Hotels und CoronaJetzt packen der Direktor und die Lehrlinge an
Wie Schweizer Hotels die Krise meistern: Das Sorell Rütli in Zürich und das Golfpanorama im thurgauischen Lipperswil bleiben geöffnet – dank ungewöhnlicher Rollen.
Filippa Gross stand um fünf Uhr früh auf. Die Mama chauffierte sie von Buch am Irchel im Zürcher Weinland hinunter nach Neftenbach bei Winterthur. Umsteigen ins Postauto, in den Zug, um 6.30 Uhr Dienstantritt im Sorell-Hotel Rütli in der Zürcher Altstadt.
Ausserhalb Corona-Zeiten endet Filippas Arbeitsweg in der Winterthurer Marktgasse, wo sie in der Krone das dritte Lehrjahr zur Hotelfachfrau absolviert.
Aber das Traditionshotel ist derzeit ebenso geschlossen wie sechs von sieben Sorell-Häusern in Zürich. «Das Rütli bleibt geöffnet, weil wir nicht nur Langzeitgästen ein Zimmer bieten wollen, sondern auch, um den Lehrlingen weiterhin die Struktur eines beruflichen Alltags zu garantieren», sagt Direktorin Ariane Oswald. Das Rütli hält momentan als einziges Hotel an der Zähringerstrasse die Türen offen. Die sechs Nachbarn haben dichtgemacht, obwohl die Hotels nicht unter den coronabedingten Lockdown fallen. «Wirtschaftlich macht unser Projekt nicht weniger Verlust, als wenn das Hotel geschlossen wäre», räumt Ariane Oswald ein, «wir erzielen im April 2020 nur ein Zehntel des Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr.»
Filippa Gross bildet zusammen mit den beiden anderen zukünftigen Hotelfachfrauen Nadine Lopez und Laila Schweingruber und dem Hotelkommunikationsfachmann Leon Gähweiler die amtierende Hotelcrew. «Sie organisieren sich selber und schreiben die Dienstpläne», sagt Oswald. «Den Normalbetrieb bewältigen sie sehr gut. Bei schwierigen Entscheidungen helfen eine Kollegin aus dem Kader oder ich.»
Kein Frühstücksbuffet
Filippa übernimmt bei Dienstantritt das Kommando vom Nachtportier, richtet das Frühstück im Garni-Hotel. 20 von 58 Zimmern sind belegt. Einige Gäste wünschen Room Service, was in einem Dreistern-Superior-Haus normalerweise nicht Usus, in der grossen Krise aber kein Problem ist. Nur wenige speisen im Frühstücksraum, wo seit Mitte März auch kein Buffet bereitsteht.
«Ich belege Teller mit Wurstwaren, Käse und Gemüse, serviere Getränke, Brötli und Gipfeli an den Tisch und all das, was es sonst für einen Zmorge braucht», erzählt Filippa Gross. Joghurt und Birchermüesli warten in Gläsern mit Deckeln. «Coronabedingte Hygienemassnahmen stellen für uns keine Herausforderung dar», sagt Ariane Oswald, «bei Sorell galten schon immer strenge Standards.»
Während Filippa Gross das Frühstücksgeschirr wegräumt und dann hinter dem Plexiglas der Réception Telefonate und Mails beantwortet, Reservationen bestätigt, Check-ins und -outs abwickelt, arbeitet sich Nadine Lopez durch die Rütli-Zimmer. 15 muss sie an diesem Tag reinigen. «Ich gehe genau gleich vor wie vor Corona,» sagt die angehende Hotelfachfrau im zweiten Lehrjahr, die sonst im Sorell-Hotel Seidenhof arbeitet. Sie lüftet, entsorgt den Abfall, macht die Betten, putzt das Bad, wischt Staub, saugt die Böden und nimmt sie anschliessend feucht auf. Ausserdem werden Ablageflächen, Griffe und Türfallen desinfiziert. «Besonderes Augenmerk schenken wir den Liftknöpfen», sagt Nadine, die sich auch mehrmals täglich um die Sauberkeit der öffentlichen WC im Haus kümmert.
Bis vor der Corona-Krise galt die Schweizer Ferienhotellerie als Sorgenkind, während die Beherbungsbranche in den Städten boomte. Doch nun kündigt sich ein Paradigmenwechsel an.
Wie lange dieses Szenario anhält, bleibt ungewiss. Der Tourismus wird kaum vor dem 8. Juni erwachen. «Für die Stadthotellerie wird es in jedem Fall sehr schwierig», prognostiziert Hotelexperte Hans R. Amrein. «Solange die Grenzen geschlossen und die Flugzeuge am Boden bleiben, kommen keine ausländischen Gäste. Neue Konzepte sind jetzt gefragt.»
Schon dreissig Gäste im Hotel
Bis vor der Corona-Krise galt die Schweizer Ferienhotellerie als Sorgenkind, während die Beherbergungsbranche in den Städten boomte. Doch nun kündigt sich ein Paradigmenwechsel an. «Ich sehe für uns gute Chancen», sagt Alexandre Spatz, Direktor des Wellnesshotels Golfpanorama in Lipperswil. Wie das Rütli in Zürich empfängt das Resort im Thurgau weiterhin Gäste. Sie ziehen sich zur Arbeit ins Hotel zurück, geniessen die Natur und entspannen – ab Montag auch in der wieder geöffneten Wellnesszone.
«In der ersten Lockdown-Woche wohnten zwei oder vier Gäste bei uns, jetzt dreissig», bilanziert Spatz. Er hat seine fast 60-köpfige Crew im Prinzip in Kurzarbeit geschickt, sieben Mitarbeitende stehen täglich im Hotel, das 54 Zimmer und Suiten zählt, im Einsatz. «Wir sind Allrounder», sagt der 40-Jährige, der zusammen mit seiner Frau Caroline an der Front tätig ist. Spatz, gelernter Koch, bereitet die Mahlzeiten für die Gäste zu, am Morgen unterstützt von einer Servicekraft, am Mittag und am Abend von einem Koch. Der Direktor sieht das Positive: «Die Gäste sind sehr dankbar und verständnisvoll, und ich habe noch nie so eng mit meinen Leuten zusammengearbeitet.» Es lohne sich wirtschaftlich, das Resort offen zu halten, so Spatz weiter. Und: «Wir können jetzt die neuen Abläufe real proben und uns schon auf die Wiedereröffnung des Restaurants für auswärtige Gäste vorbereiten.»
Hygiene- und Schutzmassnahmen werden die Gastronomie verändern
An die allseits beliebten Buffets ist vorderhand nicht zu denken. «Wir werden zwar unseren Sonntagsbrunch beibehalten, aber von Buffet auf A-la-carte-Service umstellen» kündigt Alexandre Spatz an, «und statt des Fischbuffets am Freitagabend schreiben wir ein viergängiges Fischmenü aus.» Plötzlich hat es der Direktor eilig. Die Küche wartet. Zum Mittagessen haben die Gäste heute die Wahl zwischen Salatteller mit Tête de Moine, Entrecôte mit Bratkartoffeln oder Gemüse und Trüffel-Fagottini. Und zwar wortwörtlich «à la mode du chef».
18 Sorell-Hotels in der Schweiz, in Zürich Rütli ***S geöffnet, www.sorellhotels.com; Wellnesshotel Golfpanorama ****S, Lipperswil TG, www.golfpanorama.ch
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