Enges Rennen um US-PräsidentschaftKann Trump die Auszählung stoppen lassen?
Der US-Präsident will den Supreme Court einschalten, damit Briefstimmen nicht weiter gezählt werden. Kann er das überhaupt? Antworten auf elf wichtige Fragen zum Wahlkrimi in den USA.
Die USA halten den Atem an: Die Auszählung der Stimmen läuft nach der US-Wahl noch, da erklärt sich Präsident Donald Trump schon selbst zum Sieger. Dabei war das Rennen um das Weisse Haus noch nicht entschieden – und auch Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden zeigt sich weiter siegessicher. Ein Überblick, was Trumps Äusserungen in der Wahlnacht im Weissen Haus bedeuten:
Welche Auswirkung hat Trumps Siegesbehauptung?
Trumps Aussagen haben zunächst einmal keinerlei rechtliche Wirkung, es handelt sich um einen politischen Schachzug. Er sät damit vor allem Zweifel an der Rechtmässigkeit der Wahl. Er scheint darauf abzuzielen, einen womöglich später verkündeten Wahlsieg Bidens leichter angreifbar zu machen.
Trump kann die Auszählung der verbleibenden Stimmen jedoch nicht durch eine Siegeserklärung stoppen. Um die Auszählung oder einzelne Wahlergebnisse anzufechten, muss er vor Gericht ziehen. Genau das kündigte er im Zusammenhang mit der andauernden Stimmauszählung am Mittwochmorgen (Ortszeit) an. Er dürfte sich dabei auf Bundesstaaten konzentrieren, die den Wahlausgang beeinflussen dürften und in denen ein knappes Ergebnis erwartet wird – wie Pennsylvania.
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Kann der Supreme Court die Wahl stoppen?
Die Frage wird derzeit auch von amerikanischen Medien diskutiert, es blieb nach Trumps Rede allerdings unklar, wie sich der US-Präsident überhaupt an den Supreme Court wenden will, was er genau anfechten möchte. Wörtlich sagte er: «Wir wollen, dass das Wählen aufhört», wobei dies bereits geschehen ist, die Wahlurnen sind geschlossen, selbst brieflich eingereichte Stimmen zählen in gewissen Staaten wie Pennsylvania nur, wenn sie am Wahltag abgestempelt wurden. Eine rechtliche Grundlage, um die Auszählung der gültigen Stimmen zu stoppen, gibt es nicht, schreibt beispielsweise die New York Times. Es gebe keinen Weg, um direkt an den Supreme Court zu gelangen, um die Auszählung zu stoppen, sagt ein Rechtsprofessor der University of California gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Rechtliche Streitigkeiten rund um die Wahlen müssten zuerst in den Bundesstaaten entschieden werden. So wie sich Trump das vorstelle, funktioniere das System nicht.
Ob erst nach dem Wahltag eintreffende Couverts noch gezählt werden dürfen, ist in den Bundesstaaten allerdings hoch umstritten. Darüber ist schon vor Wochen ein Rechtsstreit entbrannt, der bis vor das höchste Gericht der USA gezogen wurde.
Was hat das mit der Briefwahl zu tun?
Wegen der Corona-Pandemie hatten viele Staaten nur Monate vor der Abstimmung die Regeln für die Briefwahl geändert, entweder Abläufe oder Fristen. Grob gesagt wollten die Demokraten das Abstimmen möglichst einfach machen, um eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Die Republikaner lehnten das ab.
Bereits vor der Wahl hatte es daher zahlreiche Klagen gegeben, die in mehreren Fällen beim Obersten Gericht in Washington landeten. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun Richter gelten als konservativ, drei davon hat der Republikaner selbst nominiert. Die Richter sind allerdings unabhängig und auf Lebenszeit gewählt.
Insbesondere mit dem Auszählungsprozedere in Pennsylvania und Wisconsin musste sich das oberste Gericht schon vor der Wahl beschäftigen. Dabei entschied der Supreme Court mit 5:3 Stimmen, dass in Wisconsin Stimmzettel, die nach dem Wahltag ankommen, nicht mehr gezählt werden dürfen. In Pennsylvania wollten die Republikaner dies ebenfalls durchsetzen. Das höchste Gericht des Bundesstaats hatte dort erst im September aufgrund der Corona-Pandemie entschieden, die Frist zu verlängern – damit auch Stimmzettel gezählt werden dürfen, die am Wahltag abgestempelt werden und bis am Freitag eintreffen. Der Supreme Court war in der Frage mit 4:4 unentschieden, weshalb die Entscheidung des Bundesstaats bestehen blieb. Die von Trump erst kurz zuvor eingesetzte Richterin Amy Coney Barrett enthielt sich dem Urteil, weil sie sich noch nicht einarbeiten konnte.
