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Motocross-Überflieger Jeremy Seewer
Nach dem brutalen Sturz rappelt er sich auf – für die grosse Show in Frauenfeld

Setzt an zum Höhenflug in der Heimat: Jeremy Seewer war 2019, 2020 und 2022 der zweitbeste Motocross-Pilot der Welt, nun will er die Zehntausende in Frauenfeld verzücken.  
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Zuletzt fiel es selbst Jeremy Seewer schwer, Freude an seinem Tun zu haben.

Der junge Schweizer lebt im belgischen Lommel seinen Traum. Motocross-Fahrer ist er von Beruf, seit Jahren schon, und nicht nur das: Dreimal war er bereits der zweitbeste Fahrer der ganzen Welt, dreimal WM-Zweiter, in der höchsten Kategorie, der MXGP. Eigentlich, so sagt er selbst, kann es für ihn nur noch den Weltmeistertitel geben. «Ganz klar. Noch einmal Zweiter werden? Das habe ich schon erreicht, das macht mich nicht mehr glücklich.»

Die Jagd nach der höchsten Ehre seines Sports wollte er Mitte März im argentinischen Villa La Angostura eröffnen. Doch sie geriet mächtig ins Stocken, da hatte sie noch gar nicht recht begonnen.

Im Qualifikationsrennen fährt Seewer auf einen Sprung zu, hebt plötzlich ab, fliegt weit und immer weiter. Der 28-Jährige muss von seinem Töff hüpfen, bevor es zum ganz heftigen Aufprall kommt, hart ist die Landung auch ohne seine Maschine, die sich neben ihm mehrmals überschlägt. Seewer rennt zu ihr hin, starten lässt sie sich nicht mehr. Er verliert viele Punkte, weil es neu schon in der Qualifikation Zählbares gibt – und er im Rennen nach einer Kollision nur 17. wird. Es folgen die Ränge 3 und zuletzt auf Sardinien 6 und 7 – auch hier kommt er nicht ohne schweren Sturz durch.

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Doch: Die fehlenden Punkte und der WM-Zwischenrang 8 sind das eine. Anderes ist Gravierender. Seewer spricht von einer «mental schwierigen Zeit». Körperlich sei er in Topform gewesen, auch habe er eigentlich nicht viel falsch gemacht, «und trotzdem läuft es überhaupt nicht. Das ist nicht einfach zu akzeptieren. Den ganzen Winter über opfere ich Hunderte Stunden fürs Training, damit ich bereit bin, und dann kommt es so heraus. Das tut innerlich weh. Ich bin zwar positiv eingestellt, aber es gibt auch schwarze Tage».

Die Gedanken ans Risiko richtig positionieren

Manchmal rotieren die Gedanken, «ich weiss, was ich für einen Sport mache und um das Risiko. Aber ich kann sie im Kopf an den richtigen Ort schieben. Und sobald ich auf dem Töff sitze, sind sie ausgeblendet».

Nach dem Abflug in Argentinien schaute er sich die Stelle noch einmal genau an. «Die Strecke ist sehr gefährlich», sagt Seewer, «die Erde ist seltsam, besteht aus Vulkanstaub, daher ist sie kaum zu lesen. Auf meiner Linie hatte es ein Loch, eine Kante, es war unmöglich, das zu sehen. Dadurch bekam ich einen Kick, es katapultierte mich vornüber.» Immer und immer wieder schaut er sich das Video an, das seine Helmkamera aufgenommen hat, um es besser zu verstehen. Er ist nicht der Einzige. «Es wird online ganz gut gelikt», witzelt er, «zum Glück kann ich jetzt darüber lachen.»

Argentinien war schon im Vorjahr Unglücksort für ihn, nach einem Unfall litt er an einer Gehirnerschütterung. «Das war viel schlimmer», sagt Seewer, «jetzt ging es einfach darum, einen ersten Schock zu verdauen.» Das ist ihm in den letzten drei Wochen ganz gut gelungen. Die grösste Linderung verspricht aber das Osterwochenende.

Nach Streitereien zurück in der Schweiz

Nach fünf Jahren Unterbruch reist die Weltelite wieder nach Frauenfeld – es ist ein veritabler Coup für die Organisatoren nach Streitereien mit Umweltverbänden und Anwohnern. Neu wird nicht mehr auf dem Gelände der Schweizer Zucker AG gefahren, sondern einen Kilometer weiter auf der Schollenholz-Piste. Dass er wieder einmal einen Heim-GP erlebt, bedeutet Seewer viel. «Die drei Rennen, die ich in Frauenfeld erlebt habe, waren die emotionalsten meiner Karriere. Es ist mega, kehren wir nun zurück.» Ein «geiles Fest» wünscht er sich – «hoffentlich kann ich dazu beitragen».

Für seinen Auftritt vor Zehntausenden Fans hat er eigens ein Dress designt, auch den Helm gestaltet er immer wieder selbst, die Ausrüster produzieren dann nach seinen Wünschen. Es ist eines seiner Hobbys – es kommt derzeit zu kurz, wie alles neben dem Sport, das Golfen auf dem Platz direkt vor seiner Haustür oder das Klavierspielen, sein mentaler Ausgleich. Der Rummel um ihn wird am Ostermontag, wenn die MXGP-Piloten ihre Rennrunden drehen, noch einmal etwas grösser sein als sonst schon.

Wünscht sich «ein geiles Fest»: Die Vorfreude auf seinen Heimauftritt in Frauenfeld ist bei Jeremy Seewer riesig.

Es wird ein seltener Abstecher in die Heimat für Seewer. Seit 2015 wohnt er in Lommel, einer Kleinstadt im Norden Belgiens, Hauptstadt des Spektakelsports. Auch die Mechaniker seines Yamaha-Teams leben hier, im Ort hat es eine Motocross-Piste, in den Niederlanden innert eineinhalb Fahrstunden sechs Strecken, manchmal trainiert er auch in Deutschland.

Ein Leben im Temporausch

Seewer hat sich an das Leben im Temporausch gewöhnt. In seiner Wohnung, in der er allein lebt, ist er nur selten. Im Winter reist er nach Italien zum Training, «und im Sommer ist so viel los: mit den Rennen, mit den Tausenden Zuschauern. Dann geniesse ich es, einen ruhigen Rückzugsort zu haben». Bei den Eltern in Bülach ist er immer weniger, «doch wenn, ist das für mich wie Ferien». Im Garten des Elternhauses hat er einst mit seinem Bruder Roger und einem Bagger Hügel aufgeschüttet, um die ersten Runden auf dem Töff zu drehen und Sprünge zu üben. Von dort aus hat er es an die Weltspitze geschafft.

Das zahlt sich auch finanziell aus. «Wir sind zwar nicht Fussballer oder Formel-1-Fahrer. Aber die ersten sechs, sieben Piloten verdienen schon gutes Geld.» Seewer hat einen Vertrag mit seinem Team, das ihm Reisekosten und einen Lohn mit leistungsabhängigen Prämien bezahlt. Zudem hat er einen Kopfsponsor, einen Kontrakt mit dem Helmhersteller und ein paar private Geldgeber. «Ich kann gut davon leben und etwas zur Seite legen», sagt er. Und: «Bei einem dreifachen Weltmeister kann man auch in unserem Sport von Millionen Franken reden, die er verdient.» Dreimal stand Seewer ein Fahrer vor der Sonne. Das soll sich endlich ändern.