehrberatung ändern, die der Kanton Zürich Anfang 2023 gestartet hat. Die erste Bilanz ist positiv, wie Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) und Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) an einer Medienkonferenz sagten.
Schon Hunderte Rückkehrberatungen
Die beiden Direktionen arbeiten für das wissenschaftlich begleitete, dreijährige Pilotprojekt eng zusammen: Die Justizdirektion ist für die Gefängnisse zuständig. Die Sicherheitsdirektion betreibt seit Jahren eine erfolgreiche Rückkehrberatung für «normale» Migrantinnen und Migranten.
Seit auch Häftlinge eine Rückkehrberatung in Anspruch nehmen dürfen, haben sich mehr als dreihundert Straftäter und Straftäterinnen für eine Beratung gemeldet. «Bei einem bedeutenden Teil konnte die Bereitschaft, ins Herkunftsland zurückzukehren, erhöht werden», sagt Jacqueline Fehr.
Das senke nicht nur die Gefahr von Rückfällen: «Muss jemand nicht bei null anfangen, ist das Risiko für erneute Straftaten oder eine illegale Wiedereinreise in die Schweiz viel kleiner.» Das Projekt wirke sich auch positiv auf den Gefängnisalltag aus, so die Justizdirektorin: «Menschen, die eine Perspektive sehen, verändern ihr Verhalten im Vollzug, weil es für sie plötzlich Sinn ergibt, in den Werkstätten gut zu arbeiten oder eine Therapie zu absolvieren.»
Schafzucht-Kurse und Bosnisch-Lektionen
Was die Beratung konkret leistet, zeigte Pascal Muriset, Co-Projektleiter Rückkehrberatung im Justizvollzug, unter anderem an Herrn R. auf. Der Bosnier konnte sich vorstellen, in die Landwirtschaft einzusteigen. Er lernte mithilfe einer App Bosnisch und besuchte Kurse zur Schafzucht und zur Käseproduktion. Zurück im Heimatland, ging er zu einem älteren Bauern, der einen Nachfolger suchte, in ein Praktikum.
Oft geht es aber auch schlicht um Unterstützung beim Beschaffen von Papieren, bei der Organisation des Umzugs und einer ersten Wohnung oder um die Buchung der Reise. «Solche Dinge können sie im Strafvollzug nicht so einfach in die Wege leiten.»
Der Aufwand sei aber nicht immer so gross wie bei Herrn R., sagte Sicherheitsdirektor Mario Fehr. Die langjährige Erfahrung in der Rückkehrberatung zeige, dass mitunter schon Kleinigkeiten genügten, damit jemand ins Heimatland zurückreise: «Manchmal reicht ein anständiger Anzug, damit die Person daheim nicht als Loser ankommt.»
Nur schon bedingte Entlassungen sparen viel Geld
Das Projekt, das rund 240’000 Franken pro Jahr kostet, hat aber nicht nur mit Menschlichkeit und Rückfallprävention zu tun. Es bietet auch handfeste finanzielle Vorteile, wie Justizdirektorin Fehr betont: «Eine freiwillige Ausreise ist mit Abstand die kostengünstigste Variante. Wir ersparen uns damit Polizeieinsätze, Ausschaffungshaft, Sonderflüge, Kontakte zu Botschaften und und und.»
Hinzu kommt, dass vorzeitige, bedingte Entlassungen aus dem Strafvollzug möglich werden, wenn sich ein Gefangener glaubhaft bereit erklärt, freiwillig auszureisen. Allein dadurch sparte der Kanton in anderthalb Jahren rund 370’000 Franken.
Das Pilotprojekt läuft noch dieses Jahr, danach soll es auch finanziell ausgewertet werden. Fest steht jetzt schon, dass es als ordentliches Angebot weitergeführt wird. Auch andere Kantone investieren in die Rückkehrberatung von Straftätern. In Genf und Bern gibt es schon seit Jahren entsprechende Angebote, die Kantone Aargau und Waadt sind am Aufbau. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug hat kürzlich eine Tagung zum Thema durchgeführt und erarbeitet Best-Practice-Standards.
Herr R. hat sich in Bosnien in nur einem halben Jahr etabliert. Er hat nicht nur sein Praktikum abgeschlossen, sondern seinem Lehrmeister den Betrieb samt Tieren abgekauft. Im März schickte er der Rückkehrberatung ein Bild seines neuen Schafstalls.
Korrektur von 9:55 Uhr: In einer ersten Version des Textes stand, die jährlichen Kosten betrügen 360’000 Franken. Das sind aber die Ausgaben für die ersten 18 Monate.
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