Kommentar zum Brotz-ShitstormGeht es auch eine Nummer kleiner?
Der «Arena»-Moderator hat mit einem polemischen Tweet heftige Reaktionen provoziert. Auf Twitter taucht er jetzt ab. Das ganze Theater ist grotesk.
«#twoff» hat Sandro Brotz heute seinen knapp 53’000 Followern auf Twitter mitgeteilt. Das steht für «Twitter off» und bedeutet, dass der «Arena»-Moderator vorläufig auf Wortmeldungen verzichtet. Der Shitstorm, den er mit seinem Tweet vom 20. März ausgelöst hat, ist ihm offensichtlich zu heftig geworden.
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Damals schrieb Brotz über die rund 6000 Teilnehmer der Protestdemo gegen die Corona-Massnahmen in Liestal: «Jene, die gegen Corona-Massnahmen demonstrieren, sind dieselben, die nicht dagegen demonstrieren müssten, wenn sie die Massnahmen konsequent einhielten. Aber das ist dann wohl zu hoch für Flat Earther.»
«Flachwixxer»
Die Beschimpfungen, die der Beitrag auf Social Media provozierte, von «Dreckspack» über «Flachwixxer», «Kotzbrotz» bis «kognitiv beeinträchtigt», zeugen nicht gerade von gesitteter Debattenkultur.
Auch traditionelle Medien gaben sich indigniert. Die «NZZ am Sonntag» nannte den Moderator «Oberlehrer» und attestierte ihm «bisweilen intellektuell dürftigen Meinungseifer», während ihn die «Weltwoche» zur «fatalsten Fehlbesetzung des Schweizer Fernsehens» kürte.
Geht es auch eine Nummer kleiner? Gut, Corona-Demonstranten mit Flat Earthern gleichzusetzen – also Leuten, die ernsthaft glauben, die Erde sei eine Scheibe –, das hätte der Moderator der landesweit wichtigsten Diskussionssendung besser unterlassen. Denn damit untergräbt er als Privatperson die Glaubwürdigkeit der Rolle, die er in seiner beruflichen Funktion ausfüllen muss: Jene des unparteiischen Schiedsrichters.
Es ist auch nicht gerade klug, inmitten der ohnehin gereizten öffentlichen Atmosphäre zusätzliches Reizgas zu versprühen.
Man könnte den Spruch auch mit britischer Coolness quittieren statt mit Schweizer Humorlosigkeit.
Und doch: Könnte man den Flat-Earther-Spruch allenfalls auch als polemische Spitze verstehen? Und ihn infolgedessen mit einer gewissen britischen Coolness quittieren statt mit wutschnaubender Schweizer Humorlosigkeit?
Es ist leider auch so, dass der Rest von Brotz’ Tweet sachlich absolut korrekt ist. Wir haben im vergangenen Spätherbst allen verharmlosenden Sprüchen zum Trotz eine katastrophale zweite Welle erlebt, jetzt bahnt sich eine dritte an – und dies bei einer deutlich infektiöseren Mutation des Virus und von einem deutlich höheren Niveau der Fallzahlen aus.
Da kann ein weitgehend maskenloser Massenaufmarsch wie jener in Liestal schon Zweifel an der Vernunft seiner Teilnehmer wecken, bei aller Liebe zur Demokratie.
Der Moderator als Meinungseunuch
Muss ein «Arena»-Moderator tatsächlich darauf verzichten, seine berechtigte Skepsis gegenüber solchen Vorgängen zu äussern? Hat er sich als säuselnder Meinungseunuch durch die Öffentlichkeit zu bewegen? Die publizistischen SRF-Leitlinien mahnen Angestellte bei politischen Äusserungen zwar zur Zurückhaltung, aber letztlich ist die Toleranz, die dabei bestehen soll, von Fall zu Fall Verhandlungssache. Und in einer demokratischen Gesellschaft sollte gelten: im Zweifel für die Meinungsäusserung.
Die Reaktionen auf den Tweet des Moderators stehen in keinem Verhältnis zu dessen Schärfe oder angeblicher Ungehörigkeit. Zumal man Brotz zugutehalten muss, dass er bei seinen «Arena»-Moderationen unvoreingenommen auftritt.
Und ja, eine möglichst grosse Toleranz muss auch dann gelten, wenn einmal eine Angestellte oder ein Angestellter des öffentlichen Fernsehens eine Ansicht vertritt, bei der sich Ärger und Zustimmung der politischen Lager spiegelverkehrt zeigen.
Entspannen wir uns
Dass im Übrigen die heftigste Kritik an Brotz ausgerechnet von der «Weltwoche» kommt, die sonst im Namen der Meinungsfreiheit Klimaleugnern, Apologeten der Trumpschen Wahlparanoia und sonstigen rechtspopulistischen Irrlichtern nur allzu gern das Wort erteilt, ist grotesk.
Zur Entspannung der Lage wäre es am besten, die ganze Polemik mental auf die Dimensionen einer Posse schrumpfen zu lassen. Bloss haben Debatten in sozialen Medien offensichtlich den genau gegenteiligen Effekt.
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