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Neue Musik von Andreas Schaerer
«…dann kam David Bowie rein und wollte ein Album aufnehmen»

«Wir hatten gerade nicht so Bock auf vordergründige Komplexität»: Andreas Schaerer, der Sänger der Berner Band Hildegard Lernt Fliegen, hat ein erstaunliches neues Album eingespielt.
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Sind Sie ein mutiger Mensch?

Auch wenn die helvetische Bescheidenheit eine andere Antwort gebieten würde: Ja, ich würde mich in vielen Bereichen als mutig beschreiben.

Sie haben einmal in einem Radiointerview gesagt, dass es keines sonderlichen Mutes bedürfe, avantgardistische Experimentalmusik zu machen. Der wahre Mut liege darin, etwas ganz und gar Schönes zu bewerkstelligen.

Das würde ich auch heute noch unterschreiben. Es ist weit beängstigender, anstatt ständig musikalische Purzelbäume zu schlagen, reduziert zu Werke zu gehen.

«Die Welt ist lauter geworden, was bei mir nicht das Bedürfnis geweckt hat, in diese Lautheit einzustimmen.»

Nun haben Sie genau das getan: Sie haben ein Album voller balladesker Songs veröffentlicht. Was steckt dahinter?

Vermutlich hat mich ganz einfach das Leben dahin getrieben. Die Welt ist in letzter Zeit lauter geworden, was bei mir nicht das Bedürfnis geweckt hat, in diese Lautheit einzustimmen. Im Gegenteil. Ich war 20 Jahre lang ein Getriebener, streckenweise ein Workaholic. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass dieses Tempo nicht mehr zu einer künstlerischen Erweiterung führt, sondern eher die Reduktion und die Entschleunigung.

Und? Waren die Ängste vor dem Schlichten und Schönen berechtigt?

Es gab schon kurze Momente an unseren ersten Konzerten, in denen ich mich dabei ertappte, eine Art innere Entschuldigung bereitzuhalten, dass ich heute einfach Songs darbiete – ganz ohne stimmlichen Aktionismus, was gerade bei einem Jazz- oder Avantgarde-Publikum so gerne beklatscht wird. Diesen Raum und diese Nacktheit zuzulassen, hat etwas Überwindung gebraucht, aber auch zu den bisher magischsten Momenten geführt.

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Wie war es, sich auf die normale Singstimme zu beschränken?

Ich kenne mein Instrument natürlich schon länger und habe es auf Alben meiner Band Hildegard Lernt Fliegen auch schon relativ unforciert zum Einsatz gebracht. Die Versuchung ist als Sänger immer gross, der Stimme einen Thrill, einen Charakter beizumengen, einem klanglichen Ideal nachzueifern. In meiner aktuellen Arbeit interessiert mich aber eher der Ansatz, die Stimme so natürlich wie möglich klingen zu lassen. Die Überwindung bestand darin, das Organ eben nicht zu forcieren.

Sie haben bei anderer Gelegenheit gesagt, «wahre Schönheit ist nicht poliert, die hat auch ein paar Bibeli». Ist es also eine Nacktheit mit Bibeli, die Sie mit Ihrem neuen Album erschaffen?

Es ist wohl schon so, dass mich eine ebenmässige, grell ausgeleuchtete Schönheit nur bedingt berührt. Vielmehr interessiert mich das Brüchige. Ein paar Lebensnarben, etwas Düsternis dürfen da schon vorkommen.

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Ist das Album als leise Kritik am grassierenden Originalitätswahn zu verstehen?

Nein. Der Gitarrist Kalle Kalima und ich hatten einfach gerade nicht so Bock auf vordergründige Komplexität: mal kein Kammermusik-Projekt, keine zeitgenössische Oper, keinen 100-köpfigen Chor. Wir hatten Lust auf Musik, die man sich auch zum Träumen, zum Reisen oder zum Schmusen anhören kann.

«Ich liebe Bern mit seiner grossartigen Musikszene. Aber Inspiration und Ermutigung finde ich hier weniger.»