Trump könnte sich nun zumindest erhoffen, dass das oberste Gericht die Sachlage in Pennsylvania bei einem erneuten Entscheid anders einschätzt. Dies vor allem, da Coney Barrett nun auch mitmischen dürfte.
Dem US-Präsidenten dürften Verzögerungen bei der Auszählung der Briefwahlstimmen gelegen kommen, um Klagen wegen angeblichen Wahlbetrugs einzureichen. Er hat sich mit seinem Team monatelang auf genau dieses Szenario vorbereitet, denn Umfragen vor der Wahl legten nahe, dass die in den Wahllokalen abgegebenen Stimmen wohl eher zugunsten Trumps ausfallen würden, die Briefwahlstimmen eher für Biden. Nach dieser Logik ist klar: je länger gezählt wird, desto enger wird es für Trump.
Spielt Pennsylvania überhaupt eine Rolle?
Für Joe Biden wäre der beste Fall wohl, wenn er schon genügend Elektorenstimmen beisammen hat, bevor es eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Wahlfristen in Pennsylvania gibt. Stand Mittwochmorgen wäre das der Fall, wenn er seinen äusserst knappen Vorsprung in Nevada und Wisconsin verteidigt und zudem Trump noch in Michigan oder Georgia überholt. Dann schafft er es mit 270 Elektorenstimmen punktgenau auf die notwendige Mehrheit, um Präsident zu werden – egal, was in Pennsylvania noch passiert.
Wie ist Trumps Verhalten einzuschätzen?
Es ist ein Bruch der politischen Normen, überraschend kommt das aber nicht. Der Republikaner hat bereits vor der Wahl mehrfach behauptet, dass sein demokratischer Widersacher nur gewinnen könne, falls es «massiven Wahlbetrug» gäbe. Er hat immer wieder von Betrug bei der Briefwahl gesprochen, obgleich er dafür nie stichhaltige Beweise anführte. Zudem forderte Trump wiederholt, dass es noch in der Wahlnacht ein Ergebnis geben müsse. Die Forderung stand im Widerspruch zur geltenden Rechtslage und es war schon vorher absehbar, dass in mehreren Staaten Verzögerungen zu erwarten waren.
Zudem hatte Trump selbst schon nach seinem Wahlsieg 2016 von Betrug gesprochen, weil seine damalige Widersacherin Hillary Clinton knapp drei Millionen Direktstimmen mehr erhalten hatte als er.
Sind Verzögerungen bei der Auszählung normal?
Sie sind nicht ungewöhnlich. In diesem Jahr hatten wegen der Zunahme der Briefwähler bereits mehrere Bundesstaaten davor gewarnt. Die Auszählung der Stimmen ist wegen zusätzlich nötiger Arbeitsschritte komplexer als das Zählen der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen. Der Gouverneur von Pennsylvania, Tom Wolf, etwa hatte die Bürger aufgefordert, sich zu gedulden. Die Auszählung könne etwas länger dauern als gewohnt, «sogar ein paar Tage, aber das ist in Ordnung», sagte Wolf in einem Werbespot. «Denn es ist entscheidend, dass Ihre Stimme ausgezählt wird – und das wird sie auch.»
Jeder Bundesstaat hat andere Fristen, bis wann die Stimmen ausgezählt sein müssen, meist ist dafür aber reichlich Zeit eingeplant. Spätestens bis 8. Dezember müssen die Staaten dann ihre beglaubigten Wahlergebnisse nach Washington melden.
Wer bestimmt den Wahlsieger?
In den USA ist es üblich, dass die Präsidentenwahl auf der Basis von Prognosen grosser Medienhäuser meist noch in der Wahlnacht entschieden wird. Eine herausragende Stellung kommt dabei der Nachrichtenagentur AP zu: Das Unternehmen steckt viele Ressourcen in die Wahl und wird für seine Unabhängigkeit und Genauigkeit geschätzt. Sobald AP den Gewinner vermeldet, gilt die Wahl eigentlich als entschieden. Bislang haben weder AP noch Fernsehsender wie CNN oder Fox News das Rennen um die Präsidentschaft für entschieden erklärt.
Bei den meisten vergangenen Wahlen räumte der unterlegene Kandidat aufgrund der Prognosen und interner Informationen aus umstrittenen Bundesstaaten meist noch in der Wahlnacht seine Niederlage ein, spätestens am nächsten Morgen. Die eigentliche Auszählung der Ergebnisse und deren Beglaubigung zog sich indes immer länger hin.
