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Grand Prix Literatur für Klaus Merz
Er schreibt, um zu streichen

Klaus Merz, Schriftsteller, portraitiert zu Hause am 25. September 2020 in Unterkulm (AG).(KEYSTONE/Gaetan Bally)
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Er schreibt drei Wörter und streicht davon vier. So kann man sich die Arbeit des Schriftstellers Klaus Merz vorstellen. Seit über fünfzig Jahren sitzt im Kanton Aargau ein Mann mit dem Bedürfnis, nur das Notwendigste zu sagen. «Bei der Sprache muss wenig genug sein. Nie zu viel», beschreibt Merz sein Verständnis von Sprache.

Der unerschütterliche Schaffensdrang des 1945 geborenen Schriftstellers mündet in einem vielseitigen Werk, das vom Bundesamt für Kultur heute mit dem Grand Prix Literatur gewürdigt wird – ein mit 40’000 Franken dotierter Preis.

Den meisten ist Klaus Merz vermutlich als Dichter ein Begriff, aber ein Blick in sein Archiv wirft die Frage auf, an welche Textsorte er sich eigentlich noch nicht herangewagt hat. Er schuf Lyrik, Prosa, Erzählungen Novellen, kurze Romane und Essays – sowie Theaterstücke Hörspiele und Kinderbücher.

Der Schweizer Buchpreis ging bis heute an Klaus Merz vorbei. Jetzt wird er für sein Lebenswerk geehrt – und wird voraussichtlich weiterhin abseits des Literaturbetriebs unbeirrt schreiben und streichen. Mit dem Aargauer Autor werde eine eher leise, jedoch umso eindringlichere und gewichtige Stimme ausgezeichnet, die einen Echoraum weit über die Schweizer Grenzen hinaus finde, schreibt das Bundesamt für Kultur.

«Stille Sensationen» und «lautlose Katastrophen»

International bekannt wurde Merz mit seinem ganz dünnen, aber sehr beeindruckenden Roman «Jakob schläft», der 1997 erschienen ist. Für die Kritik ein Meisterwerk. Merz’ Werk wurde übersetzt ins Französische, Italienische, Englische, Spanische oder auch ins Russische und Persische.

In einer «Literaturclub»-Sendung des Schweizer Fernsehens von 1997 sagte die Kritikerin Gunhild Kübler über «Jakob schläft», sie habe selten so viel Unglück auf so wenigen Seiten gesehen. Und am Ende doch gedacht, sie habe die Geschichte einer glücklichen Kindheit gelesen, weil sich die Figuren gegenseitig aufrecht halten würden.

«Jakob schläft» erzählt eine Familiengeschichte, gezeichnet von Krankheit, Versehrung und Tod. All diesen Bedrängnissen tritt Klaus Merz mit lichtvollen Momenten entgegen und in einem Ton, der weder wehleidig noch voyeuristisch ist. Es seien Bilder, so war sich die Kritikerrunde im «Literaturclub» einig, die erst später ihre Wirkung entfalten würden. Merz bewege sich zwischen «stillen Sensationen» und «lautlosen Katastrophen» und teile sich mit Kollegen wie Robert Walser oder Peter Bichsel den Hang zum Minimalismus, den man in der Schweizer Literatur jener Generation immer wieder antreffe.

Verdichtet, verknappt und konzentriert

Klaus Merz ist nicht in erster Linie ein politischer Schriftsteller, wobei er das politische Denken als Bürgerrecht erachtet, nicht aber das «politische Lärmen». Hie und da lässt er sich aber eine politisch kommentierende Randbemerkung nicht nehmen.

Das Schreiben von Klaus Merz ist verdichtet, verknappt und konzentriert, und gerade seine Lyrik wird vom Ungefähren belebt. In seiner Kurzprosa gelingt es dem Aargauer, in nur wenigen Sätzen ein ganzes Leben zu erzählen. Der Literaturprofessor Peter von Matt fand ein passendes Bild für Merz’ Sprache: «Klaus Merz, der jedes Wort so behutsam aufnimmt und in Händen hält, als wär’s ein Neugeborenes.»

In seinem neusten Buch, «Noch Licht im Haus», einem Gedichtband von 2023, schreibt der Schriftsteller «Zuweilen fällt es / mich an, von hinten: Nimm all / deine Wörter zurück.»

Es bleibt zu hoffen, dass der Preisträger des Grand Prix Literatur künftig noch einige Wörter schreiben wird – gern auch einmal vier, von denen er dann nur drei streicht.

Der Spezialpreis Übersetzung, ebenfalls mit 40’000 Franken dotiert, geht an Dorothea Trottenberg. Und die Schweizer Literaturpreise in der Höhe von 25’000 Franken erhalten: Bessora: «Vous, les ancêtres», JC Lattès, Paris. Jérémie Gindre: «Tombola», Zoé, Genf. Judith Keller: «Wilde Manöver», Luchterhand, München. Dominic Oppliger: «giftland», Der gesunde Menschenversand, Luzern. Claudia Quadri: «Infanzia e bestiario», Edizioni Casagrande, Bellinzona. Ed Wige: «Milch Lait Latte Mleko», Paulette Éditrice, Lausanne. Ivna Žic: «Wahrscheinliche Herkünfte», Matthes & Seitz, Berlin.