Sie haben das Album mit Tim Lefebvre eingespielt, der Bassist des letzten Albums von David Bowie. Da wird doch bestimmt die eine oder andere Bowie-Episode aus erster Hand erzählt worden sein?

Ich habe ihn natürlich gefragt, wie es war, mit ihm zu arbeiten. Aber da gab es nichts für die Episoden-Sammlung. Die Musiker wussten um die schwere Krankheit von David Bowie, mussten sich aber verpflichten, niemandem davon zu erzählen. Diese Konfrontation mit der Endlichkeit, mit einem Musiker, der in seinen letzten Tagen noch etwas Bleibendes erschaffen will, hat Tim als Mensch und als Musiker sicher nachhaltig geprägt. Ich denke, dieses Existenzielle hört man auch seiner Musik an.

Die Pop-Welt war damals sehr überrascht, als David Bowie mit einer Jazzband anbandelte.

Auch die Band war überrascht. Tim spielte 2014 zusammen mit Donny McCaslin im kleinen New Yorker Club 55 Bar. Dann kam Bowie rein, hörte sich das Konzert an und sagte danach, dass er mit ihnen ein Album aufnehmen möchte. Tim hat mir von diesem surrealen Moment erzählt, der letztlich sein Leben verändert hat.

Dieser Tim Lefebvre hat ja neben Bowie auch schon mit Elvis Costello oder Sting zusammengearbeitet. Wie ist er auf Sie gekommen?

Unser Label Act Music hatte in der Berliner Philharmonie zu einem grossen Jubiläumskonzert geladen. Tim und ich haben uns spontan entschlossen, an diesem Abend ein Stück zusammen zu spielen. Das ging so dermassen durch die Decke, dass wir unsere Nummern austauschten. Auf meine erste Anfrage reagierte er innerhalb einer Minute – und war dabei. Nun spielen wir zusammen acht Konzerte innerhalb von neun Tagen. Das erfüllt mich natürlich mit Freude und Demut.

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Wenn er schon kaum David-Bowie-Episoden erzählt, was erzählt er wohl in anderen Bandbussen über diesen sonderbaren Andreas Schaerer aus Bern?

Da müsste man ihn selber fragen. Nach einem voll improvisierten Duo-Konzert im vergangenen August, das in eine Art Voodoo-Industrial-Eskapade ausartete, meinte er, als wir uns in den Armen lagen: «You are completely crazy.»

Auch Sie haben ja zuvor schon mit diversen spannenden Figuren musiziert, zum Beispiel mit Bobby McFerrin oder mit Michael Wollny. Wer war der inspirierendste Sparringpartner?

Da gibt es so viele: ein Bänz Oester, der mich zur improvisierten Musik brachte, ein Kalle Kalima, mit dem ich eine gewisse Aversion gegen das Elitäre in der Musik teile, Lucas Niggli, der meine Anfänge prägte, oder der wunderbare Akkordeon-Poet Vincent Peirani aus Paris. Und natürlich der erwähnte Bobby McFerrin, der mich lehrte, welche Energie entstehen kann, wenn Künstler und Publikum zu einer Einheit verschmelzen. Es sind solche Begegnungen, die meine Überzeugung prägten, dass es etwas Heiliges ist, was wir Musikerinnen und Musiker in unserem Job erleben dürfen.

Das sieht das Publikum wohl auch so. Sie haben 2015 den Echo Jazz erhalten – den grössten Musikpreis Deutschlands – und touren seit Jahren erfolgreich durch die ganze Welt. War ihnen Bern von Anfang an zu eng?

Ein bisschen schon. Ich liebe diese Stadt und ihre grossartige Musikszene. Aber Inspiration und Ermutigung finde ich hier weniger. Ich treffe eher auf eine gewisse Es-ist-gut-wie-es-ist-Mentalität als auf eine mitreissende Aufbruchstimmung. Deshalb bin ich froh, kann ich meine Antennen zuweilen ein bisschen weiter ausfahren.

Bee-Flat im der Progr-Turnhalle Bern, So, 12.11., 20.30 Uhr; Moods Zürich, Mo, 13.11., 20.30 Uhr