Es gibt in den USA auf Bundesebene kein Wahlamt, das als verbindliche und unabhängige Autorität zeitnah das letzte Wort hätte. In den USA gibt es 51 Wahlleiter: Die Bundesstaaten und die Hauptstadt Washington sind jeweils mit eigenen Gesetzen und Vorschriften für die Organisation der Wahl und das Auszählen der Stimmen verantwortlich. Streitfälle landen daher zunächst in den jeweiligen Bundesstaaten vor Gericht.
Könnten Richter die Wahl entscheiden?
Bei einem knappen Wahlausgang könnte alles an ein oder zwei Bundesstaaten hängen. Wegen des Mehrheitswahlrechts könnten dort letztlich jeweils ein paar Hundert oder Tausend Stimmen entscheidend sein. Ein Rechtsstreit in einem Bundesstaat könnte bei einem knappen Ergebnis daher theoretisch zum Zünglein an der Waage werden.
Richter, selbst jene am Supreme Court in Washington, können nicht über den Ausgang der Wahl an sich entscheiden, aber sie können zum Beispiel über Fristen, Auszählungsregeln und die Zulassung von Stimmen befinden – in Einzelfällen könnte das ein Ergebnis kippen.
So ähnlich lief die Wahl 2000 ab: Ob George W. Bush oder Al Gore der nächste Präsident würde, hing damals nur am Auszählungsergebnis im bevölkerungsreichen Bundesstaat Florida. Der Rechtsstreit um das Ergebnis und Neuauszählungen zogen sich einen Monat hin, bis vor das Oberste Gericht in Washington. Danach räumte Gore seine Niederlage ein. Bush gewann mit 537 Stimmen Vorsprung, sicherte sich die Stimmen der Wahlleute Floridas und wurde US-Präsident.
Bis wann muss Klarheit herrschen?
Die Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Diese Frist, als «safe harbor» bezeichnet (sicherer Hafen), war zum Beispiel im Jahr 2000 bei Gores Entscheidung, seine Niederlage einzuräumen, entscheidend. Die Frist ist die Voraussetzung für die Abstimmung der 538 Wahlleute. Das soll dieses Jahr am 14. Dezember passieren. Das Ergebnis wird dann am 6. Januar im Kongress bekanntgegeben, am 20. Januar wird der Wahlsieger mit der Vereidigung ins Amt eingeführt.
Ganz unabhängig vom Wahlausgang wird Trump die Geschäfte wie von der Verfassung vorgesehen weiterführen. Der neue Präsident wird erst nach seiner feierlichen Amtseinführung ins Weisse Haus einziehen und die Geschäfte übernehmen. Eine längere Phase der Unsicherheit wäre aber ungünstig, falls Biden letztlich gewinnen sollte, weil ihm und seinem Team dann viel weniger Zeit bliebe, sich auf die Regierungsgeschäfte vorzubereiten.
Was kann Biden jetzt tun?
Biden war Trump in der Nacht bereits zuvorgekommen und machte den Wählern in einer kurzen Ansprache deutlich, dass das Rennen noch nicht entschieden sei. Er gab sich siegessicher, betonte aber: «Ich oder Donald Trump können nicht verkünden, wer die Wahl gewonnen hat. Das ist die Entscheidung der Bürger Amerikas.» Biden kann sich nun weiter an die Wähler wenden und Interviews geben. Sein Wahlkampfteam machte nach Trumps Äusserungen deutlich, dass es vor der Wahl viele Anwälte engagiert habe, um für Streitfälle bereitzustehen.
Welchen Schaden könnte Trump anrichten?
Der von Trumps Aussagen provozierte Konflikt dürfte zu einer folgenschweren Phase der Unsicherheit führen: Die politische Spaltung des Landes in zwei verfeindete Lager dürfte sich weiter zuspitzen. Es könnte zu Protesten kommen, schlimmstenfalls auch zu Ausschreitungen.
Trumps Vorwurf, dass es Wahlbetrug gegeben haben soll, stellt die Rechtmässigkeit der Abstimmung in Frage und dürfte den demokratischen Prozess langfristig beschädigen – vor allem in der Wahrnehmung seiner Anhänger. Falls Trump die Wahl letztlich verlieren sollte, dürfte er seine Vorwürfe auch nach der Amtsübergabe weiter äussern.
Zwischen der Wahl und der Amtsübergabe im Januar werden mehr als zwei Monate vergehen, es gibt also hinreichend Zeit, Konflikte auszutragen und zu lösen. Trotzdem könnte es theoretisch zu einem Szenario kommen, in dem Trump sich trotz Ausschöpfung des Rechtswegs und einer Wahlniederlage weigert, abzutreten. In so einem Fall befänden sich die USA in einer Verfassungskrise ohne Gleichen. Es gibt dafür keinen klaren Fahrplan.
SDA/anf
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