Kommentar zu Bergers EntführungZürcher Behörden verpassten es, ein klares Bild des Täters zu vermitteln
Christoph Berger verschwieg nach seiner Entführung die radikale Haltung seines Peinigers. Das dürfte den Zürcher Behörden pässlich gewesen sein – verhinderte aber eine Versöhnung in einer polarisierten Zeit.
Die Mitteilung hätte die aufgeheizte Stimmung im Corona-Jahr 2022 etwas herunterkühlen sollen. Einige Tage nachdem der Impfchef Christoph Berger in der Gewalt eines schwer bewaffneten Mannes gestanden hatte, ging er mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit: Die Entführung stehe nicht mit seiner Rolle als Impfchef in Verbindung. Nicht nach seinem «persönlichen Erleben».
Er widersprach damit gewissen Medienrecherchen auch dieser Zeitung, die zeigten, dass sich der Entführer in seinem Umfeld durchaus extremistisch äusserte. Rechtsgerichtete Zeitungen und verschwörungstheoretische Kreise nahmen die Aussagen Bergers als Anlass, diese Recherchen als «Luftschloss» («Die Ostschweiz») und «Desinformation!» (Daniel Stricker) zu betiteln.
Nun zeigt sich, dass Berger die Ideologie des Täters kannte, aber verschwieg. Seit vergangener Woche ist der tragische Fall, bei dem der Entführer bei seiner Festnahme zuerst seine Freundin erschoss und dann selbst von der Polizei erschossen wurde, abgeschlossen. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft, die diese Zeitung einsehen konnte, sind unter anderem die Zeugenaussagen Bergers zusammengefasst.
Hauptmotiv: Geldprobleme
Das Dokument lässt den Schluss zu: Das Hauptmotiv des Täters war seine finanzielle Notlage, doch hegte er auch ein radikales Gedankengut. So hörte Berger vom Entführer, während er eine Pistole auf sich gerichtet sah: «Jetzt ist fertig mit diesem verdammten Impfstoff, diesem Gift.» Ebenso gab ein Bekannter des Entführers zu Protokoll, dass der Täter unzufrieden sei mit den Corona-Massnahmen und dessen Meinung nach deshalb die Regierung umgebracht werden müsse.
Warum hat der ehemalige Impfchef diesen Hintergrund des Täters gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen? Auf Anfrage sagt er, dass der Fall für ihn abgeschlossen sei und er sich nicht mehr dazu äussere.
Was damals wirklich vor sich ging, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Wahrscheinlich ist, dass Berger damals nicht in Eigenregie, sondern in Absprache mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft gehandelt hatte. Klar ist, dass eine Verschleierung des Hintergrunds des Täters allen beteiligten Zürcher Behörden gelegen kam.
Berger war Hassfigur
Warum? Bei Bekanntwerden eines verschwörungstheoretischen Hintergrunds des Entführers hätte sich die Kapo die Frage gefallen lassen müssen, warum sie einer so exponierten Person, wie es Berger damals war, nicht genügend Schutz bieten kann. Es war längst bekannt, dass er in den Telegram-Chats von Massnahmenkritikern zur Hassfigur hochstilisiert worden war.
Die Version, dass Berger nicht als Impfchef, sondern als Privatperson entführt worden war, lag auch der superprovisorischen Verfügung zugrunde, mit der Berger gerichtlich erwirkte, dass sein Name nicht in dieser Zeitung genannt werden darf. Ein differenzierteres Täterprofil hätte diese Erzählung weniger eindeutig gemacht.
Denkbar ist ausserdem, dass Berger tatsächlich Druck aus der aufgeladenen Situation nehmen wollte. Das gelang ihm insofern, als er mit seiner Aussage den teils wilden Spekulationen zu einem Täter, der sich angeblich in Verschwörungstheoretiker-Kreisen radikalisiert hatte, ein Ende setzen konnte. Auch diese Zeitung hat in einem Kommentar diesen nicht belegten Zusammenhang hergestellt.
Dass die Medien und ihre Recherchen durch Bergers Aussagen in Zweifel gezogen wurden, ist als Kollateralschaden zu werten. Wichtiger ist, dass die Zürcher Behörden die Chance verpasst haben, mit offener Kommunikation ein differenziertes Bild des Täters zu vermitteln. Damit hätten sie der polarisierten Stimmung im Frühling 2022 wirklich etwas entgegensetzen können.
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