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Nach den beiden Kantonalwahlen 
Grünen-Chef Glättli räumt Fehler ein

Vermisst bei seiner Partei den «Kampfmodus»: Grünen-Präsident Balthasar Glättli. 
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Balthasar Glättli in Gönnerlaune – so hat sich der Präsident der Grünen zuletzt präsentiert. «Jedem, der nicht freisinnig wählt, sondern grünliberal, dem sage ich: Bravo!», sagte er Ende Januar dem «Blick». Und fügte an: «Noch viel besser wäre es natürlich, grün zu wählen.» 

Die Wählerinnen und Wähler haben anders entschieden. Die Grünliberalen haben in Zürich und in Baselland am Wochenende insgesamt 4 Sitze dazugewonnen – allerdings nicht auf Kosten der FDP, die stabil geblieben ist. Anders die Grünen: minus 3 Sitze in Zürich, minus 2 in Baselland, lautet die Bilanz. In Zürich schrumpfte der Wähleranteil der Grünen von knapp 12 auf 10,4 Prozent, in Baselland von 15,2 auf 12,5. 

«Unser Hunger war zu klein, die Selbstzufriedenheit zu gross.»

Balthasar Glättli, Präsident der Grünen

Schmerzen muss die Grünen vor allem das Resultat in Zürich, das als Gradmesser für die nationalen Wahlen gilt. Wer hier zulegt, ist ein halbes Jahr danach auch auf eidgenössischer Ebene erfolgreich. Umso wichtiger dürfte es für die Partei werden, den Ursachen für die Niederlage auf den Grund zu gehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. 

Engagierte Konkurrenz

Am Tag nach den kantonalen Wahlen gibt sich Glättli selbstkritisch, gesteht Fehler ein: «Unser Hunger war zu klein, die Selbstzufriedenheit zu gross», sagt der Grünen-Präsident, «vielleicht auch, weil die Klimaallianz an den Urnen jeweils so deutlich gewann.» Derweil hätten SP und SVP nach den letzten Niederlagen «quasi das letzte Gefecht» ausgetragen. Er selbst habe erlebt, wie enorm engagiert sich die SVP auf dem Land gab und die SP in den Städten. «Da müssen wir im eidgenössischen Wahlkampf zulegen, in der ganzen Schweiz», fordert Glättli. 

Zu wenig integriert in Parteiveranstaltungen und Standaktionen seien die 3000 Neumitglieder, die seit 2019 dazukamen und die Anzahl eingetragener Grüner auf über 13’000 hochschnellen liess. Glättli ist überzeugt: Kämpfen sie in der ganzen Schweiz an vorderster Stelle mit, bringt dies eine bessere Mobilisierung gegen innen und gegen aussen.

«Der Klimaschutz wird helfen»

Solch selbstkritische Töne sind nicht überall in der Partei zu hören. Magdalena Erni, Co-Präsidentin der Jungen Grünen, sagt: «Wir können mit den Resultaten in Zürich und Baselland gut leben.» 2019 hätten die Grünen «erdrutschartig» gewonnen, die leichten Verluste seien nun vor diesem Hintergrund zu sehen. Erni ist zuversichtlich, dass die Grünen im Herbst eine Niederlage bei den nationalen Wahlen abwenden und ihre Stärke von 2019 mindestens behalten können. Ihre Hoffnung schöpft Erni nicht zuletzt aus der bevorstehenden Volksabstimmung über das Klimaschutzgesetz im nächsten Juni. «Der Klimaschutz wird dadurch wieder mehr zum Thema werden. Das hilft uns», ist sie überzeugt. 

Wie gross der Einfluss der Themenkonjunktur auf das Wahlresultat vom Wochenende war, ist im Detail schwierig zu beurteilen. Sicher ist: Das Momentum war nicht auf der Seite der Grünen – anders als 2019, als kurz vor den Kantonsratswahlen die sogenannte Klimajugend auf die Strasse ging. In den letzten vier Jahren haben andere Themen mehr Strahlkraft entwickelt: Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise. 

Stabilität in der Krise

Für die Baselbieter Nationalrätin und Vizepräsidentin Florence Brenzikofer war es nach dem Erdrutschsieg der Grünen vor vier Jahren, sowohl in Zürich als auch in Baselland, klar, dass es eine Herausforderung werden würde, die hohen Prozentpunkte zu halten. Allerdings hätten auch die Abgänge wichtiger Aushängeschilder eine Rolle gespielt, sagt sie. Bei der Legislaturplanung hätte man den Amtszeitbeschränkungen stärker Rechnung tragen und überall mit Bisherigen antreten sollen. «Denn die Wahlen in den beiden Kantonen bestätigen, dass die Leute sich gerade in Krisenzeiten Stabilität wünschen.»

