Junge deutsche RennfahrerinMit 17 hatte sie einen fürchterlichen Abflug – jetzt will sie in die Formel 1
Sophia Flörsch wurde durch einen unfassbaren Unfall bekannt. Doch nun will sie mit ihrem Können glänzen. Sie kämpft dabei gegen Männer – und viele Millionärssöhne.
Es ist nicht die Art von Aufmerksamkeit, die sich Sophia Flörsch wünscht. Sie will nicht auf ewig die junge Frau sein, die einen Horror-Unfall überlebt hat.
Und doch ist es dieser Abflug im November 2018, der sie auf einen Schlag in die Öffentlichkeit katapultiert – im wahrsten Sinn des Wortes.
Mit über 270 km/h kommt sie mit ihrem Formel-Auto angeschossen auf der berüchtigten und engen Strecke von Macao, vor Hongkong gelegen, als ein Konkurrent vor ihr abrupt vom Gas geht. Das Auto der Deutschen berührt das des Gegners, dreht sich, rückwärts schlittert Flörsch Richtung Randsteine, bei diesen hebt ihr Wagen ab, er schiesst in ein anderes Auto, durch den Fangzaun hindurch und rücklings in den Hochstand der Fotografen. Die Zuschauer auf der Tribüne der Lisboa-Kurve schreien auf.
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Der getroffene Fahrer wird verletzt, zwei Fotografen und ein Streckenposten ebenso. Die Szene dauert Sekundenbruchteile. Wer sie sieht, glaubt nicht, dass Flörsch lebend aus dem Cockpit geborgen werden kann.
Doch das gelingt, die damals 17-Jährige erleidet Wirbelbrüche und eine Kompression des Wirbelkanals, die im nahen Spital operiert werden können. Dreieinhalb Monate später sitzt Flörsch wieder hinter dem Lenkrad, 2019 startet sie erneut in Macao. Für ihr Comeback wird sie mit dem «Laureus World Sports Award» ausgezeichnet.
Die Formel 1: So nah – und doch so fern
Es ist Sommer 2023, der spektakuläre Abflug fast fünf Jahre her. Flörsch ist mittlerweile 22 und beim Team PHM Racing in der Formel-3-WM untergekommen. Sie sitzt an diesem letzten Junitag auf einem Stuhl hinter dem Lastwagen ihres Teams auf den Hügeln von Spielberg, rundherum schlängelt sich der Red-Bull-Ring. Sie wolle auch in diesem Jahr wieder in Macao fahren, sagt sie, als wäre es das Normalste, «es ist einfach eine geile Strecke».
Doch erst einmal ist sie hier, in dieser Vor-Vorstufe zur Formel 1. Ein paar Hundert Meter weiter unten glänzen die Riesenbauten, die die Formel-1-Teams für das Wochenende in der Steiermark errichtet haben, um ihre Gäste zu empfangen. Die Königsklasse ist der Sehnsuchtsort aller hier oben, die in der zweithöchsten Juniorenkategorie um die Aufmerksamkeit von Zuschauern, Sponsoren und Teambesitzern buhlen.
Die Formel 1 ist an den Rennwochenenden der Formel 2 und Formel 3, die im Rahmenprogramm ihre Runden drehen, jeweils so nah – und doch so fern. Nur ein paar Schritte entfernt – und doch unerreichbar für die meisten.
Flörsch hat immerhin Zugang zum Fahrerlager der Glitzerwelt. Mitte Februar wurde sie ins Nachwuchskader des Formel-1-Rennstalls Alpine aufgenommen und ihr ein Engagement in der Formel 3 angeboten. Seither schaut sie bei Qualifyings und Rennen immer wieder vorbei in der Garage der Franzosen, «ich lerne viel und bekomme mit, wie hier alles funktioniert».
Der Traum, die dritte Frau in der Formel 1 zu werden, die erste seit Lella Lombardi 1976, wurde noch ein bisschen mehr gefüttert. «Realistischer» nennt ihn Flörsch. «Wir haben gemeinsame Ziele, und Alpine ist auch einer der ersten Rennställe, die ernsthaft Frauen fördern wollen, und zwar auf allen Ebenen. Bei anderen sind es oft nur Lippenbekenntnisse. Es wirklich zu schaffen, hat aber auch viel mit Politik, Glück und dem richtigen Timing zu tun», sagt die Oberbayerin. Erst einmal liebäugelt sie damit, für die nächste Formel-3-Meisterschaft ein etwas stärkeres Team zu finden als Neuling PHM Racing. «Hoffentlich kann ich dann Erfolge einfahren, davon hängt schliesslich alles ab.»
Frust statt Jubel – wegen ein paar Millimetern
Einen solchen feiert sie dann im Hauptrennen am vergangenen Sonntag in Spielberg. Neunte wird sie, gewinnt als erste Frau überhaupt Punkte in der Formel 3 – doch dann folgt die grosse Enttäuschung. Die Endplatten links und rechts des Frontflügels entsprechen nicht den Vorschriften des Weltverbands FIA – es geht um Millimeter.