Die glänzende Wiederwahl der beiden Baudirektoren Martin Neukom in Zürich und Isaac Reber im Baselbiet zeige zudem, dass die Wählerinnen und Wähler grundsätzlich sehr zufrieden seien mit der Arbeit der Grünen – gerade im Bereich der Klimapolitik, sagt Brenzikofer.

Das blendet freilich aus, dass die Energiewende für die Grünen auch heikles Terrain sein kann. Nationalrat Bastien Girod sieht hier denn auch Korrekturbedarf. Warum? Als im letzten Herbst niemand wusste, ob die Schweiz ohne Strom- und Gasmangel durch den Winter kommen wird, beschloss das Parlament in Rekordtempo eine Solaroffensive in den Alpen. Bereits damals war klar, dass grosse Freiflächenanlagen in den Bergen zu Konflikten mit dem Natur- und Landschaftsschutz führen können. Die meisten grünen Parlamentarier wähnten sich im Dilemma – und enthielten sich in der Schlussabstimmung der Stimme. 

Dabei entstand nach aussen der Eindruck, dass die Partei bereit sei, für die Energiewende den Natur- und Landschaftsschutz stillschweigend zu opfern – was der Partei nun möglicherweise Stimmen gekostet hat. Girod bestreitet das. Das Problem sei vielmehr die Kommunikation: Es müsse der Partei gelingen, bis zu den nationalen Wahlen ihr «komplettes Bild aufzuzeigen», sagt er und betont: «Wir müssen wieder selbstbewusster für eine naturverträgliche Energiewende einstehen.» Es brauche einen raschen Ausbau der Fotovoltaik, allerdings müsse der Fokus auf bestehender Infrastruktur wie Dächern liegen.

Bekenntnis zum Naturschutz 

Welch Sprengkraft das erwähnte Dilemma für die Partei hat, zeigt sich im Wallis. Dort bekämpft die Kantonalsektion der Grünen die Umsetzung der vom Bundesparlament beschlossenen Solaroffensive an vorderster Front mit einem Referendum. «Der Schutz von Natur und Landschaft gehört zu unseren Grundwerten», sagt Brigitte Wolf, Präsidentin der Walliser Grünen. Sie übt allerdings keine Kritik an der Parteileitung in Bern, macht aber klar, dass sie sich von der Mutterpartei ein klares Bekenntnis dazu wünscht.

Bis zu den Wahlen bleiben nun noch gut acht Monate. Gelingt es den Grünen, die drohende Niederlage abzuwenden? «Wir sind für Durchschnittswählerinnen und -wähler wohl zu konsequent», sagt der Zürcher Alt-Regierungsrat Martin Graf. So punkte seine Partei zwar oft in Exekutivwahlen wie nun auch in Zürich und Baselland. «Doch geht die Mehrheit der Bevölkerung unbequemen Wahrheiten gerne aus dem Weg, weshalb sie uns in Parlamentswahlen nicht allzu viel Macht zugestehen will.»

Ziele bleiben unverändert

An ihren Zielen hält die Parteiführung fest: Sie will die Partei als drittstärkste Kraft im Land etablieren, und einen grünen Sitz im Bundesrat erobern. Die Wahlanalyse dieser Zeitung, die Gewinne und Verluste der Parteien nach Grösse der Kantone (Einwohnerzahl) gewichtet, nutzt Glättli als Grundlage für die Erneuerung des Bundesratsanspruchs seiner Partei: «Wenn wir die projizierte Entwicklung tatsächlich auch schaffen, dann würden wir uns zum zweiten Mal in Folge bei nationalen Wahlen vor der Mitte positionieren.» Erreiche man dies, so sei den Grünen ein Bundesratssitz nicht mehr zu verwehren.  

Florence Brenzikofer rät nun, die verbleibende Zeit bis zu den nationalen Wahlen im Herbst zu nutzen, um zu mobilisieren. «Wir müssen auch deutlicher aufzeigen, was uns von den Grünliberalen unterscheidet», sagt sie. Die Baselbieterin denkt dabei vor allem an die sozial- und gesellschaftspolitischen Aspekte, die die grüne Partei stärker gewichte als die GLP. «Wir machen uns für sozialverträgliche Klimaprojekte stark.» 

Derweil gibt Glättli seiner Partei den Tarif durch: «Wir müssen wieder in den Kampfmodus kommen und gewinnen.»