Flörsch steckt auch das weg, an diesem Wochenende will sie die nächste Chance auf einen Exploit packen. Im Sprintrennen vom Samstag wurde sie 19., am Sonntag folgt das Hauptrennen.
Flörsch wird dann wieder die einzige Frau sein im Feld mit 29 Gegnern. In der Formel 2 ist sogar keine einzige Pilotin am Start. Es habe sich zwar einiges getan, was die Förderung von Frauen im Motorsport angeht, sagt Flörsch. Doch noch nicht genug. Viele Eltern wüssten gar nicht, dass auch Mädchen diesen Sport betreiben könnten, «und wenn diese dann mit 15 auf die Idee kommen, Rennfahrerin zu werden, ist es schon lange zu spät».
Flörsch sitzt erstmals in einem Kart, da ist sie vier. Ihr Vater dreht jeweils in München zum Spass ein paar Runden und nimmt seine Tochter mit. Diese ist bald kaum mehr aus dem Gefährt zu kriegen. Ihre Eltern, damals in der Immobilienbranche tätig, investieren viel Zeit und Geld, um ihrer älteren von zwei Töchtern den Traum vom Profirennfahren zu ermöglichen.
«Wir müssen uns immer noch mehr beweisen, viele zweifeln daran, dass es möglich ist, bald einmal eine Fahrerin in der Formel 1 zu haben.»
Die Budgets der Gegner, die teils ohne Limit Geld ausgeben können, zwingen Sophia Flörsch dazu, auch bald Sponsoren zu suchen. Sie ist da 13 und steht vor dem Umstieg vom Kart- in den Autosport. Ein Mädchen, eine junge Frau – in Kombination mit Motorsport? Für potenzielle Geldgeber ein Glücksfall, so denken viele. Flörsch weiss, dass es anders ist. «Natürlich habe ich etwas mehr Aufmerksamkeit, etwa via soziale Medien. Aber wir Frauen müssen uns immer noch mehr beweisen, viele zweifeln daran, dass es möglich ist, bald einmal eine Fahrerin in der Formel 1 zu haben. Zudem sind Autos in Deutschland längst nicht mehr mit positiven Attributen besetzt. Das alles macht es nicht einfach.» Trotzdem hat sie es geschafft: bis in die Formel 3 und Alpines Nachwuchsprogramm.
Die Kosten von rund einer Million Franken pro Jahr teilen sich Alpine, Sponsoren und Familie. «Als ich klein war, war der Sport schon teuer, aber jetzt ist nur noch krank, was schon von gewissen Kart-Teams verlangt wird», sagt Flörsch. In der Formel 3 und der Formel 2 würden sämtliche Piloten für die Cockpits bezahlen. Die mit dem dicksten Portemonnaie kommen bei den besten Rennställen unter und können ihr Talent entsprechend präsentieren. Auch sonst haben sie andere Möglichkeiten – so können sie sich etwa enorm wertvolle Testtage leisten.
Das Budget ist wichtiger als das Talent
Flörsch nennt als Beispiel Formel-1-Pilot Lando Norris, dessen Vater schwerreich ist. «Er fuhr ein Jahr vor mir in der Ginetta Junior League beim gleichen Team. Nur weiss niemand, dass Lando jeweils vor sich einen Fahrlehrer hatte und hinter sich einen, die ihm die Ideallinie zeigten.»
Oder Lawrence Stroll, Vater von Aston-Martin-Fahrer Lance Stroll: Dieser kaufte kurzerhand das Team Prema, als sein Sohn in die Formel-Klassen aufstieg, später übernahm er in der Formel 1 Racing Point und liess Lance dort fahren, mittlerweile hält er auch Anteile am daraus entstandenen Rennstall Aston Martin. «Und diese Realität macht es sehr schwierig, sportlich zu bestehen. Im Nachwuchssport setzt sich lange Zeit einfach Budget gegen Talent durch. Die Wahrheit kommt erst in der Formel 1 ans Licht, wenn der Vergleich zum Teamkollegen gezogen wird», sagt Flörsch.
Doch das alles mag ihr die Freude an ihrem Sport nicht nehmen. «Das Gefühl in einem Qualifying, wenn die Reifen die perfekte Temperatur haben und ich mit einem Tempo über die Piste rase, wie es sich kaum jemand vorstellen kann, ist grossartig. Oder die 24 Stunden von Le Mans zu fahren: einzigartig!» Dreimal schon hat sie das legendäre Rennen in der zweithöchsten Klasse LMP2 bestritten.
Sie war auch da als Frau eine Ausnahme, Flörsch ist sich das mittlerweile gewöhnt. Sie sei damit aufgewachsen, sagt sie, es machte ihr nie etwas aus. Im Gegenteil: Nur gegen Frauen zu fahren, wie das in der W-Series gemacht wurde oder in der neu gegründeten F1 Academy getan wird, will sie nicht. «Dass es keine Geschlechtertrennung gibt, ist doch gerade das Besondere an unserem Sport. Ich will gegen die Besten antreten, und das sind nun einmal Männer – genau das will ich ändern.»
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